Keramikerin? Oder doch lieber Krankenschwester? Für Marion Geissbühler war keineswegs klar, dass sie Goldschmiedin werden würde wie ihre Eltern. «Obwohl ich schöne Kindheitsrinnerungen an die alte Tretdrehbank und die Blechwalze im kleinen Goldschmiedeatelier meines Grossonkels hatte», erinnert sich die Emmentalerin. «Oder an die Sonntage, an denen meine Schwester und ich zusammen mit unserem Vater am Tisch sassen und Schmuckstücke skizzierten.» 

Marion Geissbühler entschied sich dann doch für die Goldschmiede-Lehre. Vor zwei Jahren übernahm die 37-Jährige gar das Atelier und den Laden ihrer Eltern in Konolfingen, leitet seither das siebenköpfige Team. «Führungsfragen haben mich schon länger interessiert. Nun kann ich handwerkliches Können, wirtschaftliches Denken und soziale Aspekte verbinden. Das macht meinen Berufsalltag zwar anstrengender, aber auch spannender.»

Tradition und Moderne

Das Unternehmen hat zwei Linien: traditionellen und modernen Schmuck. Das passt zu Marion Geissbühler, die von sich sagt: «Ich achte die Tradition, bin aber offen im Denken.» Normalerweise macht der moderne Schmuck den grösseren Teil der Arbeit aus. Aber im Jahr 2017 mit dem Eidgenössischen Jodlerfest und dem Unspunnenfest sieht es anders aus. «Diesen Sommer hatten wir zeitweise bis zu 24 Schmuckgarnituren pro Woche zum Reinigen hier.» 

Vollständige Neuanfertigungen gäbe es nur noch wenige, höchstens fünf pro Jahr. Aber viel alten Trachtenschmuck, der ergänzt, repariert oder aufgefrischt werden muss. Für jede Tracht gibt es genaue Vorgaben für die Haften, wie die Trachtenbroschen heissen. Für eine Berner Sonntagstracht zum Beispiel braucht es vier Göllerhaften vorne, zwei hinten, zehn Miederhaften, eine Mittelbrosche und eine kleine Brosche. 

Die hell glänzenden Hafte trägt frau übrigens nur zur Festtagstracht. Zu den Werktagstrachten gehören oxidierte Broschen oder solche aus geschnitztem Holz.  

Und dann ist da noch das erste Musterbuch des Ururgrossvaters. «Formen, Muster, Grössen: Hier ist alles dokumentiert. Das Wissen wurde von einer Generation an die nächste weitergegeben. Nur Filigranisten können das Buch lesen.» Die Muster sind detailliert und teils noch von Hand gezeichnet, wirken nostalgisch und modern zugleich.  

Mangelnder Nachwuchs

Die Ursprünge des Filigranschmucks liegen in Troja, die heutigen Formen und Muster sind vom Jugendstil
inspiriert. Zeitgenössische Arbeitsunterlagen hat das Team nicht. Denn Filigranisten gibt es nur noch ganz wenige in der Schweiz. Das Handwerk ist am Aussterben. Die speziellen Fertigkeiten werden nicht in den regulären Goldschmied-Lehren vermittelt. «Mir ist es ein grosses Anliegen, das alte Wissen weiterzugeben und alles zu dokumentieren. Das ist eines meiner Ziele.» 

Mangels Nachwuchs finden sich Fachkräfte für das Atelier schwer.  Neben Marion Geissbühler gehört der langjährige Mitarbeiter Zef Memaj dazu und seit letztem Jahr auch Milad Kourie, der als Flüchtling aus Syrien in die Schweiz kam. «Milad habe ich vor drei Jahren per Zufall in der Sendung SRF-Mitenand gesehen. Er hat in seiner Heimat 16 Jahre als Goldschmied gearbeitet, fand in der Schweiz aber nur Arbeit als Gärtner.

Da die Filigrantechnik im arabischen Raum sehr verbreitetet ist, bin ich sofort hellhörig geworden.» Nach vielem Hin und Her schaffte es Marion Geissbühler, das Milad Kourie ein Praktikum in ihrem Betrieb machen durfte, wo er mit seinem Können überzeugte. 

Präzision mit feinem Silberdraht

Das Material für die Filigranbroschen ist nur gerade 0,3 Millimeter dicker Silberdraht. Gearbeitet wird mit Werkzeugen, die sich seit 100 Jahren kaum verändert haben. Die Grundform jeder Hafte gibt der sogenannte Stellungsdraht; er wird zum Beispiel in Form einer Blüte gebogen und zusammengelötet. Aufgefüllt wird mit winzigsten Spiralen oder Blüten aus gewalztem Draht, die ebenfalls ganz vorsichtig festgelötet werden. «Die Broschen werden Etage für Etage gefertigt. Hinter jeder Hafte stecken fünf bis zehn Stunden Präzisionsarbeit.» 

Die Filigrantechnik wird im Atelier Geissbühler auch für modernen Schmuck eingesetzt. «Wir fertigen unter anderem aus alten Schmuckstücken neue an: Aus einem Filigran-Anhänger der verstorbenen Mutter wird zum Beispiel ein moderner Herrenring für den Sohn.» 

Sie sei «leidenschaftliche Goldschmiedin» und liebe es, moderne Schmuckstücke mit einer klaren eigenen Linie zu entwerfen und anzufertigen. Damit geht Marion Geissbühler auch an Ausstellungen. «Die Leute wollen sehen, wer hinter einer Kreation und einem Laden steht.» Eine Tracht? Nein, sie habe keine.   «Aber mir geht das Herz auf, wenn ich eine Frau mit Tracht und Schmuck sehe.»

Weitere Informationen:

www.ateliergeissbuehler.ch