Kurz vor dem Jahreswechsel haben wir den SBV-Präsidenten auf seinem Betrieb in Altstätten SG zu einem Gespräch getroffen.

Markus Ritter, hat Sie der Bundesrat auf dem falschen Fuss erwischt?
Markus Ritter: Wir waren überrascht, dass der Bundesrat die Gesamtschau in dieser Form gebracht hat, waren wir doch davon ausgegangen, dass er das Abstimmungsergebnis sehr sorgfältig analysiert und auch seine eigenen Aussagen im Parlament einfliessen lässt. Zudem hatten wir erwartet, dass er die Entwicklungen auf internationaler Ebene – den Brexit und die neue Position der USA – mit einbezieht. All das hat der Bundesrat in keiner Art und Weise in seine Überlegungen einfliessen lassen.

Hat der Bundesrat nicht genau das gemacht, was man aufgrund des Inhalts der Ernährungssicherheits-Vorlage hatte befürchten müssen?
Aufgrund der Zusammensetzung und des Gedankenguts des Bundesrats waren solche Befürchtungen tatsächlich nicht unbegründet. Für uns war aber vor allem enttäuschend, dass die Regierung das Abstimmungsresultat komplett anders interpretiert hat, als sie zuvor in der Behandlung im Parlament beteuert hat. Dort wurde klar gesagt, dass es beim Freihandelspassus im neuen Artikel um ergänzende Importe bei Lebensmitteln geht und dass die inländische Produktion der wichtigste Pfeiler der Ernährungssicherheit darstellt.  

Mit seinem Verhalten hat der Bundesrat allen bäuerlichen Kritikern an der Abstimmungsvorlage Recht gegeben…
Insofern Ja, als dass die Befürchtung im Raum stand, der Bundesrat sei unzuverlässig und man könne ihm nicht trauen.

Aber würden Sie nochmal den gleichen Weg wählen mit der Aufgabe der Initiative zugunsten des Gegenvorschlags?
Ja, ich bin vollumfänglich überzeugt, dass es der richtige Weg war, selbst wenn wir einen anderen Weg gewählt hätten, wäre der Bundesrat genau gleich vorgegangen. Aber wenn wir verloren hätten, wären wir heute in einer viel schlechteren Position. Jetzt haben wir einen sehr präzis formulierten Verfassungsartikel mit einem klaren Volksentscheid, auf dem wir argumentativ aufbauen können. Bundesrat Schneider-Ammann probiert sich mit immer neuen Varianten rauszureden. So kann man das einfach nicht machen in der Politik.

Der Eindruck entsteht, dass die Situation zwischen der Landwirtschaft und dem Bundesrat sehr verhärtet ist.
Verhärtet würde ich nicht sagen, ich würde jeder Zeit mit ihm reden. Es ist eher eine gewisse Ratlosigkeit. Wie gehst Du mit einer Situation um, wenn Du Dich bei demjenigen der gegenüber sitzt nicht darauf verlassen kannst, was Bestand hat und was nicht, immer abhängig davon, was ihm seine Kommunikationsleute gerade in die nächste Rede schreiben, das ist die Unsicherheit.

Ist es ein Problem Schneider-Ammann oder ein Problem Bundesrat?
Grundsätzlich werden die agrarpolitischen Entscheide vom Bundesrat gefällt, vorbereitet vom WBF. Wer dort die Fäden gezogen hat, das ist mir nicht klar. Aber irgendjemand hat den Teil zu den Grenzöffnungen formuliert und diese Person hatte dabei eine sehr unglückliche Hand. Die Formulierungen sind sehr klar in der Gesamtschau: 30-50% Abbau der Preisdifferenz zum Ausland, kleine, kurz befristete Kompensationszahlungen und dann die Lösung über den Strukturwandel. Aber der Bundesrat hat versucht, sich rauszureden. Das Problem ist der Mangel an Glaubwürdigkeit, man weiss nicht mehr, an was man sich halten kann, was ist wahr? Das ist eine unglaubliche Situation.

