Die orangen Fahnen sind an Altstadthäusern und Wohnblocks genauso zu sehen wie an Bauernhäusern und Chalets. Sie werben für ein Ja zur Konzernverantwortungs-Initiative (KVI), über die wir am 29. November abstimmen.
Das will die Initiative
Schon heute haften Unternehmen in der Schweiz für Schäden, die sie selber verursachen. Die Konzernverantwortungs-Initiative soll Schweizer Unternehmen nun dazu zwingen, Menschenrechts- und Umweltstandards auch im Ausland einzuhalten. Die Gegenwart zeigt laut den Initianten, dass die Forderung aktueller denn je ist. Katastrophale Arbeitsbedingungen in Kleiderfabriken in Asien oder Osteuropa, missbräuchliche Kinderarbeit bei der Kakaoproduktion in Westafrika oder tödliche Emissionen in Sambia gehörten zur Tagesordnung.
Kern der Initiative «Für verantwortungsvolle Konzerne - zum Schutz von Mensch und Umwelt» (Konzernverantwortungs-Initiative) ist eine Sorgfaltsprüfungspflicht, die verhindern soll, dass es überhaupt zu Verstössen kommt. Konkret müssten die Unternehmen eine Risikoabschätzung und eine umfassende Berichterstattung vorlegen sowie Massnahmen zur Vermeidung und Beendigung allfälliger Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden treffen. Die neuen Vorschriften würden für alle Schweizer Unternehmen gelten. Weil die Sorgfaltsprüfungspflicht aber an spezifische Risiken geknüpft ist, wären vor allem multinationale Konzerne in der Pflicht.
Vorgesehen ist auch ein Kontrollmechanismus zur Durchsetzung der Sorgfaltsprüfungspflicht. Künftig sollen die Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen im Ausland haften - auch für jene ihrer Tochterfirmen und wirtschaftlich abhängigen Zulieferer. Urteilen würden Schweizer Gerichte nach Schweizer Recht. Kann ein Unternehmen glaubhaft nachweisen, dass es die Sorgfaltsprüfung umfassend durchgeführt und alle nötigen Massnahmen getroffen hat, ist es von der Haftung befreit.
Die Intianten
Eine breite Allianz konzernkritischer Organisationen lancierte im Frühjahr 2015 die Konzernverantwortungs-Initiative. Mittlerweile unterstützen über 130 Hilfswerke, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, kirchliche Organisationen und andere Vereinigungen das Anliegen, darunter Brot für alle, Fastenopfer, Alliance Sud, Amnesty International Schweiz oder die Erklärung von Bern. Dem Initiativkomitee gehören auch alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, der ehemalige IKRK-Präsident Cornelio Sommaruga und alt Ständerat Dick Marty an.
Viele von ihnen haben sich 2011 bereits für die Kampagne «Recht ohne Grenzen» engagiert. Sie verlangten mit einer Petition, dass Schweizer Firmen Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland respektieren. Obwohl das Problem anerkannt wurde, schlugen weder Bundesrat noch Parlament rechtlich verbindliche Regeln für Unternehmen vor. Alle bis dahin zur Diskussion gestellten Lösungen basierten auf Freiwilligkeit.
Die Initianten werden unterstützt von der SP, den Grünen, der GLP, der BDP und der EVP. Die Initiative geniesst derweil bis weit ins bürgerliche Lager Sympathien – auch innerhalb der Landwirtschaft. Dem Pro-Komitee gehören etwa an:
- Priska Wismer-Felder, Nationalrätin (CVP/LU), Bäuerin
- Heinz Siegenthaler, Nationalrat (CVP/BE), Landwirt
- Andreas Widmer, Kantonsrat St. Gallen (CVP), Geschäftsführer St. Galler Bauernverband
- Josef Gemperle, Kantonsrat Thurgau (CVP), Landwirt
- Sepp Sennhauser, Kantonsrat St. Gallen (CVP), Landwirt
- Marie-Theres Widmer, Kantonsrätin Solothurn (CVP), Bäuerin
- Jakob Hug, alt Kantonsrat Thurgau (CVP), Landwirt
Die Gegner
Insbesondere der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse engagiert sich an vorderster Front gegen die Initiative. Die Initiative sei unnötig, kontraproduktiv und gefährde den Wirtschaftsstandort, kritisieren die Gegner. Vonseiten der Parteien wehren sich SVP, FDP und die CVP gegen das Volksbegehren, jedoch gibt es auch in den Reihen der bürgerlichen Parteien viele Sympathisanten der Initiative.
Die Landwirtschaftskammer (Laka) des Schweizer Bauernverbands (SBV) fasste mit klarer Mehrheit die Nein-Parole. Im Vorfeld hatte ein «Deal» zwischen SBV-Präsident Markus Ritter und den bürgerlichen Parteien bzw. der Wirtschaftsverbände zu reden gegeben. Die bürgerlichen Parlamentarier stimmten der Sistierung der AP 22+ in der ständerätlichen Wirtschaftskommission (WAK-S) zu, der Bauernverband unterstützt nun im Gegenzug das Nein zur KV
Auch dem Bundesrat geht das Volksbegehren zu weit. Zum einen stört ihn, dass sich die Sorgfaltsprüfungspflicht auf die gesamte Lieferkette erstreckt. Das würde in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten und Umsetzungsproblemen führen, heisst es in der Botschaft. Zum anderen lehnt der Bundesrat die Haftungsregeln ab. Diese seien strenger als in praktisch allen anderen Rechtsordnungen, argumentiert er.
Ursprünglich wollte die Landesregierung keinen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative beschliessen und verwies auf unverbindliche Aktionspläne, mit denen die Schweizer Wirtschaft dazu angehalten wird, Menschenrechts- und Umweltstandards einzuhalten. Später brachte der Bundesrat doch noch einen Vorschlag ein.
Der indirekte Gegenvorschlag
Vor den Wahlen 2019 haben sich National- und Ständerat nicht auf einen indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungs-Initiative einigen können. Nach langem Hin und Her beschloss das neue Parlament im Sommer 2020 doch noch eine Gesetzesvorlage, die bei einem Nein zur Initiative automatisch in Kraft tritt. Durchgesetzt hat sich die Variante des Ständerats, die auch vom Bundesrat unterstützt wird.
Sie beinhaltet Berichterstattungspflichten für gewisse Unternehmen. Geht es um Konfliktmineralien und Kinderarbeit, müssen die Unternehmen zusätzlich Sorgfaltsprüfungspflichten erfüllen. Verstösse werden mit Busse bestraft.
Eine Ausweitung der Haftungsregeln ist nicht vorgesehen. Tochterunternehmen und wirtschaftlich abhängige Zulieferer würden für Schäden, die sie verursachen, weiterhin selber und in der Regel vor Ort nach dem dort geltenden Recht haften. Das Initiativkomitee spricht wegen des Verzichts auf zusätzliche Haftungsregeln von einem «Alibi-Gegenvorschlag».
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