«Die Hunde schlagen das erste Mal zwischen 22 und 23 Uhr Alarm», sagt Markus Eberle. Er ist der Hirte auf der Alp Halde in Flums SG. Dies gehe dann durch bis etwa 12 oder 1 Uhr. «Zwischen zwei und vier Uhr geschehen dann die ersten Risse», fährt Eberle fort.
«Neue Eskalationsstufe ist mit dem Angriff erreicht»
Bisher haben Wölfe dieses Jahr auf seiner Alp 20 Schafe gerissen, vergangene Woche hat sich die Situation nochmals mit einem Angriff auf einen Herdenschutzhund verschärft.
Laut Mathias Rüesch, Geschäftsführer vom St. Galler Bauernverband sei somit eine neue Eskalationsstufe im Umgang mit den Wölfen erreicht worden. Aus diesem Grunde luden der St. Galler und der Schweizer Bauernverband zu einer Medieninformation auf der Alp ein.
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«Nachts sind die Hunde mit Adrenalin voll»
[IMG 3] Hier schilderte der Alphirte Markus Eberle in emotionalen Erzählungen seinen Abnützungskampf mit dem Raubtier Wolf. Es sei ein enormer Aufwand, den er zum Schutz seiner 680 Schafe betreibe. Er setze sämtliche Schutzmassnahmen, wie etwas das einpferchen über die Nacht, oder dem Einsatz von Herdenschutzhunden um.
Trotzdem werden immer wieder Schafe vom Wolf gerissen. Dieser «bearbeite» die Hunde regelrecht. Sie seien regelrecht am Limit, nachts mit Adrenalin vollgepumpt, hätten vom Rumgerenne offene Pfoten und seien morgens so schwach, dass sie kaum etwas fressen.
Seine Familie übernachte aus Eigenschutz auf der Alphütte, er selbst ab und zu mal für eine Nacht, um wenigstens einmal auszuschlafen. Der angegriffene Herdenschutzhund sei tierärztlich versorgt worden und für diese Saison nicht mehr einsetzbar. Dank des Einsatzes zweier zusätzlicher Hunde habe sich die Situation nun etwas beruhigt.
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Ein Hohn gegenüber Nutztieren
[IMG 5] «Es kann so nicht weitergehen», war das Credo der nachfolgenden Rednerinnen und Redner. Für Peter Nüesch, Präsident vom St. Gallischen Bauernverband sei es ein Hohn gegenüber den Nutztieren, wenn Wölfe «gefördert» würden, die Nutztiere schädigen und die, dieses Verhalten auch ihren Jungtieren beibringen.
Grund für diese Aussage war, dass der Kanton St. Gallen ursprünglich eine Abschussbewilligung für den Wolf im Flumser-Gebiet erteilt hatte, diese aber wieder zurückzog, als die Vermutung aufkam, dass der Wolf junge hätte.
Er forderte, dass der Abschuss solcher Rudel in Zukunft möglich sein soll. Für eine effektive Regulierung soll der Kanton St. Gallen auch über die Kapazität bei der Wildhut verfügen.
Beat Tinner, Regierungsrat und Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements vom Kanton St. Gallen reagierte darauf und hob hervor, dass der Kanton nun zwei zusätzliche Wildhüterstellen geschafft habe. Ebenfalls wies Tinner auf die kurze Länge der Abschussfristen. Diese würden durch jeweilige Einsprachen weiter eingeschränkt. Für Tinner war aber auch klar, dass der Wolf gerade im Forst für weniger Verbiss sorge, da er das Wild in Bewegung halte und kranke und alte Tiere reisse.
«Verteidigungsabschüsse, wie in Frankreich»
Für Esther Friedli, Ständerätin des Kantons St. Gallen, stand fest, dass es zu viele Rudel hat und man proaktiv Massnahmen treffen müsse. Sie versprach, weitere Massnahmen anzugehen, damit der Wolf proaktiv reguliert werden könne.
[IMG 6] Martin Keller, Präsident vom St. Gallischen Schafzuchtverband wies wiederum darauf hin, dass es extrem schwierig sei während der Saison zusätzlichen Hütehunde zu organisieren. Er forderte, dass man ähnliche Möglichkeiten wie in Frankreich schaffe.
Dort steht betroffenen Landwirten ein sogenannter Verteidigungsabschuss (Tir de défense) als Möglichkeit zur Verfügung. Man darf den Wolf jedoch nur schiessen, wenn man präventive Massnahmen umsetzt, der Wolf bereits mehrmals Schäden verursacht hat und der Abschuss während des Wolfangriffs erfolgt.
