Stellt man sich Frauen in der Landwirtschaft vor, drängt sich das Bild der Bäuerin in den Vordergrund. Das ist die Frau mit dem grossen Gemüsegarten, die eine Horde von Kindern ohne Problem im Griff hat und täglich frisch gekochte Mahlzeiten rechtzeitig auf den Tisch bringt. Doch die Realität sieht anders aus.

Auf den Höfen arbeiten neben den «klassischen» Bäuerinnen auch Landwirtinnen, die mit dem grossen John Deere die Kartoffeln zur Annahmestelle fahren oder an der Regionalschau mit Stolz ein Rind in den Ring führen. Einige der Bäuerinnen und Landwirtinnen führen zudem den Betrieb eigenständig.

Rollenbilder im Wandel

«Die Gesellschaft und unser Rollenverständnis haben sich verändert», weiss Anne Challandes, Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbandes (SBLV). «Frauen sind heute gut ausgebildet und bestimmen selbst über sich. Viele nutzen ihre Chance und beteiligen sich aktiv im Betrieb.[IMG 2]

Diese Aussage wird durch die Resultate der letztjährigen BLW-Studie «Frauen in der Landwirtschaft» bestätigt. 26 Prozent der unter 35-Jährigen nennen sich alleinige Betriebsleiterin, über alle Altersgruppen hinweg sind es neun Prozent, Tendenz steigend. Unabhängig von ihrem offiziellen Status geben über zwei Drittel der Frauen an, den Betrieb gemeinsam mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin zu leiten. Besonders junge Frauen übernehmen vermehrt leitende Tätigkeiten in einem spezifischen Betriebszweig wie auch auf dem ganzen Betrieb.

[IMG 3]«Gesetzlich sind Frau und Mann in der Schweiz gleichgestellt», erinnert Sandra Contzen. Sie forscht an der Berner Fachhochschule als Agrarsoziologin im Bereich Geschlechterbeziehungen und -gerechtigkeit in der Schweizer Landwirtschaft. «Die Rollenbilder in der Gesellschaft sind aber geprägt durch Traditionen und Vorstellungen. Diese zementierten klassischen Rollen halten sich vor allem in der Landwirtschaftsbranche hartnäckig.»

Sandra Contzen erklärt weiter, dass die Vorbildrolle von zentraler Wichtigkeit ist. «Wenn ein Mädchen sieht, dass seine Mutter Traktor fährt und den Stall managt, dann ist die Chance grösser, dass es das später auch selbst tun wird.» Die elterlichen Vorbilder sind aber nicht ausreichend. Es braucht auch in der Bildung, Beratung und dem beruflichen Umfeld sichtbare Frauen, die motivieren, Wege aufzeigen und beim Vernetzen unterstützen.

Haushalt auslagern?

Die Belastung der Frauen, vor allem von Müttern mit kleinen Kindern, ist hoch. Sie sind auf dem Betrieb engagiert, arbeiten auswärts und managen Haushalt und Kinder. Während man auf dem Betrieb Arbeiten auslagert und es zur Normalität gehört, dass beispielsweise ein Lohnunternehmer engagiert wird, ist es bis heute ein grosses Tabu, dass eine Reinigungskraft eingestellt wird oder Kinder fremdbetreut werden.

Sandra Contzen begründet dies mit der fehlenden Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber der Hausarbeit, wogegen auch der SBLV ankämpft. Es wird erwartet, dass Frau den Haushalt nebenbei erledigt, der zeitliche Aufwand dafür wird unterschätzt. «Es wird vergessen, dass auch früher Kinder nicht 24/7 von ihrer leiblichen Mutter umsorgt wurden.» Man lebte in Grossfamilien mit Tanten und Cousins, die sich aktiv an der Kinderbetreuung beteiligten. «Je normaler familienexterne Kinderbetreuung in der Gesellschaft wird und zudem staatlich unterstützt wird, desto eher wird wohl auch in der Landwirtschaft die externe Kinderbetreuung als eine Chance gesehen werden.»

Wirtschaftlich wichtig

Frauen in der Landwirtschaft lassen sich nicht schubladisieren, sie sind so vielseitig wie ihre Betriebe. Ob Quereinsteigerin, Landwirtin, Bäuerin, Agrotechnikerin oder Agronomin, sie alle leisten einen wesentlichen Beitrag für die Branche.

