LID/Michael Wahl: Die Suisag hat einen Grossauftrag eines russischen Agrarkonzerns an Land gezogen. Was beinhaltet dieser?
Matteo Aepli: In Russland ist die Struktur der Schweinehaltung eine grundsätzlich andere als jene in der Schweiz. Es gibt immer noch viele kleine Betriebe mit ein paar Schweinen. Die Mehrheit der Tiere steht aber in grossen Anlagen im Besitz von russischen Agrarkonzernen. Unser Kunde für diesen spezifischen Auftrag hat ungefähr 50'000 Mutterschweine, davon je eine Basiszuchtherde für Edelschwein, Landrasse und Duroc. Da liegt der Wunsch nach einer eigenen Zuchtwertschätzung auf der Hand. Die Suisag berät den Kunden und baut für ihn eine eigene Zuchtwertschätzung auf. Es geht hier um einen Beratungsauftrag über mehrere Jahre inklusive der Ausbildung von Fachleuten in Russland.
War es schwierig, den Auftrag zu erhalten?
Es war lange unklar, wer den Zuschlag erhält. Wir mussten uns sehr bemühen. Die Suisag hat international anerkanntes Know-how. Schweizer Genetik ist auch im Ausland zusehends gefragt und hat ein sehr gutes Image. Unser im Rahmen der Offerte erstelltes Konzept, Besuche bei unseren Kunden in Russland sowie von ihnen bei uns in der Schweiz und ein Audit letztes Jahr in Russland haben dazu geführt, dass unsere Offerte trotz hohen Schweizer Preisen überzeugt hat.
Preislich sind wir nie einen Kompromiss eingegangen. Unsere Exportgeschäfte, sei es im Bereich Beratung oder Genetik, sind immer mit Wertschöpfung verbunden. Diese Mittel können wir eins zu eins ins Schweizer Zuchtprogramm investieren. Unsere Philosophie ist: Wer Schweizer Genetik will oder Schweizer Beratung, der muss Schweizer Preise bezahlen.
Matteo Aepli ist seit 2016 Geschäftsleiter der Suisag in Sempach. Aepli hat an der ETH Zürich Agrarwissenschaften studiert und mit einem Master in Agrarökonomie und einem Doktorat abgeschlossen.
Die Suisag ist ein kleines Genetikunternehmen. Wie können sie gegenüber den grossen Schweinezuchtorganisationen aus Dänemark und den USA bestehen?
Wir stehen in der Tat im Wettbewerb mit anderen Genetikunternehmen, nicht nur im Ausland, sondern auch in etwas geringerem Masse in der Schweiz. Die grossen Genetikkonzerne sind 10-mal so gross wie die Suisag oder grösser und haben sehr hohe Budgets für Forschung und Entwicklung, aber auch für Marketing und Kommunikation. Wir haben aber Vorteile: Wir verfügen über einen starken, wenn auch eher kleinen Heimmarkt. Die Schweizer Schweineproduzenten und die ganze Branche sehen die Vorteile der Schweizer Genetik.
Im Ausland ist die Situation anspruchsvoller. Da versuchen wir uns mit unserer Genetik deutlich von anderen Unternehmen abzuheben. Wir haben klare Alleinstellungsmerkmale. Durch eine gezielte und ehrliche Kommunikation hat Schweizer Genetik in den letzten Jahren an Bekanntheitsgrad und an Image gewonnen. Kleine Unternehmen haben durchaus auch Vorteile. Wir können rasch und flexibel reagieren und gezielt auf Kundenbedürfnisse eingehen. Unser Exportteam ist klein, aber sehr motiviert. Zudem haben wir in den letzten Jahren stabile Partnerschaften mit anderen Herdebuchorganisationen im Ausland aufgebaut. Ab und zu kämpfen wir gegen Windmühlen an, aber das motiviert uns mehr als es uns einschüchtert.
Wie hat sich die Nachfrage nach Schweizer Schweinegenetik im Ausland entwickelt?
Die Entwicklung ist durchwegs positiv besonders in den etablierten Märkten wie Deutschland. Alleine in unserem Nachbarland konnten wir die Lizenzgebühren von deutschen Produzenten, die Schweizer Mutterliniengenetik einsetzen, um 25 Prozent steigern, obwohl der Markt auch in Deutschland schrumpft und der Wettbewerb sehr hart ist. Grundsätzlich kann man sagen: Im europäischen Markt sind wir stetig am Wachsen. Südamerika ist zurzeit konstant. Dort beliefern wir seit einigen Jahren einen der grössten brasilianischen Jungsauenvermehrer. In Russland ist die Situation zurzeit noch volatil. Wir waren 2018 umsatzmässig etwas schwächer unterwegs als 2017, dies hat vor allem mit den fehlenden Lebendtierlieferungen nach Russland zu tun. Wir haben aber 2018 neben dem europäischen Markt viel in den russischen Markt investiert. Der aktuelle Auftrag ist eine Bestätigung unserer Anstrengungen und wird sich über mehrere Jahre positiv auswirken. Dadurch erreichen wir eine gewisse Stabilität im Export.
Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie?
