Seit gut einem Jahr beobachte ich eine ältere Dame, die sich damals einen Lagotto Romagnolo kaufte und mit dem süssen Welpen überall der Star war, bis dieser seinen Genen entsprechend zum Arbeitshund wurde. Seither verbringt das Tier die kurzen, langsamen Spaziergänge damit, sein Frauchen auf der Suche nach einem Abenteuer mit aller Kraft an der Leine hinterher zu ziehen.

Seine Gene sagen ihm, dass er in den Wald laufen möchte und dort stundenlang Trüffel suchen, buddeln, kilometerweit rennen, während sein Frauchen an der Leine hängt, «Bei Fuss!» brüllt und ihn mit «Nein, du sollst doch nicht alle Leute anbellen» zu beruhigen versucht. Von den beiden versteht keiner die Welt oder die Sprache des andern und das wird immer so bleiben.

Frauchen hat man nun Cortison in die entzündete Schulter gespritzt, dem Hund die Eier abgeschnitten und das Futter umgestellt, geholfen hat das alles nichts. So wird der Lagotto seine Lebensjahre damit verbringen, vergeblich auf eine Trüffelsuche zu hoffen und dabei immer frustrierter werden, währen Frauchen älter und überforderter wird.

Ohne aktuellen Zweck und leider weiterhin gezüchtet

Auch wenn man in der Hundewelt meiner Meinung nach die Spitze des menschlichen Tierzuchtwahnsinns bemitleiden kann – es gibt eine Reihe von Tieren, die zu einem Zweck gezüchtet wurden, den sie heute nicht mehr ausleben dürfen. Gezüchtet werden sie weiterhin. Weil sie so eine schöne Fellfarbe haben, so blaue Augen, so klein sind, dass sie in eine Tasse passen. Katzen ohne Fell, deren Welt an der Wohnungstüre endet. Kampfhühner, die eine Haube tragen müssen, damit sie ihre Artgenossen nicht zu Chicken Nuggets machen. Pferde mit entstelltem Gangbild, was bereits in jungen Jahren zu Schmerzen führt. Enten mit gelockten Federn, die im Wasser absaufen. Kaninchen mit Hängeohren, die sie beim Hoppeln wundschleifen. Tauben mit so vielen Federn an den Beinen, dass sie nicht mehr fliegen können. Ziegen mit Gleichgewichtsstörungen, die so süss daherschwanken.

Was Eringer immerhin noch ausleben dürfen

Was geschieht, wenn man einem Tier seine genetische Bestimmung verbietet, das kann man in der Heimtierwelt zuhauf sehen. Was nicht passt, wird passend gemacht. Operativ oder medikamentös zivilisationstauglich eingestellt oder so fett gefüttert, dass es keinen unnötigen Wank mehr macht. Und das alles nur, damit der Mensch eine mehr oder weniger gezähmte Bestie an der Leine führen und damit sein Selbstwertgefühl aufpolieren kann.

So gesehen hat PETA mit dem Anprangern der Eringerkampfkuh sicher nicht die Spitze des Tierzucht-Irrsinns erwischt. Ihr ist es im Gegensatz zu vielen Haustieren immerhin gestattet, ein Leben in der Herde zu führen, sich fortzupflanzen, ihre Liebe zum Rangordnungskampf auszuleben, im Sommer frei über Bergweiden zu wandern, Königin zu sein – ihre Bestimmung zu leben.

Keine Freiheiten für Vierbeiner

Die Frage, ob ein Tier jemals seine Gene wird ausleben können, hat sich die Tierzucht nie gestellt. Im Idealfall hat man gezüchtet was für den Menschen nützlich war, manchmal aber auch einfach nur, was man schön fand. Stromhalsbänder, Sperrriemen, schädelformende Masken, Regenmänteli und Anti-Allergienahrung zeugen davon, dass nicht immer das gezüchtet wurde, was der angedachten Aufgabe gewachsen war.

Während wir Menschen immer vehementer auf unsere Individualität und Freiheit pochen, machen wir den Lebens- und Freiraum unserer vierbeinigen Mitbewohner immer kleiner und enger. Wir richten uns nicht nach ihren Bedürfnissen, sondern biegen diese so zurecht, dass es für uns passt.

Es müsste eine andere Frage gestellt werden

Wer der Eringerkuh das Kämpfen verbieten will, der muss in meinen Augen die Rasse an sich verbieten – und damit noch zahlreiche andere tierzüchterische Errungenschaften. Denn wird eine Eringerkuh von der Leine gelassen, dann kämpft sie. So wie ein Jagdhund jagen würde, ein Herdenschutzhund schützen und ein Schäferhund hüten. Herdenschutz-, Jagd- und Hütehunde, die überfüttert, gelangweilt und ihrer Sexualität beraubt auf dem Sofa auf ihr Ende warten, zeigen, was einer Kampfkuh blüht, die des Kampfes beraubt wird.

Will man den Tieren einen echten Gefallen tun, dann muss man nicht die Frage stellen, ob im Wallis ein paar Kühe ihre Rangordnung ausfechten dürfen, sondern die Frage muss lauten: Darf der Mensch züchten und vermehren, was in dieser Welt keinen Platz und keine Bestimmung mehr hat? Aber es ist auch klar, dass die Kampfkuhfrage mehr Spendengelder generiert als die Grundsatzfrage, ob wir Gott spielen dürfen oder – wie wir es im Leben einiger Tiere tun – die Rolle des allerübelsten Diktators oder Psychopaten.

Nicht das schlimmste Schicksal

Dabei müssen sich bei der Sinnfrage bestimmt nicht an erster Stelle die Walliser und ihre Kampfkühe angesprochen fühlen. Diese Frage betrifft die breite Bevölkerung. Die Walliser und ihre Kühe mögen raue Kerle sein, vielleicht ein Relikt aus der Vergangenheit, das es heute nicht mehr braucht. Diese Frage kann man diskutieren. Aber das Leben als Eringerkuh ist bestimmt nicht das schlimmste Schicksal, das einen als Zwangsfreizeitpartner des Menschen ereilen kann.