Sei es wegen der Kinder oder um auf dem Hof mitzuwirken: Viele Frauen in der Landwirtschaft arbeiten nur mit einem Teilzeitpensum in ihrem erlernten Beruf. «Das ist eine der Entscheidungen im Leben, die grosse finanzielle Konsequenzen haben kann», sagt Agnes Schubert. Sie arbeitet bei Alliance F, dem Dachverband der Schweizer Frauenorganisationen. Dort ist sie als Projektleiterin unter anderem für «Cash or Crash» zuständig, einem Online-Tool, das spielerisch die finanziellen Auswirkungen von Lebensentscheidungen aufzeigt.

In Sachen Teilzeitarbeit nimmt die Schweiz im europäischen Vergleich Platz zwei ein – nach den Niederlanden: dort gibt es per Gesetz ein Anrecht auf Teilzeit ohne Lohndiskriminierung. Hierzulande arbeiten 58 Prozent der berufstätigen Frauen Teilzeit, bei den Männern sind es nur 19 Prozent. Bekannt ist auch, dass das Einkommen von Frauen wegen des Teilzeitpensums nach der Geburt des ersten Kindes um durchschnittlich 60 Prozent sinkt. Die finanziellen Risiken, vor allem im Alter oder bei einer Scheidung, sind vielen nicht bewusst.

Fokus nicht auf Finanzen

«Frauen beschäftigen sich zu oft zu spät im Leben mit dem Thema Finanzen», weiss Agnes Schubert. «Eine Studie ergab, dass selbst bei einer Scheidung nur ein Fünftel an die Altersvorsorge denkt.» Das hat Auswirkungen: Der Wiedereinstieg wird schwieriger, die Aufstiegschancen im Job sind kleiner und das Risiko von Altersarmut steigt. So ergab eine Studie, dass Frauen, die heute im Pensionsalter sind, im Durchschnitt mehr als ein Drittel weniger Rente erhalten als Männer. Das sind rund 20 000 Franken pro Jahr.

Wie kommt es, dass sich die Frauen in der Schweiz wenig um die eigene Finanzplanung kümmern? «Das beginnt oft bereits bei der Berufswahl», so Agnes Schubert. «Frauen arbeiten häufig in schlechter bezahlten Branchen.» Alte Rollenbilder halten sich hartnäckig («der Mann kümmert sich ums Geld»). Dazu kommt, dass Finanz- und Wirtschaftsthemen an den Schulen wenig Zeit gewidmet wird, das Wissen darüber ist lückenhaft. «Nicht zuletzt können es sich viele Paare mit Kindern leisten, dass ein Elternteil Teilzeit arbeitet.»

Die neue Finanzplattform «Cash or Crash» will nun Frauen und Männer niederschwellig und auf spielerische Art dazu sensibilisieren, sich mit der eigenen Finanzplanung auseinanderzusetzen. Wie bei einem Online-Game kann man sich einen Avatar gestalten und mit den bevorzugten Farben einkleiden. Man kann unter anderem seinen Lohn und den des Partners oder der Partnerin eingeben, das Arbeitspensum, die Anzahl Kinder, den Zivilstand.

Das Tool zeigt die finanziellen Folgen von Lebensentscheidungen auf, zum Beispiel:

  • Wie wirkt sich Teilzeitarbeit aus, auch längerfristig?
  • Was bringt es, den Lohn zu verhandeln?
  • Lohnt sich ein höherer Bildungsabschluss?
  • Was ändert sich, wenn man zusammenzieht?
  • Welche Vor- und Nachteile hat eine Heirat?
  • Wie sieht die Situation mit Kindern aus?
  • Was, wenn es zu einer Scheidung kommt?
  • Kann man im Alter von der Rente leben?

Einfacher Einstieg

Das Tool wurde von Alliance F zusammen mit einem Büro für arbeits- und sozialpolitische Berechnungen entwickelt. Die Berechnungen basieren auf wissenschaftlich abgestützten Daten. Die Plattform richtet sich vor allem an Frauen und Männer zwischen 25 und 40. «In diesem Alter fällt man wichtige Lebensentscheidungen, wie Kinder oder Heirat», sagt Agnes Schubert. «Wir wollten auf spielerische Art an Menschen herantreten, die bisher nicht finanzaffin waren.» Das Tool will Aha-Momente schaffen: Was bedeutet es, wenn ich mich so oder so entscheide?

