Als die BauernZeitung Kurt Stettler besucht, sagt dieser als Erstes ernst: «Ich musste das Milchvieh letztes Jahr aufgeben.» Die Gründe dafür seien Littering, unsachgemässe Entsorgung von Hundekot und Vandalismus.
Seit 40 Jahren Probleme
Durch die Agglomeration im Berner Dorf Münchenbuchsee musste der Betrieb bereits einmal zügeln. Kurt Stettlers Grossvater war mit dem Familienbetrieb bis 1934 im Dorfkern angesiedelt. Damals sei das Haupthaus der Landwirtschaft Stettlers durch Brandstiftung abgebrannt.[IMG 2]
Als der Hof in die heutige Radiostrasse zügelte, war Münchenbuchsee noch nicht so stark gewachsen. «Die Felder und die damalige Strasse zu unserer Landwirtschaft wurden Neufeld getauft», sagt Stettler stolz. In den 1980er-Jahren wurden dann innerhalb von 200 Metern um die «Neuen Felder» vier Freizeiteinrichtungen zur Naherholung geschaffen.
Einerseits ein Ganzjahres-Sportzentrum, das bedeutet eine Badi im Sommer und eine Eisbahn im Winter. Dazu kamen vier Tennisplätze und ein Fussballplatz mit jeweils einem Clubhaus und eine öffentliche Grillstelle im Wald. Die alte Radiostation, von der die heutige Strasse ihren Namen hat, ist umgebaut worden zu einer Saal- und Freizeitanlage inklusive eines Jugendtreffs mit einer Kapazität von 650 Personen im Innern und bis zu 1000 Personen im Freien.
«Wir haben seit 40 Jahren Probleme mit Littering, Verschmutzung durch Hundekot und Vandalismus», sagt Stettler. Im Durchschnitt würde ihm das einen Schaden von 10'000 Franken im Jahr bescheren. Nach einer langen Pause zählt Kurt Stettler all die Vorfälle auf, die er über die Jahre erlebt hat. «Ich musste aufhören zu melken», sagt Stettler ernst. Dabei hätte er ideale Voraussetzungen, die Weideflächen liegen alle ums Haus herum. Auch der alte Stall wurde damals von seinem Vater zu einem Boxenlaufstall mit Hochsilo umgebaut. Dieser investierte damals 700'000 Franken.
«Es kann mir niemand sagen, wie oder ob es weitergeht.»
Kurt Stettler über die Zukunft seines Betriebes.
Der gesamte Hof sei zudem auf Wiederkäuer ausgerichtet. Die Probleme hätten sich über die Jahre angehäuft. Er habe aufgrund von Notschlachtungen und Aborten jährlich zirka 10 Prozent seiner Kühe schlachten müssen. Bei den Schlachtungen habe er keine andere Wahl gehabt, diese seien durch verschmutztes Futter sowie Fremdkörper im Futter der Wiederkäuer verursacht. «Wegen der vielen Tierabgänge habe ich eine Zusatzversicherung gemacht», sagt Stettler. Diese würde aber nur bei Tierabgängen durch Fremdkörper zahlen, das gelte dann als ein Unfall. Zuletzt habe die Versicherung die Schadenfälle gedeckelt und seinen Selbstbehalt erhöht.
Ein weiterer Grund für die vielen Notschlachtungen seien Spätaborte gewesen. «Diese sind ausgelöst worden durch den Erreger Neosporose», sagt Stettler. Neosporose ist in Hundekot zu finden. Die Spätaborte könne man bei der Versicherung nicht geltend machen, so der Landwirt.
Häufige Erkrankungen
Der Bestandestierarzt von Kurt Stettler nahm bereits 2015 schriftlich Stellung zu den häufigen Erkrankungen auf dem Betrieb. Die gesundheitlichen Probleme würden ein durchschnittliches Ausmass deutlich überschreiten, schreibt Stefan Hutter aus Zuzwil im Kanton Bern. Grund dafür seien verunreinigtes Futter sowie Fremdmaterial in frischen und konservierten Futtern.