Wir wollen und müssen im Export weiterwachsen. Wir sind in Europa eines der kleinsten aber auch innovativsten Zuchtprogramme. Unsere Konkurrenten sind wie erwähnt die grossen internationalen Genetikkonzerne. Mit dem Rückgang der Anzahl Mutterschweine in der Schweiz sinken auch unsere Umsätze. Ein erfolgreiches Zuchtprogramm verlangt in Zukunft immer mehr nach grossen Investitionen. Andere Genetikunternehmen können im Vergleich zu uns das x-fache in Forschung und Entwicklung investieren.
Der Export gibt uns die Möglichkeit, die sinkenden Erträge im Schweizer Geschäft wettzumachen. Für etablierte Länder wie Deutschland oder Luxemburg erwarten wir auch in den nächsten Jahren steigende Umsatzzahlen. Wir haben in verschiedenen Ländern entsprechende Partnerschaften. In Schwellenländern wie Russland rechnen wir weiterhin mit einer gewissen Volatilität. Unsere Genetik wird aber auch dort an Boden gutmachen. Eines ist klar: der Schwerpunkt bleiben auch in Zukunft die Mutterlinien. Mit Vaterliniengenetik werden wir zumindest in den nächsten Jahren nur regionale Nischen besetzen können. Aktuell sind in verschiedenen Ländern neue Projekte in der Ausarbeitung.
Was sind denn die Stärken der Schweizer Genetik?
Da gibt es eigentlich drei bedeutende Unterschiede zu ausländischer Genetik. Die Mütterlichkeit bei den Mutterlinien mit der besonderen Eignung für die freie Abferkelung, die Fleischqualität bei den Vaterlinien und die Coli-Resistenzen bei allen Schweizer Rassen. Der frühe züchterische Fokus auf abgesetzte Ferkel bei einer guten Wurfgrösse hat sich als richtig erwiesen.
Die Entwicklungen im europäischen Raum spielen unserer Genetik in die Hände. Immer mehr Betriebe wenden sich ab von übergrossen Würfen und entsprechend vielen untergewichtigen respektive toten Ferkeln. Die Fleischqualität ist ein wichtiger Fokus seit es die Prüfanstalt in Sempach gibt. Da investieren wir laufend viel Manpower und finanzielle Mittel, damit wir an der Spitze bleiben. Bei den Coli-Resistenzen kann aktuell kein Genetikunternehmen mit uns mithalten. Es gibt viele Betriebe in Europa, die mit Ödemen bei den Ferkeln kämpfen. Wir bieten eine genetische Lösung an. In Zukunft wird die Zucht auf Gesundheit weiter an Bedeutung gewinnen.
Profitieren die hiesigen Schweinezüchter von den Aktivitäten der Suisag im Ausland?
Es gibt mittel- bis langfristig zwei Optionen für ein erfolgreiches Zuchtprogramm trotz schrumpfendem Schweizer Markt. Entweder die Tarife für Sperma, Herdebuch usw. laufend zu erhöhen oder zusätzliche Mittel durch den Export zu erwirtschaften. Ich bin der Meinung, dass letztere Option die bessere ist. Zusätzlicher Absatz hält unser System dynamisch und unsere Züchter motiviert. Der Jungsauen- und Eberexport in verschiedenen Länder kommt auch unseren Zuchtbetrieben zugute. Auch diese kämpfen tendenziell mit sinkenden Absatzzahlen. Da sehen wir uns in der Pflicht, zukunftsträchtige Lösungen zu suchen. Ich freue mich sehr darüber, wenn wir durch den Tierexport etwas Gutes für unsere Kern- und Vermehrungszuchtbetriebe machen können, denn diese sind die Lunge unseres Systems.
Sie haben einmal gesagt, dass wir in der Schweiz eine der weltweit besten Schweinefleischqualitäten haben. Der Konsum von Schweinefleisch ist dennoch rückläufig. Was kann die Branche dagegen tun?
Es stellt sich für mich die Frage, wir stark der Konsum aktuell effektiv rückläufig ist. Je nach Statistik fallen die Zahlen etwas unterschiedlich aus. Wir wissen aber, dass der Konsum in den letzten Jahren tatsächlich rückläufig war. Die Branche und die entsprechenden Verbände sind sehr bemüht, diesem Trend entgegenzuwirken. Auch wir sind bemüht zum Beispiel mit dem neuen Gesundheitsprogramm SuisSano zusammen mit Suisseporcs und weitere Organisationen das Image von Schweizer Schweinefleisch weiter zu verbessern.
Dazu gehört auch die Fleischqualität oder die im Vergleich zum Ausland viel bessere Tierhaltung in der Schweiz. Selbstverständlich können wir das Rad nicht zurückdrehen. Die Konsumbedürfnisse sind viel heterogener als früher, die Auswahl an Produkten entsprechend gross. Wir können diese gesellschaftliche Entwicklung nicht aufhalten. Aber wir können durch gute eine gezielte Kommunikation die in den letzten Jahrzehnten erarbeiten positiven Aspekte der Schweinehaltung und des Schweinefleisches offensiver der breiten Bevölkerung bekannt machen. Wir müssen in Zukunft vermehrt vom Trend-Betroffenen zum Trend-Beeinflusser werden.
Das Interview führte Michael Wahl vom lid.