Beunruhigende Studienergebnisse aus Deutschland haben das Thema Insektenschwund in den letzten Jahren ins Bewusstsein gerückt, auch in der Schweiz. Nun hat ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und unter Koordination der Universität Bern den Rückgang an Insekten noch genauer und umfassender unter die Lupe genommen, wie die WSL am Mittwoch mitteilte.
Daten aus Deutschland
Über eine Vielzahl verschiedener Untersuchungsflächen hinweg sank die Anzahl Insektenarten im Verlauf von nur zehn Jahren um etwas mehr als ein Drittel, berichten die Forschenden im Fachblatt "Nature".
Erfasst wurden die Daten zwar in Deutschland, die gewählten Landschaften seien jedoch vergleichbar mit verschiedenen Regionen in der Schweiz, erklärte Markus Fischer von der Uni Bern im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Vor allem seltene Arten verschwinden
Für ihre Studien sammelte das internationale Forschungsteam zwischen 2008 und 2017 über eine Million Insekten auf fast 300 Flächen in drei Regionen in Deutschland: Brandenburg, Thüringen und Baden-Württemberg. Die gewählten Flächen reichten von sehr natürlichen bis zu land- oder forstwirtschaftlich stark genutzten Gründlandflächen und Wäldern.
Viele der fast 2700 untersuchten Insektenarten sind demnach rückläufig. Vor allem seltene Arten verschwanden auf vielen Flächen komplett.
Bisherige Studien hätten sich entweder ausschliesslich auf die Biomasse, also das Gesamtgewicht aller Insekten, oder auf einzelne Arten oder Artengruppen konzentriert, erklärte Sebastian Seibold von der Technischen Universität (TU) München gemäss der Mitteilung. "Dass tatsächlich ein Grossteil aller Insektengruppen betroffen ist, war bisher nicht klar."
Drastischer Verlust an Biomasse
Auf Wiesen ging die Anzahl gefundener Arten im Studienzeitraum um 34 Prozent zurück. Aber nicht nur die Artenvielfalt, auch die Gesamtmenge an Insekten schrumpfte, und das dramatisch: Die Insekten-Biomasse verzeichnete während der zehn Jahre einen Verlust um zwei Drittel.
Den stärksten Rückgang stellten die Forschenden dabei auf Flächen fest, die in stark landwirtschaftlich genutzter Umgebung lagen. Insbesondere schwanden Insektengruppen, die keine grossen Distanzen überwinden können. Das deutet auf einen Zusammenhang mit der Landwirtschaft hin, was bereits vermutet wurde. Allerdings lasse sich noch nicht beantworten, welche Rolle Lebensraumverlust, verstärkter Gebrauch von Insektiziden oder die Verwendung potenterer Insektizide spielen, halten die Forschenden im Fachartikel fest.
Auch Wälder betroffen
Ob und wie stark auch Wälder vom Insektenschwund betroffen sind, war bisher unklar. Auch hier stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Rückgang fest, und zwar schrumpfte die Insekten-Biomasse um 41 Prozent. Die Anzahl Arten ging um 36 Prozent zurück. Sowohl forstwirtschaftlich genutzte Nadelwälder als auch ungenutzte Wälder in Schutzgebieten haben der Studie zufolge an Insekten eingebüsst.
Anders als auf Wiesen gingen im Wald insbesondere Arten zurück, die weite Strecken zurücklegen. Hier ist ein möglicher Zusammenhang mit der Landwirtschaft allerdings noch unklar: "Ob mobilere Arten aus dem Wald während ihrer Ausbreitung stärker mit der Landwirtschaft in Kontakt kommen oder ob die Ursachen doch auch mit den Lebensbedingungen in den Wäldern zusammenhängen, müssen wir noch herausfinden", erklärte Studienautor Martin Gossner von der WSL.
Riesendefizit an Daten in der Schweiz
Für die Schweiz fehlt es bisher an Daten über den Insektenschwund. Das sei ein riesiges Defizit, sagte Fischer zu Keystone-SDA. Aber die Daten aus Deutschland lassen auch für die Insektenwelt der Schweiz nichts Gutes vermuten: Bei der Nutzung von Düngemitteln und Insektiziden gebe es zwischen der EU und der Schweiz keine grossen Unterschiede.
Um die Wissenslücken zu schliessen, habe er mit Kollegen einen Antrag beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF) für einen Nationalen Forschungsschwerpunkt zu Ursachen und Folgen des Biodiversitätsverlusts in der Schweiz eingereicht, so Fischer. Bei positivem Entscheid könnte eine umfassende Langzeitstudie frühestens nächstes Jahr starten und müsste dann einige Jahre laufen. "Aber besser spät als nie", so der Forscher.