Entschlossen winkt die Zweieinhalbjährige die Besucherin ums Eck. Behänd kraxelt die Kleine auf einen Felsen, der so manche Stadtmutter nervös machen würde. «Schau. Das sind alles meine Kühe», erklärt das Kind mit Stolz und deutet auf die unter der Alphütte liegende Weide mit über 30 Tieren. Doch dann stutzt das Mädchen: «Wo ist Aisha?»
«Ronya kennt viele Kühe hier auf der Alp mit Namen», sagt Corina Blöchlinger wenig später, während sie in der einfachen Küche das Mittagessen kocht. «Sie erkennt die Tiere sogar auf grosse Distanz.» Die Kuh Aisha sei auf der hinteren Weide, beruhigt sie ihre Tochter.
Alpsommer mit Kindern
Corina Blöchlinger betreut diesen Sommer gemeinsam mit ihrem Mann Reto die Alp Bärlaui oberhalb des Wägitals im Kanton Schwyz. Mit dabei sind die beiden Kinder des Paares: Ronya und der erst fünf Monate alte Cyrill. Auf der Alp sömmern insgesamt 220 Tiere an drei Standorten: 117 Stück Rindvieh – Galtkühe, trächtige Tiere, Mutterkühe und Kälber – sowie 103 Schafe, zwei Schweine und drei Kaninchen.
Sie seien den dritten Sommer hier, erzählt Corina Blöchlinger. Die Familie hat sich bewusst für eine Alp entschieden, auf der nicht gekäst wird – obwohl Reto Blöchlinger leidenschaftlicher Senn ist und für seinen Alpkäse schon ausgezeichnet wurde. «Doch mit Kleinkindern war uns etwas mehr Flexibilität im Tagesablauf wichtig.»
[IMG 1]
Arbeit aufteilen
Die Alp Bärlaui liegt etwas abgeschieden unterhalb des Gross Aubrig. Sie ist nur über steile Bergwanderwege zu erreichen. Eine einfache Lastenseilbahn hilft beim Materialtransport. Die Arbeit hat sich das Paar aufgeteilt: Während Reto am Morgen zu den Tieren auf den höher gelegenen Alpweiden steigt, nimmt Corina die Kinder auf, schaut zu den 43 Rindern, die rund ums Haus weiden, und kümmert sich um Schweine und Kaninchen.
«In anderen Jahren war ich mehr um die Kühe herum und als Hirtin verantwortlich für die Tiere», erklärt Corina Blöchlinger. Doch diesen Sommer ist die Agronomin noch im verlängerten Mutterschaftsurlaub. «Zeit mit den Kindern zu haben, geniesse ich sehr.»
Der Link zur Alp
Ausserhalb des Alpsommers arbeitet die 34-Jährige drei Tage die Woche an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen bei Bern. Zusammen mit Hans Ramseier ist sie zuständig für das Vorstudienpraktikum.
Corina Blöchlinger unterstützt die Praktikantinnen und Praktikanten beim Vermitteln der Höfe, kümmert sich um das Administrative, den Unterricht und hilft bei Konflikten. «Zwei Drittel der Praktikanten kommen nicht aus Bauernfamilien und einige haben illusorische Vorstellungen.» Manchmal gebe es auch Probleme mit dem Betriebsleiter. Zusätzlich unterrichtet sie «Rindergesundheit». «Dort ist der Link zur Alp, zum Praktischen. Ich nehme viel aus unserem Alltag hier oben mit.»
Früher Entscheid
Sie selbst ist ebenfalls in einem nicht bäuerlichen Haushalt aufgewachsen, im st.gallischen Amden. Als Gymnasiastin hatte sie die Gelegenheit, während fünf Wochen in Kanada eine Farm zu besuchen. Nach der Rückkehr war für sie klar, dass sie Agronomie studieren wollte. «Seither bin ich mit der Landwirtschaft verbunden, sie ist unser tägliches Brot, beruflich und privat.» Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie die Firma Alpteam Reco, die sich auf Betriebshelfer-Einsätze spezialisiert hat.
Im April 2022 wurde die passionierte Älplerin zudem als Vertreterin der Ostschweizer Bäuerinnen und Landfrauen in den Vorstand des Schweizerischen Verbandes der Bäuerinnen und Landfrauen (SBLV) gewählt. «Erst wollte ich nicht, weil die Kinder noch so klein sind.» Doch dann habe sie gemerkt, wie vielfältig die Aufgabe ist.
Kein Unterschied
«Das Zentrale ist, dass der SBLV alle Frauen vom Land anspricht.» Sie selbst hat Mühe mit dem Unterschied zwischen Landwirtinnen und Bäuerinnen, auch wenn die Ausbildung verschieden ist. «In der Praxis können beide beides, auf den Betrieben fliesst vieles ineinander. Die Bäuerin steht genauso im Stall wie die Landwirtin in der Küche. Zudem wollen die jüngeren Frauen heute mitreden und den Betrieb mitgestalten.»
Handlungsbedarf sieht sie unter anderem bei der sozialen Absicherung, aber auch bei Themen wie Kinderbetreuung, psychische Belastung und die Vernetzung der Frauen auf dem Land. «Sie sind weniger vernetzt als die Stadtfrauen und werden daher auch weniger gehört. Doch ihre Stimmen sind wichtig.»
Die Betreuung teilen
Corina Blöchlinger hat nach dem Mittagessen einen Moment Pause. Ronya hält Mittagsschlaf, Cyrill strampelt frisch gestillt und zufrieden in den Armen seines Vaters. «Reto schaut gerne und oft zu den Kindern.» Dadurch ist es ihr möglich, ihre Tätigkeiten und die Familie unter einen Hut zu bringen. «Ohne Retos grosse Unterstützung und die Flexibilität der HAFL würde es nicht funktionieren.»
Solch eine Arbeitsteilung zwischen Ehepartnern ist offenbar noch keine Selbstverständlichkeit. «In allen elf Alpsommern musste ich mir irgendwann anhören, dass Frauen auf einer Alp nichts zu suchen haben.» Manche Kuhhalter wollten aus Prinzip erst mal mit ihrem Mann sprechen, obwohl sie für die Tiere verantwortlich gewesen sei.
Corina Blöchlinger blickt auf den blauen Wägitalersee im Tal. «Dabei müssten viele Alpen ohne Frauen dichtmachen», weiss sie. Sie wolle daher auch die Sicht der Älplerinnen und Älpler in den Vorstand bringen. Obwohl ihre Tage schon heute gut gefüllt sind, freut sie sich auf die Arbeit. «Ich wusste im Vorfeld nicht, wie politisch aktiv der Verband ist. Doch wir können mit unserer Arbeit etwas bewegen.»