Eine halbstündige Autofahrt von Bundesbern entfernt steht Bundesrat Guy Parmelin schwitzend im Kartoffelfeld von Christoph Herren. Der Landwirt erzählte den versammelten Pressevertretern vom schwierigen Kampf gegen die Krautfäule im nassen Frühling. «Ich habe sehr viel in den Schutz der Kultur investiert», betont er. Bei ihm seien Qualität und Menge zufriedenstellend – im Gegensatz zu einigen Berufskollegen. «Aber ein Jahr wie dieses hätte vor 100 Jahren eine Hungersnot gegeben», bemerkte Herren. Die Produzentenpreise müssten steigen, um die teureren Produktionsmittel und häufigeren Wetterextreme bewältigen zu können. «Ich muss ein schlechtes Jahr mit einem überdurchschnittlich guten kompensieren können», gab Herren zu bedenken.
Bundesrat mit Landwirtschaftswissen
Die Einladung des Bundesrats nach Wileroltigen BE ist eine Reaktion auf die Unzufriedenheit mit Produzentenpreisen und administrativem Aufwand, der im Frühling in diversen friedlichen Protesten gipfelte. Guy Parmelin unterstrich mit seinen Ausführungen, wie sich die Regierung um die Aufnahme der Branchenanliegen bemüht und streute immer wieder bei Gelegenheit sein eigenes landwirtschaftliches Wissen ein. Etwa, indem er kurz die Fruchtfolge erklärte, die in der Schweiz konsequent umgesetzt wird und deren Einführung auf EU-Ebene erst kürzlich Schiffbruch erlitten hat.
Zentrales Ziel: Mehr Wertschöpfung
«Eine fehlende Wertschöpfung kann sich langfristig kein Unternehmen leisten, auch nicht in der Landwirtschaft», hielt Guy Parmelin fest. Daher habe es zu Recht friedliche Proteste gegeben, um auf die schwierige Situation aufmerksam zu machen. Eine bessere Wertschöpfung für Produzent(innen) sei ein zentrales Ziel der AP 2030, versicherte der Bundesrat weiter. Um ein weiteres Ziel zu erreichen – die bessere Anpassung an den Klimawandel und erhöhte Resilienz der Produktion – habe man u.a. im landwirtschaftlichen Zahlungsrahen mehr Mittel für Strukturverbesserungen vorgesehen. «Der Entscheid zu investieren, liegt aber beim Betriebsleitenden», ergänzte Parmelin. Christoph Herren erklärte exemplarisch, wie er seinen Betrieb mit dem Aufbau der Legehennenhaltung und dem Ausstieg aus der Milchproduktion umstrukturiert hat – allerdings ohne Beiträge im Rahmen der Strukturverbesserungsmassnahmen.
Alle an einem Tisch
«Ich bin ein praxistauglicher Bundesrat», sagte Guy Parmelin. Fachlich den Handlungsbedarf zu sehen und Massnahmen dann zu konkretisieren und umzusetzen, sei aber die grosse Herausforderung. «Das machen wir zusammen im Herbst«, fuhr der Agrarminister fort. Dann soll es nämlich einen runden Tisch geben mit Vertretern z. B. verschiedener Bundesämter, der Kantone, Labelorganisationen und Branchen, um Wege für die administrative Vereinfachung zu finden.
Der administrative Aufwand habe ein Ausmass angenommen, das kaum mehr auszuhalten sei, betonte Christoph Herren. Das sei auch eine psychische Belastung – die Angst, einen Fehler begangen oder etwas falsch verstanden zu haben, lasse ihn vor einer Kontrolle die halbe Nacht keinen Schlaf finden. «Das ist fast der wichtigste Punkt für mich», konstatierte der Landwirt, «da muss unbedingt etwas gehen.» Denn der administrative Aufwand mache Landwirt(innen) kaputt.
Weniger Kontrollen, mehr Vertrauen
Zur Illustration zeigte Christoph Herren einen Stapel Formulare vor, die er für die GAP-Zertifizierung seiner Kartoffeln ausfüllen muss. Solche privatrechtlichen Kontrollen liegen ausserhalb des Einflusses des Bundes, was den geplanten runden Tisch im Herbst umso wertvoller macht.
Unterschiedliche Bedürfnisse je nach Kanton erschwerten die Vereinfachung etwa der grossen Anzahl Programme, erläuterte Guy Parmelin. «Das ist keine Kritik, sondern eine Feststellung.» Er stellte aber in Aussicht, in Zukunft solle es weniger Kontrollen und mehr Vertrauen geben. Nach einer Kontrolle könnte ein Betrieb z. B. für mehrere Jahre in einem Programm zertifiziert bleiben. Jährliche Kontrolltermine fielen so weg. Allerdings müsste die Balance gewahrt werden, damit Labels und Programme ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren.
Zur Vereinfachung beitragen soll gemäss Bundesrat ausserdem ein weiteres Intervall bei Anpassungen in der Agrarpolitik. Laut Guy Parmelin ist etwa vorgesehen, per 2026 keine Änderungen bei den Direktzahlungen umzusetzen.
Streitpunkt Digitalisierung und Digiflux
Während sich der Agrarminister zuversichtlich zeigte, dass die Digitalisierung administrative Prozesse vereinfachen wird, brachte Christoph Herren seine Skepsis zum Ausdruck. «Innovation und Digitalisierung müssen von der Basis, von unten herkommen», ist er überzeugt. Auch gelte es, die ältere Generation nicht zurückzulassen. «Digiflux wird meiner Meinung nach keine Vereinfachung bringen», so Herren. Guy Parmelin dankte ihm für seine Transparenz und wies auf den Beschluss hin, Digiflux um ein Jahr zu verschieben und in einer vereinfachten Version einzuführen. Besser gehe man etwas langsamer vorwärts, so sein Credo. Die Meldepflicht für Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel sei aber ein Beschluss des Parlaments, erinnerte Parmelin. Den gelte es, umzusetzen.
«Wir haben die Forderung der Landwirtschaft gehört, wir wollen und müssen vereinfachen», versicherte der Bundesrat. Die Digitalisierung sei ein Hilfsmittel dazu und die Vereinfachung ein zentrales Ziel der AP 2030. Bis dahin solle es in den Direktzahlungen Stabilität geben. «Aber wir warten nicht bis 2030», sagte Parmelin mit Blick auf die geplanten Gespräche im Herbst.