Die Verödung von Zysten ist in der Humanmedizin eine gängige Praxis. Der Goldstandard in der Veterinärmedizin ist bislang allerdings die operative Entfernung grosser Zysten. «Ein schwerer und riskanter Eingriff», erklärt Cagri Binici. Der Rinderspezialist, der in der Tierarztpraxis Baumann in Matten bei Interlaken BE tätig ist, wendete stattdessen bei zwei tragenden Kühen, die unter grossen Nierenzysten litten, eine Form der Verödung an – und konnte den Tieren damit helfen.
Chemikalien sind verboten
«Zysten gibt es häufig und die meisten stören nicht. Doch wenn sie zu gross werden, Schmerzen verursachen oder platzen können, muss man sie entfernen», sagt Binici gegenüber der «Berner Zeitung». In der Humanmedizin werden Zysten oft mit Chemikalien oder radioaktiven Substanzen verödet. Die Anwendung solcher Mittel ist jedoch sowohl in der Schweiz als auch in der EU bei Nutztieren, deren Milch oder Fleisch als Lebensmittel genutzt werden, unzulässig.
Alkohol als Alternative
Binici allerdings fand heraus, dass es Berichte über die Verödung von Zysten bei Menschen gibt, bei denen dazu stattdessen 94-prozentiges Ethanol verwendet wird. Ärzten aus englischsprachigen Ländern war es gelungen, Nierenzysten mit dem hochkonzentrierten und lebensmittelrechtlich unbedenklichen Alkohol zu veröden.
«Amsel hatte keine Schmerzen mehr»
Kurze Zeit später erhielt der Tierarzt einen Anruf von Andrea und Werner Suter, deren Braunviehkuh Amsel unter einer Zyste an der linken Niere litt, die dem Tier Schmerzen verursachte. Nach Einwilligung der Suters versuchte Cagri Binici die Zyste von Amsel mit der Ethanol-Verödung zu behandeln. Er legte die Zyste offen und spülte sie gründlich mit dem hochprozentigen Alkohol aus. Durch die Spülung werden alle Zellen, die die Zyste auskleiden, daran gehindert, weiterhin Flüssigkeit abzusondern. «Noch während der Operation begann Amsel mit Wiederkäuen und hatte auch später keine Schmerzen mehr», erzählt Besitzerin Andrea Suter gegenüber der «Berner Zeitung».
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Andrea Suter mit ihrer Kuh Amsel. Dank des neuartigen Eingriffs hat sich Amsel schnell wieder erholt. (Bild pd)
Die Zyste ist verschwunden
Die Nachuntersuchungen zeigten, dass die Zyste durch die Verödung komplett verschwunden ist. Auch das Kalb, mit dem Amsel zum Zeitpunkt der Verödung bereits im fünften Monat tragend war, überlebte den Eingriff. Die Milchleistung litt ebenfalls nicht sonderlich unter der Behandlung. «Für Amsel war wohl das Schlimmste, dass wir sie für die Operation von den anderen Kühen weg in den Stall holen mussten», sagt Andrea Suter. «Richtig zufrieden war sie, als sie ein paar Tage später wieder auf die Alp durfte.»
Ein zweiter Erfolg
Danach behandelte Binici die Zyste einer weiteren Kuh mit der Methode der Ethanol-Verödung. Da die Behandlung für das Tier nicht stark belastend ist, war Marianne Wyss, die Besitzerin der Swiss-Fleckvieh-Kuh Paloma, bereit, die Operation zu wagen. Das Ethanol für die Verödung besorgte der Tierarzt in der Apotheke. Ein erneuter Erfolg: Sowohl Paloma, als auch ihr mittlerweile geborenes Kalb Papaya haben den Eingriff gut überstanden.
Was sind Zysten?
Bei Zysten handelt es sich um Hohlräume, die sich im Körperinnern bilden und meist von einer Kapsel begrenzt sind. Zudem zeichnen sich Zysten dadurch aus, dass sie entweder mit einer Flüssigkeit, wie zum Beispiel Gewebeflüssigkeit oder Blut, oder mit breiigem Inhalt, wie etwa Eiter oder Talg, gefüllt sind.
Die Ursache einer Zystenbildung ist vielfältig. Oft entstehen Zysten, wenn der Abfluss an einem flüssigkeitsbildenden Hohlraum behindert ist. Auch Medikamente können Zysten verursachen. Um eine Zyste beispielsweise an der Niere oder der Leber nachzuweisen, ist eine Ultraschalluntersuchung notwendig. Allerdings sind Zysten in den meisten Fällen harmlos und bleiben oft unbemerkt. Werden jedoch Schmerzen durch eine Zyste ausgelöst, droht die Gefahr, dass diese platzt.