Jetzt ist ein Runder Tisch geplant, wollen Sie überhaupt teilnehmen?
Der Vorstand hat sich an der letzten Sitzung Mitte Dezember intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt. Wir haben beschlossen, den Bundesrat einzuladen zu einem Gespräch, in dem es um die Art und Weise der Zusammenarbeit, der Kommunikation und die Gestaltung künftiger agrarpolitischer Prozesse gehen soll. Wir warten jetzt auf die Antwort. Die kantonalen Landwirtschaftsdirektoren haben übrigens ein ähnliches Bestreben. Was wir nach wie vor nicht sehen, ist mit dem Bundesrat über die Gesamtschau zu reden, die ist inhaltlich so falsch auf den Schienen, dass man sie von Grund auf neu schreiben muss.

Schreddern wäre somit nach wie vor der richtige Umgang mit dem Papier?
Das ist richtig, ja, mindestens auf jeden Fall den Grenzöffnungsteil und in der Folge müssten die anderen Kapitel angepasst werden.

Aber um Zugeständnisse zugunsten der Exportindustrie kommen Sie kaum herum?
Wir sagen diesbezüglich noch immer dasselbe: Wir importieren 40% der Lebensmittel. Im Unterschied zur EU haben wir deshalb relativ viel Manövriermasse für präferenzierte Zollkontingente für gewisse Produkte, ohne dass es der Schweizer Landwirtschaft überhaupt weh tut. Genau in diesem Bereich sähen wir auch Verhandlungsspielraum, das heisst, keine Zugeständnisse bei den sensiblen Produkten und Zollkontingente dort, wo wir weniger zu bieten haben. Man muss also beim Grenzschutz statt horizontal zu reduzieren, gezielt mit Zollkontingenten arbeiten und so in Freihandelsabkommen versuchen, Gegengeschäfte auszuhandeln. Deshalb ist es völlig falsch, dass der Bundesrat den Agrarschutz generell um 30 bis 50% senken will, weil er sich so die eigene vorhandene Verhandlungsfähigkeit reduziert, das ist eine Dummheit.

Wäre es mit einem anderen Bundesrat besser?
Grundsätzlich muss man immer mit dem gewählten Bundesrat arbeiten. Wir führen zur Zeit eine Umfrage bei der Basis durch. Die erste Frage lautet, ob man überhaupt gewillt ist auf die AP 22+ einzutreten, wenn sie auf Basis der vorliegenden Gesamtschau daher kommen würde oder ob es nicht besser wäre, die AP 14-17 für zwei oder vier Jahre nur mit Verordnungsanpassungen weiterzuführen und dann eine Revision anzustreben, wenn andere Leute das Departement und das zuständige Bundesamt führen. An beiden Orten stehen Wechsel unmittelbar bevor. Der Vorstand ist der Meinung, dass dies auch ein Weg sein könnte, wenn keine Bereitschaft besteht die AP22+ grundlegend auf ein neues Fundament zu stellen. Wenn wir auf der gegenwärtigen Basis ins Parlament gehen und eine Detaildiskussion beginnen, droht eine unbefriedigende Lösung mit vielen Kompromissen und Konzessionen.

Also eine Art Eintretensdebatte?
Genau, wenn die Mehrheit der Mitgliedorganisationen diese Meinung vertreten würde, werden wir diesen Weg einschlagen, um so Klarheit zu schaffen wohin die Reise geht. Das ist rechtlich problemlos möglich. Die Stossrichtung wird von der Landwirtschaftskammer im April festgelegt. Wir müssen gegenüber dem Bundesrat eine ganz klare Haltung und Position einnehmen und ihm verständlich machen, dass es auf der gegenwärtigen Basis keine Agrarreform mit uns gibt. Es wäre nicht tragisch, wenn bestehendes Recht weiter gelten würde. Es gibt keinen anderen Politbereich, wo Gesetze innert so kurzer Zeit revidiert werden, wie in der Landwirtschaft.