Vor allem Hundekot würde zu gravierenden Verdauungsstörungen, Durchfall und Milchrückgang führen. Serologisch wurde im Bestand von Kurt Stettler bei zahlreichen Tieren Neospora caninum nachgewiesen, ein Erreger, der auch im Hundekot vorkommt. Die Folge seien überdurchschnittlich viele Aborte bei trächtigen Tieren. «Sehr viele Tiere sind von der Infektion betroffen gewesen», so der Bestandestierarzt.
Der Erreger wird von der Kuh auf das Kalb übertragen, deshalb habe Stettler grösstenteils auf die eigene Nachzucht verzichten müssen. Dies habe betriebswirtschaftliche Auswirkungen, so Tierarzt Stefan Hutter.
Spitze Gegenstände
[IMG 3]«Zahlreiche Behandlungen waren auch aufgrund von Fremdkörpererkrankungen nötig», ergänzt Hutter. Die Ursachen solcher Erkrankungen seien in der Regel spitze Gegenstände, welche die Rinder mit dem Futter aufnehmen. Stefan Hutter ist seit 13 Jahren der Tierarzt des Hofes: «Ich betreute bereits Kurts Vater Fritz.» Er räumt jedoch ein, dass eine Fremdkörperdiagnose immer eine Verdachtsdiagnose sei. «Möchte man 100 Prozent sicher sein, müsste man den Pansen öffnen», so Hutter. Weiterhin weist der Bestandestierarzt darauf hin, dass Littering auch Auswirkungen auf die Lebensmittelsicherheit haben könne.
Nach Teilaufzeichnungen Stettlers belief sich der Schaden allein in den Jahren 2010–2014 auf zehn Schlachtungen (Spätabort), acht Behandlungen wegen Fremdkörpern und je eine Behandlung aufgrund von Verdauungsstörungen und Schnittverletzungen. Stettler notiert dazu nichtmonetären Schaden wie Leistungsrückgang, Milchsperre wegen Antibiotika und den zeitlichen Mehraufwand. Eine Schlachtung veranschlagt der Landwirt mit 2000 bis 3000 Franken, dies schliesst das Einschläfern und die Entsorgung des Tierkadavers mit ein.
Neben diesen finanziellen und wirtschaftlichen Schäden hat Stettler viele andere Probleme mit den Besuchern der Freizeiteinrichtungen und Spaziergängern. «Die Badi-Zeit und das Heuwetter fallen jedes Jahr auf einen ähnlichen Zeitraum», sagt der Landwirt. Er könne manchmal mit den Landmaschinen nicht zu seinen Flächen fahren, weil auf den Zufahrtsstrassen illegal Autos parkierten.
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Schwierige Kommunikation
An einem schönen Tag seien bis zu 3000 Besucher in der Badi, er habe an einem Tag über 100 falsch parkierte Autos gezählt. Dies sei auch ein Problem für die Blaulichtorganisationen, aber darauf habe er keinen Einfluss, so Stettler. Die Kommunikation mit den Spaziergängern sei zudem sehr schwierig. Manche würden nicht wissen, dass die Hunde nicht zur Hauptvegetationszeit in die Wiesen dürfen. Andere wiederum hätten ihm nur trotzige Antworten gegeben: «Da sagte mal eine Spaziergängerin, als ich sie darauf hinwies, dass ihr Hund nicht in den Kartoffeln wühlen solle, dass der Hund das doch so gerne mache», sagt Stettler kopfschüttelnd.
