Es wird viel verlangt von der Landwirtschaft, die dazu oft auch pauschal als Umweltverschmutzerin und Tierquälerin hingestellt wird. Ich frage mich schon, ob sich alle Beteiligten der Konsequenzen bewusst sind, was die vielen Forderungen für uns Bäuerinnen und Bauern bedeuten. Man hat schon bald ein schlechtes Gewissen, wenn man das Güllefass anhängt oder den Tierarzt braucht. Manchmal frage ich mich, wozu wir eine gute Ausbildung gemacht haben, wenn es scheinbar doch noch so viele «Fachleute» braucht in unserer Branche.
Ein wachsendes Heer von Amtsstellen, Beratungsfirmen, Abnehmern und Zulieferern sagt den immer wenigeren Betrieben, was zu tun ist oder eben nicht gemacht werden soll. Dazu kommen die Wünsche der Konsument(innen). Alle wissen Bescheid, denken jedoch nicht daran, dass es nur ein winziger Teilbereich ist, von dem sie scheinbar eine Ahnung haben. Dabei vergessen sie, dass sich viele Forderungen widersprechen und die Lösung eben nicht Schlagwörtern wie «Netto-Null» oder «Klimaneutral» entspricht, sondern ein Kompromiss ist, welcher nicht für jedes einzelne Gebiet das Optimum sein kann. Nahrungsmittel zu erzeugen, bedeutet, täglich Entscheide abzuwägen, dies oft auch in kurzer Zeit, inmitten der Natur mit Wetter und Jahreszeiten.
Durch die Hintertür
Die Sistierung der AP 22+ war ein gutes und wichtiges Zeichen gegenüber der Regulierungsflut des BLW, doch sie erhalten sich die Arbeit auf andere Weise. Denn nun hat der Bundesrat über die Hintertür eines Verordnungspakets über ein Dutzend neue, sogenannte Produktionsbeiträge (PSB) eingeführt, um seine ursprünglich geplanten Vorschriften der AP doch durchzusetzen. Wer die «Massnahmen» liest, merkt rasch, dass hier eine noch nie dagewesene Vollzugs- und Kontrollbürokratie beschäftigt werden soll.
Vorgestern kam eine Info des Landwirtschaftsamtes, dass man bis am 2. September Zeit hat, sich bei diesen zum Teil obskuren, praxisfremden Massnahmen anzumelden. Dies notabene in der Hauptarbeitszeit der Tal- und Bergbetriebe. Dazu kommt das unsinnige Schleppschlauch-Obligatorium, welches für viele gemischte und kleine Betriebe riesige finanzielle Konsequenzen hat. Beim Umgang mit dem Wolf zeigt sich die Arroganz und Verachtung des BAFU gegenüber den Betroffenen. Ausserdem kommen auf 2023, als absoluter Hammer, die 3,5 Prozent Ökostreifen auf der Ackerfläche.
Ist die Schmerzgrenze erreicht?
Dies in einer Zeit, in der man von Nahrungsmittelkrise redet, vor allem in der kleinstrukturierten Schweiz. Importe werden gesteigert und wir Schweizer pflanzen Blumen auf den besten Böden an. Ein Affront gegenüber Menschen in ärmeren Ländern. Dazu kommen noch die neuen Vorschriften der Discounter und der verschiedenen Labels, welche das Chaos perfekt machen. Bei all diesen unzähligen Forderungen hat niemand mehr den Überblick und es braucht noch mehr Stellen auf allen Amtsstufen. Dies haben mir Mitarbeiter in kantonalen Landwirtschaftsämtern klar bestätigt.
Unsere Berufskolleg(innen) in der EU gehen schon seit einiger Zeit auf die Strasse. Was machen wir noch alles mit, im Kampf um den Direktzahlungskuchen? Sind wir schon solche Hampelmänner geworden? Für mich ist die Schmerzgrenze erreicht, was lassen wir uns noch alles bieten? Im gegenwärtigen Abstimmungskampf zur MTI können wir Einigkeit, Toleranz und Respekt gegenüber unseren Berufskolleginnen und -kollegen zeigen. Sollen wir zusammen auf die Strasse gehen, einen Boykott oder eine kreative Idee umsetzen? Mir reichts definitiv!
Zur Person
Sepp Sennhauser aus Rossrüti ist Co-Präsident von Bio Ostschweiz und St. Galler CVP-Kantonsrat.