Wo braucht es Änderungen bei der Strategie des Bundesrats?
Wir würden uns zunächst einmal eine grundlegende Analyse von AP 14-17 wünschen, eine solche liegt nicht vor. Welche Wirkung ist eingetreten, welche Ziele wurden erreicht, wohin ging das Geld, wie haben sich die Einkommen verändert etc. Aufgrund einer solchen Analyse könnte man in der Folge den Handlungsbedarf festlegen. Wir sind der Ueberzeugung, dass das Parlament mehrheitlich unserer Meinung ist und nicht dem Bundesrat folgt.

Denken Sie, am besten würden Sie selber in den Bundesrat?
Nein, das steht nicht zur Debatte. Der SBV ist im Moment sehr schlagkräftig aufgestellt und wir sollten in dieser Konstellation weiterfahren, um die Basis zu schaffen für eine zukunftsfähige Schweizer Landwirtschaft.

Es gab auch Stimmen die sagten, der SBV habe zu fest Gas gegeben gegen die «Gesamtschau». Fühlen Sie sich getragen von der Basis in der harten Haltung?
Der Schreck ist bei allen Organisationen tief in den Gliedern, niemand will das mittragen, was der Bundesrat fordert. An der DV wurde einstimmig beschlossen, das Papier zurückzuweisen. Es gibt sicher den kleinen Teil, der aufgrund der Abstimmung skeptisch war, das sind aber diejenigen, welche am meisten verstehen dürften, dass wir auf die Barrikaden gehen. Die Basis ist sehr dankbar, dass wir uns so geschlossen und entschieden wehren. Ich habe im Parlament als auch in wirtschaftsfreundlichen Kreisen kaum jemanden gehört, der den Bundesrat in Schutz genommen hätte. Alle wussten, dass wir recht haben.

Haben Sie nicht Angst, dass Freihandelsverbots-Initiativen nun wieder Auftrieb erhalten?
Wir haben mit FairFood, die sicher an die Urne kommt und der Ernährungssouveränität Initiativen, die solche Fragen thematisieren. Wenn der Bundesrat weiterhin so ungeschickt agiert, ist er der beste Abstimmungshelfer für solche Volksbegehren. Der Bundesrat hat langsam ein Glaubwürdigkeitsproblem. Er hält sich auch beim Budget nicht an die Vorgaben des Parlaments. Weder die Beschlüsse zum Zahlungsrahmen 2018/21 noch zum Stabilisierungsprogramm 2017/19 haben ihn davon abgehalten wiederum eine Kürzung des Budgets der Landwirtschaft von fast 100 Millionen Franken für 2018 zu beantragen. Wiederum hat das Parlament diesen Entscheid des Bundesrates in der Wintersession korrigiert.

Stichwort Initiativen: Macht Ihnen die Hornkuhinitiative, die 2018 zur Abstimmung kommt Sorgen?
Sicher ist, dass diese Initiative inhaltlich zu wenig Substanz hat, als dass sich die Landwirtschaft darob in die Haare geraten sollte. Wir müssen dafür schauen, dass wir uns in Sachen Hornkühen geeint und in positiver Weise darstellen können. Die Frage ist jetzt, ob es noch einen indirekten Gegenvorschlag gibt, die WAK behandelt das Thema im Januar. Dies wäre unter Umständen denkbar, denn selbst im Falle eines Ja zum Verfassungsartikel, haben die Initianten noch nichts in der Hand, keinen Franken auf sicher. Auf dem Tisch ist ja auch noch eine Kommissionsmotion meinerseits für zusätzliche Strukturbeiträge bei Stallbauten für behornte Kühe.