Er sei verzweifelt, und dies schon seit Jahren, «wir können nicht mehr ‹bure› hier». Er habe sich über die Jahre viele Möglichkeiten überlegt und sei deshalb auch im Austausch mit einer Arbeitsgruppe. Dazu komme, dass sein Sohn im dritten Lehrjahr zum Landwirt sei und er gar nicht wisse, welche Tierart er in Zukunft auf dem Hof habe. Wiederkäuer und Pferde könne er aufgrund der starken Verschmutzung durch Müll und Hundekot nicht auf dem Hof halten. Am Beispiel der Wiederkäuer habe er dies am eigenen Leib erfahren, und Pferde, bisweilen auch ihre Besitzer, seien zu empfindlich, sagt Stettler im Scherz.
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Umstellen als einzige Lösung?
Darum sei er jetzt im Aufbau, etwas mit Legehühnern zu machen. «Dazu braucht es natürlich einen neuen Stall», so Kurt Stettler. Vor sechs Jahren habe er bereits begonnen zu planen. «Die Baubewilligung ist erteilt, ich könnte loslegen, aber der Krieg in der Ukraine hat das gesamte Projekt um 600'000 Franken teurer gemacht». Er könne das Projekt jetzt nicht mehr finanzieren, auch sei fraglich, ob das Baumaterial überhaupt verfügbar sei. Dazu komme, dass ihm der Eierabnehmer abgesprungen sei, es gebe zu viele Eier auf dem Markt. Weder die Eico noch die Ei AG würden ihm die Eier abnehmen.
Zurzeit hat Stettler 21 Rinder in vier verschiedenen Rassen von Swissgenetics im Stall, aber auch dort habe er verschärfte Auflagen wegen Littering erhalten. Die Rinder dürfen nicht auf der Weide fressen und kein Grassilo bekommen.
«Und das Verrückte ist, es kann dir niemand sagen, wie es weitergeht, wann es weitergeht oder ob es überhaupt weitergeht», sagt Landwirt Stettler nachdenklich. Er wünscht sich mehr Unterstützung von der Gemeinde. Mit Bussen könne viel erreicht werden, dazu seien hoch frequentierte Kontrollen nötig. «Wenn keiner büsst, können jedoch die Bussen noch so hoch sein, da passiert einfach nichts.»
Zusammenarbeit mit Tourismus
Gaby Mumenthaler, Leiterin Kommunikation vom Berner Bauern Verband, sagt, dass es eine klare Trennung gebe zwischen Littering (unsachgemässe Abfallentsorgung), Vandalismus und Hundekotverschmutzung. Im ersten Corona-Jahr habe es einen massiven Anstieg an Anrufen gegeben bezüglich Littering, das Thema sei jedoch ein Dauerbrenner.
Zum Fall Kurt Stettler meint Mumenthaler: «Das ist ein extremer Fall.» Sie sagt auch, dass es nicht die grosse Masse sei, die Littering betreibe und Hundekot liegen lasse, aber auch wenn es nur «einer von 20 ist, der nicht um die Konsequenzen seiner Handlung weiss, so kann das dramatische Folgen für die weidenden Tiere haben». Der Berner Bauern Verband arbeitet zu diesem Thema mit Bern Tourismus zusammen. Um die Naherholungsgäste zu sensibilisieren, werden in Hofläden, die an Wanderwegen und Radwanderrouten liegen, Broschüren ausgelegt.
Gaby Mumenthaler verweist betroffene Landwirte auf die Kampagne «Stadt und Land, Hand in Hand». In dieser sollen Informationstafeln Aufklärung über Auswirkungen von Littering schaffen. Beim Schweizer Bauernverband und beim Landwirtschaftlichen Informationsdienst sind die Tafeln kostenlos.
Postulat gegen Littering
Im Jahr 2015 reichte Kurt Stettler ein Postulat mit dem Titel «Littering auf landwirtschaftlich genutztem Gemeindegebiet» an den Gemeinderat Münchenbuchsee ein. In diesem ist zu lesen, dass die Gemeinde bereits in den Jahren davor einige Massnahmen ergriffen hat:
- Plakate «Abfall macht krank»
- Infoblatt-Beilage Hundetaxe
- Projektwoche Littering in Schulklassen
- Dokument «Unterrichtsmöglichkeiten zum Thema Littering»
- Artikel zum Thema Littering in der Buchsi-Info (zwei- bis viermal jährlich)
- Zusammenarbeit mit Abfallentsorgungsfirma (Litteringmeldung)
Darüber hinaus hat die Gemeinde Münchenbuchsee entschieden, dass keine Entschädigung über die Hundetaxe möglich ist. «Die Hundetaxe ist zweckgebunden und reicht aktuell zur Deckung der Bewirtschaftung der Robidogs», schreibt der Gemeinderat.