In der BLW-Studie fragte man nach, wie sich die Frauen selbst sehen. Mit drei Vierteln bezeichnet sich die Mehrheit als Hausfrau und Mutter, knapp die Hälfte (48 Prozent) nennt sich Bäuerin. Als Mitbewirtschafterin des Betriebes fühlen sich 36 Prozent.

«Die wirtschaftliche Bedeutung der Frauen für die Betriebe nimmt zu: in der Betriebsleitung, in der Mitarbeit auf dem Betrieb oder durch die ausserbetriebliche Tätigkeit», weiss auch Anne Challandes. Etwa jede zweite Frau arbeitet mehr als zehn Stunden wöchentlich auswärts.

Selbstvertrauen aneignen

Auf den Höfen sind ein Viertel der Frauen für mindestens einen Betriebszweig allein verantwortlich und unterstützen dadurch den Betrieb erheblich. Fast die Hälfte der Frauen unter 35 Jahren geben an, dass sie mit dem Einkommen aus ihrem Betriebszweig mehr als 50 Prozent zum Gesamteinkommen beitragen. Ihre Arbeit und das damit erwirtschaftete Einkommen machen somit einen grossen Anteil des Familienbudgets aus.

Sandra Contzen und Anne Challandes sind sich einig, dass Aus- und Weiterbildung von grosser Wichtigkeit sind, damit können sich die Frauen neben Wissen auch Selbstvertrauen aneignen.

An zweiter Stelle steht der Aspekt der Vernetzung, um sich gegenseitig zu unterstützen und auch eine Vorbildrolle einzunehmen. Kritisch hinterfragt Sandra Contzen die Rolle der Bildung für die Geschlechtergerechtigkeit in der Landwirtschaft. Anne Challandes betont, dass auch die Unterstützung in der Branche wichtig ist und die Frauen gute politische Rahmenbedingungen brauchen.

Frauen sichtbar machen
Frauen sind für die Landwirtschaft wichtig, doch ihre Arbeit und ihr wirtschaft­licher Beitrag sind oft kaum sichtbar. Bei bisherigen Forschungen standen zudem die Bäuerinnen im Fokus. Über Landwirtinnen, (Co-)Betriebsleiterinnen und Quereinsteigerinnen fehlt Grundlagenwissen.

Um diese «Praktikerinnen» sichtbar zu machen, haben die Berner Hoch-schule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) und der Verein «Vision Landwirtschaft» ein interdisziplinäres Projekt mit folgenden Zielen gestartet: Mehr über den ökonomischen Beitrag der Frauen für die Höfe erfahren und über ihre Stellung im System. Gemeinsam mit den Praktikerinnen Massnahmen zur Vernetzung und Stärkung entwickeln und umsetzen. Die gewonnenen Erkenntnisse über geeignete Kanäle verbreiten.

«Wir wollen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene Veränderungen hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Landwirtschaft anstossen», erklärt Sandra Contzen dazu, Dozentin für Agrarsoziologie an der HAFL. Sie leitet das Projekt gemeinsam mit Laura Spring von Vision Landwirtschaft.

Ja zum Landwirt, nein zur Landwirtschaft
Neben den Frauen, die sich aktiv auf den Betrieben engagieren gibt es auch diejenigen, die zwar mit einem Landwirt liiert sind und auf einem Bauernhof leben. Sie arbeiten jedoch ganz bewusst oder aus gesundheitlichen Gründen nicht auf dem Betrieb mit. Über sie wird wenig gesprochen und auch in der umfangreichen BLW-Studie werden sie nicht erwähnt.

Es braucht Mut, sich als Frau eines Landwirts gegen die betriebliche Mitarbeit und für den eigenen Beruf zu entscheiden. Denn auch wenn diese Regelung für das Paar stimmig ist, können die Reaktionen des direkten Umfelds stark belasten.

Sandra Contzen findet klare Worte: «Man verliebt sich in den Mann, nicht in den Bauern. Es darf heute nicht mehr von einer Frau verlangt werden, dass sie alles für ihren Partner aufgibt.» Auf Dauer ist es schädlich für die Beziehung und die Frau selber, wenn sie sich dem Mann zuliebe im Betrieb engagiert und gleichzeitig unglücklich ist mit ihrem Lebensinhalt. «Ohne sich rechtfertigen zu müssen sollten auch Frauen sagen können ‘ich bin die Partnerin eines Landwirten und arbeite nicht im Betrieb mit’», wünscht sich Anne Challandes.