Neu und speziell an «Cash or Crash» sei, dass auch die sich abflachende Lohnkurve einberechnet wird, wenn man Teilzeit arbeitet. Denn dann bestehen in der Regel weniger Aufstiegschancen. Noch ist die Plattform nur als Beta-Version nutzbar. Das heisst, sie ist funktionsfähig, entspricht aber noch nicht der endgültigen Fassung. «Seit Oktober wurde die Plattform von rund 20 000 Usern genutzt, vor allem von Frauen zwischen Ende 20 bis Mitte 30», sagt Agnes Schubert.

Offene Gespräche

Für viele ist dies die Zeit im Leben, in dem das Thema «Kinder» aktuell wird. «Die Ergebnisse können offene Gespräche in der Partnerschaft fördern, etwa darüber, wie man die Berufs- und Betreuungsarbeit künftig aufteilen will. Denn vielen Frauen ist gar nicht bewusst, wie gross die Einkommenseinbussen sind.» Oft würden diese unterschätzt, die Kosten für eine externe Kinderbetreuung dafür überschätzt.[IMG 2] 

Die Online-Plattform ist ein erster Schritt einer geplanten Finanzbildungsoffensive, die Alliance F unter anderem zusammen mit dem Dachverband Budgetberatung Schweiz plant. Als Nächstes soll eine Sensibilisierungskampagne lanciert werden, um besonders Frauen dazu zu motivieren, mithilfe von «Cash or Crash» die finanziellen Folgen ihrer Lebensentscheidungen zu berechnen.

Weiter sind niederschwellige Finanzbildungsworkshops geplant. «Noch sind wir dabei, die finanziellen Mittel dafür zu generieren», sagt Agnes Schubert. «Doch wir sind auf gutem Kurs.» Verschiedene mögliche Geldgeber hätten Interesse signalisiert. Zusätzlich hat der Verband zusammen mit «Budgetberatung.ch» eine Crowdfunding-Aktion lanciert, an der sich auch Private beteiligen können.

Mehr Gleichgewicht

«Finanzbildung ist enorm wichtig», erklärt die Fachfrau das Engagement. «Doch es gibt bisher kein entsprechendes Angebot für junge Frauen oder Menschen mit Kinderwunsch. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht in der Gesellschaft.» Es gehe dabei nicht um Detailwissen. «Aber wenn man nur schon den eigenen Vorsorgeausweis versteht, bringt das einem etwas.»

Das gilt auch für Landwirtinnen und Bäuerinnen, die vorwiegend als Selbstständigerwerbende auf dem Hof tätig sind. «Wir alle brauchen gute Finanzkompetenzen. Das gibt neue Anregungen und lässt spielerische Überlegungen zu.» Das helfe auch bei Entscheidungen, etwa ob sich eine Investition auf dem Betrieb, eine Weiterbildung oder ein neuer Betriebszweig lohne oder nicht.

Ein Drittel ohne Lohn

Nicht vergessen werden darf man zudem, dass ein Drittel der Frauen in der Schweizer Landwirtschaft keinen Lohn für ihre Mitarbeit auf dem Hof erhalten. Sie haben somit auch keinen Anspruch auf berufliche Vorsorge oder Sozialleistungen bei Mutterschaft. «Wer daneben keinen auswärtigen Job hat, steht im Hinblick auf die Zukunft schlecht da», sagt Agnes Schubert. Bei solch einer Teilzeit-Erwerbstätigkeit ausserhalb des Hofs sei es wichtig, so viel zu verdienen, dass man die Eintrittsschwelle der Pensionskasse erreicht. Wer auf Nummer sicher gehen will, arbeitet mindestens 70 Prozent gegen Entlöhnung. Denn wer längere Zeit weniger als 50 Prozent erwerbstätig ist, läuft Gefahr, dass die Rente nach der Pensionierung nicht fürs Leben reicht.

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