Schüler sensibilisieren
Kurt Stettler sagt, nach der Anerkennung des Postulats sei eine Arbeitsgruppe entstanden. In dieser sei er zwei Jahre aktiv gewesen. In seiner Zeit dort seien ein Hinweisschild aufgestellt und die Bussen erhöht worden. «Ich denke jedoch, dass noch nie eine Busse wegen unsachgemässer Entsorgung von Hundekot verteilt worden ist», so Stettler. Auch die Sensibilisierung der Schulklassen würde in einer Jahrgangsstufe stattfinden, die nicht die Verursacher des Littering sei. «Mein Wunsch wäre gewesen, einen Anlass mit Oberstufenschülern durchzuführen.» Die Kinder in den unteren Klassenstufen seien schockiert über die Auswirkungen von Littering gewesen, er denke jedoch nicht, dass diese sich später in ihrem Leben daran erinnern werden.
Zum Abschluss des Gesprächs mit der BauernZeitung sagt Kurt Stettler: «Letztlich hat die Gemeinde die Probleme Littering, unsachgemässe Entsorgung von Hundekot und Vandalismus zu uns Bauern ausgesiedelt.»
«Die Leute aufmerksam machen»
Landwirt Markus Bisig aus Rüti im Kanton Zürich war erst kürzlich in den Medien, weil seine Kuh Paloma nach langem Kampf letztlich tot auf der Weide lag. Drei Monate habe er die Kuh behandelt. Erst habe sie nicht mehr gefressen und Fieber bekommen, dies seien die ersten Symptome auf Fremdkörperverschluckung. Dann habe er sie zusammen mit dem Tierarzt mehrmals mitbehandelt. «Die Kuh ist verreckt», sagt Bisig. Er habe alles probiert, aber schliesslich sei sie ungesehen auf der Weide verblutet.[IMG 5]
Mit einem medialen Post auf Facebook wollte er die Leute aufmerksam machen. «Das Foto von der toten Kuh schlug hohe Wellen, auch international», so der Landwirt aus Rüti.
Markus Bisigs Futterflächen liegen an einer Hauptstrasse mit Aussichtspunkten und Bänkli zum Hinsetzen. Das Problem mit dem Littering sei nicht in den Griff zu bekommen. Er habe einem Drittel seiner Tiere bereits einen Magneten gesetzt und hätte ein grosses Plakat aufgehängt. Er habe sich darüber hinaus bei der Gemeinde versichert, dass er anzeigen dürfe, wenn er Leute erwische, die ihren Müll in die Wiese werfen.
Das Problem seien die Landmaschinen, diese würden bei der Futterproduktion alles klein machen. «Ich hatte schon alles auf dem Futtertisch: Glas, Plastik, Alu», meint Bisig. Die Kühe würden bei einer Aludose auf der Wiese drumherum fressen, dies sei aber nicht so, wenn die Aluschnipsel auf dem Futtertisch lägen.
Er sieht die Verbände in der Pflicht, mehr gegen Littering zu unternehmen. «Die Bauern werden in den breiten Medien eh schon immer an den Pranger gestellt, deshalb sollten die Interessenvertreter in die Öffentlichkeit gehen.» Er habe sich von Spaziergängern schon anhören müssen, dass die Bauern doch Direktzahlungen bekämen und deshalb die Wiesen öffentlicher Raum seien. Dies sei eine klare Fehlinformation, so Markus Bisig.