Es war ein grausiges Bild, das sich Erich Schönenberger am Morgen des 1. Februars beim Füttern seiner 30 Schafe bot: da lag ein Lamm tot im Stall, auf beiden Seiten des Rückens und am Hals war das Fell blutig. Der alarmierte Wildhüter, der das Lamm untersuchte, vermutete anhand der Bissspuren, dass sie von einem Wolf stammen müssen. Im weiteren Verlauf des Samstags wurde im Weiler Boxloo, wo Schönenbergers Betrieb liegt, auch ein gerissenes Reh gefunden. Den Beweis, dass es sich bei beiden Fällen tatsächlich um einen Wolf handeln muss, lieferte das Bild einer Fotofalle, welches das Tier in der Nacht auf Sonntag zeigt, wie es zum Rehkadaver zurückkehrte.
Wolf war in den Stall eingedrungen
Erich Schönenberger sitzt am Esstisch und schüttelt ungläubig den Kopf: «Wir haben nichts gehört.» Dabei tragen seine Mutterschafe Glocken. Er ist sich bewusst, dass sie grosses Glück hatten, dass der Wolf nur ein Lamm totgebissen hat. «Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, über die Abschrankung zu springen und in der Herde noch mehr Tiere zu reissen», sagt Schönenberger und schiebt nach: «Vielleicht haben ihn die Kühe im Laufhof erschreckt.»
Der Schafstall ist offen gebaut. Gegen vorne, zum befestigten Auslauf hin, und auf einer Längsseite ist er nur durch Metallrohre abgegrenzt. Der Wolf hatte daher ein leichtes Spiel. Weshalb er das Lamm liegen liess, ist für Schönenberger unklar. «Vermutlich konnte er es nicht zwischen den Rohren rausziehen.»
Schafrisse auch im Thurgau
Dass ein Wolf in einen Stall eindringt, um dort Tiere zu reissen, ist eher ungewöhnlich. Und doch ist der Fall in Rossrüti bereits der dritte innerhalb von nur drei Wochen. Am 14. Januar drang ein Wolf in Thundorf TG in einen Schafstall ein, verletzte mehrere Schafe und tötete zwei. Am 30. Januar wurde in Tägerschen TG ein gerissenes Schaf gefunden. Die Rissbilder deuteten zwar auf einen Wolf hin, eine Bestätigung mittels DNA-Spuren steht aber noch aus, heisst es bei der Jagd- und Fischereiverwaltung des Kantons Thurgau.
Viele Schafhalter sind nach den jüngsten Vorkommnissen in Alarmbereitschaft. Auch Schönenbergers haben reagiert. Seit dem Vorfall von vergangenem Samstag sind an der gegen den Wald hin offenen Seite des Stalls ein Maschendrahtzaun und Paletten angebracht. Ausserdem lasse er jetzt nachts das Licht brennen, sagt Erich Schönenberger. Er hofft, dass dies genügt, um seine Tiere vor weiteren Übergriffen durch den Wolf zu schützen.
Zu wenig Risse für Abschuss
Auch wenn die Situation für die Schafhalter beunruhigend ist, dieser Wolf – wenn es denn tatsächlich einer respektive der gleiche gewesen ist – hat noch zu wenig Schaden angerichtet, als dass er zum Abschuss freigegeben würde. Dazu müsste er 35 Nutztiere in zwei Monaten reissen. Von dieser Zahl ist man derzeit noch weit entfernt. Den Tierhaltern bleibt wohl oder übel nichts anderes übrig, als den Schutz ihrer Tiere zu verstärken und zu hoffen, dass es sie nicht trifft.