Vor zehn Jahren entschied sich Yvonne Kaufmann, einen Kindheitstraum wahr werden zu lassen und Schneiderin zu werden. Seit letztem Jahr hat sie nun zusätzlich das Zertifikat als «Trachtenschneiderin von Werktags- und Sonntagstrachten im Kanton Zürich» inne. 

Rund 700 verschiedene Trachten gibt es in der Schweiz. Und jede Einzelne hat mindestens ein Detail, die sie von allen anderen abhebt. «Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Werktags- Sonntags- und Festtagstrachten. Nicht zu vergessen die Wintertracht», erklärt Yvonne Kaufmann aus Rickenbach im Kanton Zürich. Die Weinländerin hat sich in den letzten Jahren viel Fachwissen zum Thema angeeignet.

Der Traum vom Schneidern

Schon als kleines Mädchen habe sie Ballkleider für ihre Barbiepuppen genäht, erzählt die 44-Jährige. «Aber eine Lehre als Schneidern wollte ich doch nicht machen. Damals schien es, als habe der Beruf keine Zukunft.» Yvonne Kaufmann lernte Pharma-Assistentin, heiratete später ihren Mann Thomas und wurde Mutter von Michèle und Sandro. Ihre Freude am Nähen trat in den Hintergrund. 

Aber als die heute 16-jährige Michèle zwei Jahre alt wurde, packte Yvonne Kaufmann doch wieder das Nähfieber. «Ich besuchte über Jahre hinweg einen Hobby-Nähkurs. Dann sah ich die Ausschreibung für eine vierjährige Diplomausbildung als Modedesigner und entschied mich, das Metier von Grund auf professionell zu erlernen.»

Auf Trachten spezialisiert

Es sei zwischendurch hart gewesen,erinnert sich Yvonne Kaufmann. «Wir bekamen regelmässig Heimaufgaben, die mich teils sehr gefordert haben.» Doch schliesslich hielt sie stolz ihr Diplom in der Hand und entschied sich, im benachbarten Islikon einen Raum als Atelier zu mieten. 

Kaum hatte sie ihre Ausbildung abgeschlossen, kam bereits eine spezielle Anfrage an Yvonne Kaufmann: ob sie sich nicht als Trachtenschneiderin weiterbilden wolle. «Ich war schnell überzeugt. Das traditionelle Handwerk fasziniert mich. Mein Mann hatte einige Jahre zuvor mit Jodeln begonnen und über ihn war ich zum Trachtenverein Weinland gestossen. Wir sind dort 38 Frauen. Da die bisherige Trachtenschneiderin kürzertreten wollte, suchte man nach Ersatz.»

Also wieder lernen. Diesmal standen die vielen Unterschiede der Zürcher Trachten sowie die handwerklichen Fertigkeiten im Vordergrund. «Denn bei einer Tracht wird praktisch alles von Hand gemacht. Ausser  Stoff und Faden verwenden wir keine Halbfertigprodukte. Auch die Knopflöcher werden von Hand genäht und gar die Schrägbänder stellen wir selber her. Und es dürfen nur spezielle Trachtenknöpfe verwendet werden.»

Trachtenfülle

Allein im Kanton Zürich gibt es insgesamt 40 verschiedene Trachten, davon unterschiedliche Werktagsmodelle. Sie unterscheiden sich zum Beispiel durch die Streifen auf den Schürzen. Mal laufen sie längs, mal quer. Die Zürcher Sonntagstracht ist zwar im ganzen Kanton einheitlich. Allerdings haben die Röcke verschiedene Farben: schwarz, blau, rot, grün, grau. Dann wären da noch die 15 verschiedenen Festtagstrachten, die sich meist durch ihre Stickereien unterscheiden. «Die Trachten des Zürcher Weinlands erkennt man an den gestickten Weinblättern und Trauben.» 

Grundsätzlich kann jede Frau nach eigenem Ermessen entscheiden, welche Tracht sie zu welchem Anlass anziehen will. Die Details der Trachten sind hingegen von der Trachtenkommission streng reglementiert. So ist festgelegt, dass zur Weinländer Werktagstracht eine Schürze mit Längsstreifen gehört, die Ärmel der Blusen mit einem Hohlsaum verziert sind, und der Rock mit Paspelbändern und oft mit gestickten Reben geschmückt ist.

Die Rocklänge beträgt fünf bis 27 Zentimeter ab Boden. Zudem müssen alle Einzelteile zusammenpassen. Klare Regelungen gibt es auch für den Unterrock, die knielange Unterhose, für Strümpfe, Schuhe und die Brosche am Garnfichu. Letzteres ist übrigens in seiner Zartheit ausgesprochen pflegeintensiv. «Vor dem Tragen muss jedes einzelneSpitzchen des Kragens mit Stecknadeln in Form gesteckt und mit Spraystärke fixiert werden.»

Andere Generation, andere Masse

Bei so viel Detailliebe, Qualität und Handarbeit erstaunt es nicht weiter, dass eine Sonntagstracht je nach Stoff rund 5000 Franken kostet. Eine Festtagstracht kommt auf das Doppelte zu stehen. «Die Trachtenblusen nähen daher viele selber, dafür werden zum Beispiel am Strickhof spezielle Kurse angeboten.» Nicht selten hätten die Frauen zwar schon eine Tracht von der Gross- oder gar der Urgrossmutter, die sie gern ihren Figuren anpassen lassen würden. «Doch das geht längst nicht immer. Die Frauen damals waren kleiner, die Oberkörper entsprechend kürzer. Oft haben die Erbstücke zuwenig Stoff für die Masse von heute.»

Bei aller Traditionsliebe ist die Trachtenkommission durchaus offen für Neuerungen. So müssen die Hauben zur Festtracht nicht mehr mit einem Band unter dem Kinn gebunden werden. Denn viele Frauen hatten sich beklagt, dass das Band beim Jodeln und Singen störe. Und die Trachtenröcke dürfen heute auch zwei Taschen haben, für zeitgenössischen Kleinkram wie das Handy, das heute auch bei Trachtenfrauen zur Grundausstattung gehört. 

Weitere Informationen:

www.faden-art.ch