Hunde beissen Biker
[IMG 7] «Die Schweizer Alpwirtschaft ist in Gefahr», fasste Markus Ritter, Präsident vom Schweizer Bauernverband, die Situation zusammen. Der Landwirt stehe in einem regelrechten Wettrüsten mit dem Raubtier Wolf. Der immer wieder auf die Massnahmen der Landwirte reagiere und diese umgehe.
Eine hohe Wolfspopulation löse laut Ritter eine negative Spirale an Ereignissen aus. Landwirte seien weniger bereit, ihre Tiere auf die Alp zu geben, die Personalsuche werde aufgrund der psychischen Belastung schwieriger, die Bewirtschaftung gehe zurück.
Und wenn man immer mehr Herdenschutzhunde brauche, dann schützen diese die Herden auch vor Bikern oder Wanderern und treffe schlussendlich den Tourismus. Die Jagdverordnung müsse darum angepasst und von den Kantonsregierungen und der Wildhut umgesetzt werden.
«Aufgeben ist für mich keine Option»
[IMG 8] Ignaz Müller ist Landwirt und Halter des angegriffenen Herdenschutzhundes Fly. Die BauernZeitung hat mit ihm gesprochen.
Herr Müller, können Sie uns etwas über Ihren Betrieb und Ihre Hunde erzählen?
Ignaz Müller: Ich habe 220 Schafe, 10 Mutterkühe und zwei Hunde sowie zwei Junghunde der Rasse Patou. Mit eineinhalb Jahren wird der Hund überprüft und anschliessend einem Betrieb zugeteilt.
Wie beurteilen Sie die zukünftige Einsatz-fähigkeit Ihres angegriffenen Hundes?
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich die Hündin zukünftig einsetzen kann. Wenn, dann vielleicht als Erfahrungsbringerin für den Nachwuchs.
Wie beurteilen Sie die Situation hier auf der Alp Halde?
Wir haben immer das gemacht, was gefordert wurde, Zäune angeschafft, mit den Herdenschutzhunden angefangen. Es ist verrückt, dass die Bürokratie so einen Aufwand verursacht. Für mich ist Aufgeben keine Option, allerdings kann ein Haufen toter Tiere auch nicht das Ziel sein.
«Der Hirt muss es selber regeln dürfen»
[IMG 9] Sepp Bertsch ist Landwirt im Nebenerwerb und hilft regelmässig auf der Alp Halde dem Hirten aus. Er bewirtschaftet einen Landwirtschaftsbetrieb und hat 84 Schafe auf der Alp.
Herr Bertsch, wie ist die Situation für Sie?
Sepp Bertsch: Für mich ist es furchtbar, weil ich eine gewisse Beziehung zu unserer Ortsgemeindealp und auch meinen Tieren habe. Ich empfinde die Situation auch als absurd, weil alles nach Biodiversität schreit, die hat man auf der Alp aber nur, wenn man sie auch bewirtschaftet. Und ich bin ebenfalls um den Hirten besorgt.
Warum?
Wir haben heuer einen sehr guten Hirten und es ist sehr schwierig, gutes Alppersonal zu finden. Auch unter den Landwirten sprechen sich solche Sachen herum. Wir werden dann weniger Tiere bekommen, der Aufwand für den Herdenschutz wird grösser und irgendwann lohnt es sich nicht mehr, die Alp zu bestossen.
Wo sehen Sie eine mögliche Lösung?
Die Abschussfrist macht für mich keinen Sinn. Für mich gibt es nur eines, nämlich, dass der Hirt es selber regeln darf, so wie in Frankreich. Er weiss am besten Bescheid über die Alp und kann die Tiere auch am besten schützen.
Nichtstun wäre blanker Hohn
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Kommentar von Viktor Dubský
Der Wolf will es wirklich wissen: Mit dem Angriff auf die Herdenschutzhündin «Fly» ist die Situation weiter eskaliert. Bauernvertreter und Verbände fordern jetzt – zu Recht – den Abschuss problematischer Wolfsrudel. Die Politik muss handeln. Die Betroffenen müssen endlich die Möglichkeit erhalten, sich angemessen zu wehren. Der Verteidigungsschuss, wie er in Frankreich bereits erfolgreich praktiziert wird, wäre eine mögliche Lösung. Jetzt nicht zu reagieren, wäre blanker Hohn – gegenüber den betroffenen Landwirten, ihren Tieren und den Menschen im Berggebiet.