Eine weitere Initiative droht bald: die für «sauberes Trinkwasser», die bereitet Ihnen wohl deutlich grössere Sorgen?
Das ist richtig, diese hätte im Falle einer Zustimmung deutlich gravierendere Konsequenzen. Wir nehmen diese Initiative sehr ernst. Wir müssen bis die Initiative kommt klar aufzeigen können, was wir gemacht haben, das heisst, wir müssen den Aktionsplan Pflanzenschutzmittel umsetzen und das den Leuten glaubhaft dokumentieren können. Wir wollen im nächsten Jahr einen Schwerpunkt setzen und proaktiv aufzeigen, dass wir die Sache im Griff haben. Betroffen wären übrigens nicht nur die Bauern bei einer Annahme der Initiative sondern auch Verarbeitung und Handel, es wird eine relativ breite Allianz da sein, die sagt, so geht es nicht.

Der Aktionsplan gilt ja bei den Kritikern als ziemlich zahnlos, was meinen Sie zu diesem Vorwurf?
Ich habe den Kritikern gesagt, hört auf zu diskutieren, das wichtigste ist jetzt, dass wir an die Arbeit geben und die Ziele erreichen. Das Schlimmste wäre, wenn wir jetzt zwei Jahre über die Ziele diskutieren, ob sie richtig oder falsch sind und gleichzeitig nichts für die Umsetzung tun. Das haben wir zum Beispiel auch bei den Antibiotika gut aufgegleist. Ich stelle fest, wir sind am Arbeiten und Reduzieren und die Humanmedizin ist immer noch am Diskutieren.

Ein Megathema ist gegenwärtig Digitalisierung. Was braucht es, dass der Bauer hier effektiv eine administrative Vereinfachung erhält?
Wichtig ist, dass die Lösung dem Bauern dient und nicht irgendeiner Firma. Die Schweiz ist klein und die Frage ist, wieviel wir uns leisten können. Ideal wäre aus meiner Sicht eine Lösung für alle und ich fände es schade, wenn wir uns hier nicht zusammenraufen könnten, so dass der Bauer plötzlich zweimal zahlen müsste. Aber es wittern natürlich alle ein Geschäft. Ziel ist eine günstige und für den Bauern optimale Lösung.

Braucht es den SBV eigentlich noch in Zeiten von vertikalen Wertschöpfungsketten, die immer stärker werden?
Wir sind für die jetzigen Herausforderungen sehr gut aufgestellt, ob wir das in zwei oder fünf Jahren immer noch sind, das wird sich zeigen. Wir fokussieren viel stärker als früher auf die Wertschöpfungsketten, wo der Bauer immer das schwächste Glied ist. Das Ziel sind kostendeckende Preise. Wir wollen den agrarpolitischen Teil nicht vernachlässigen und gleichzeitig die Märkte beeinflussen, aktuell zum Beispiel Zucker und Milch. Zudem wollen wir die Kommunikationsfähigkeit stärken, sowohl gegen innen, wie auch gegen aussen. In der heutigen Medienlandschaft gibt es schnell grosse Geschichten, etwa beim Tierwohl. Davor darf man keine Angst haben, das müssen wir auch als Chance sehen, mit schwierigen Situationen umzugehen und aus Sicht der Praxis zu erklären was Sache ist. Das muss man auch ein wenig gerne machen, aktive Krisenkommunikation, die wird auch in den nächsten Jahren sehr wichtig sein. Und wer soll das machen, wenn nicht der Bauernverband?

Ihre Wünsche für das neue Jahr, privat und beruflich?
Zum einen wünsche ich mir natürlich, dass die Ausbildung meiner beiden Söhne weiter gut läuft. Ich wirke da auch mit und befasse mich gerade mit Herbarien und Lerndokumentationen. Für die Bauernfamilien ist extrem wichtig, dass wir die AP22+ entweder richtig auf die Schiene bringen oder die Geduld haben, am Bestehenden noch einen Moment festzuhalten.

Interview: akr