In seiner Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050 verfolgt der Bund das Ziel, die Ackerflächen in der Schweiz primär zur menschlichen Ernährung zu nutzen. Dabei sollen Grasland und Nebenprodukte aus der Lebensmittelindustrie zur Fütterung von Nutztieren dienen. Diese Strategie unter dem Motto «Feed no Food» – «verfüttere keine Lebensmittel» – wurde auch auf der diesjährigen Nutztiertagung des Schweizer Tierschutzes diskutiert, bei der die Nachhaltigkeit im Zentrum stand.

Was bedeutet denn «Food Waste» genau?

Ein zentrales Anliegen der Klimastrategie ist die Vermeidung von «Food Waste». Doch was genau versteht man unter diesem Begriff? Diese Frage wurde nach der Vorstellung der Strategie aus dem Publikum aufgeworfen. Besonders wurde die Fütterung sogenannter Gnadenhoftiere hinterfragt, da diese Tiere nicht zur Ernährung der Bevölkerung beitragen.

Der Referent des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) verneinte diese Bedenken. Für ihn beginnt Food Waste bereits, wenn beispielsweise Weizen deklassiert wird und somit nicht mehr für die menschliche, sondern für die tierische Ernährung verwendet wird. Ob der deklassierte Weizen nun an Gnadenhoftiere oder Nutztiere verfüttert wird, sei hierbei nicht der ausschlaggebende Punkt für die Entstehung von Food Waste.

Weniger Futtermittel für unsere Nutztiere

Angenommen, unsere Nutztiere würden zukünftig nur noch mit Nebenprodukten aus der Lebensmittelproduktion und mit Gras gefüttert, könnten wir weitere Lebensmittel für die menschliche Ernährung produzieren. Wenn jedoch diese Futtermittel an Gnadenhoftiere verfüttert würden, stünde unseren Nutztieren weniger davon zur Verfügung. Auch hier könnte von Food Waste gesprochen werden.

Doch sollte man dies wirklich so sehen? Neben Gnadenhoftieren gibt es auch zahlreiche Pferdebesitzer und Hobbytierhalter, die Grasland für ihre Tiere nutzen. Diese haben meist ein grösseres Verständnis für die Landwirtschaft als städtische Bewohner, die nur selten Kontakt mit landwirtschaftlichen Betrieben haben.

Mutterkühe und Kälbermast müssten Weidemast weichen

Eine Studie der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaft (HAFL) untersuchte, wie viele Nutztiere zur optimalen Graslandnutzung benötigt werden. Dabei bliebe der Milchviehbestand relativ stabil, während Mutterkühe und Kälbermast durch Weidemasttiere ersetzt werden könnten. Dennoch verabschieden sich immer mehr Landwirte von der Milchproduktion. Während es 2001 noch über 35 000 Milchviehbetriebe gab, waren es 2022 laut Agristat nur noch etwas über 17 000. Viele Landwirte steigen auf Mutterkuhhaltung oder Mast um, obwohl die Mutterkuhhaltung, wenn man die Produktivität betrachtet, weniger effizient ist. Doch letztlich spielt auch die Nachfrage der Konsumenten eine entscheidende Rolle.

Konsumenten kritisieren oft das Trennen der Kälber von den Kühen kurz nach der Geburt. Sie wünschen sich eine Rindviehhaltung, bei der Kühe mit ihren Kälbern draussen auf der Weide grasen. Diesem idyllischen Bild entspricht die Mutterkuhhaltung. Effizienz hin oder her – es muss auch das produziert werden, was die Konsumenten möchten und wofür sie bereit sind, zu bezahlen.

Beim Poulet zählt der Preis 

Wie sehr Klimaziele und Kundenwünsche auseinandergehen, zeigt sich besonders beim Konsum von Poulet. Dieser stieg in den letzten Jahren stark an. Laut Bundesamt für Statistik wurden 2019 rund 100 000 Tonnen Geflügelfleisch im Inland produziert, was einem Anstieg von 53 Prozent im Vergleich zu zehn Jahren zuvor entspricht. Diese Tiere werden in einer bedeutenden Anzahl in grossen Masthallen gehalten. Hier scheint das Tierwohl etwas weniger im Fokus der Konsumenten zu stehen. Was zählt, ist der Preis. Möglicherweise liegt es daran, dass viele Menschen nie einen Mastgeflügelstall gesehen haben und den Unterschied zwischen einer Legehenne und einem Mastpoulet gar nicht kennen.

Auch in Bezug auf «Feed no Food» schneidet das Geflügel schlechter ab, da es anstelle von Gras unser Frühstück-Müsli frisst. Der Bund sieht die Notwendigkeit, den Fleischkonsum in der Schweiz zu senken. Sollte das demnach nicht mit einer Reduktion des Geflügelfleischkonsums einhergehen? In einem Land wie der Schweiz, in dem persönliche Freiheit grossgeschrieben wird, dürfte es schwierig werden, den Konsument(innen) vorzuschreiben, was sie essen dürfen und was nicht.

Konflikte sind vorprogrammiert

Das, was heute als klimatauglich erachtet wird, und das, was als naturnah und tierfreundlich gilt, ist nicht unbedingt dasselbe. Noch scheinen Tier-, Natur- und Klimaschützer am selben Strick zu ziehen. Doch vieles, was gestern noch als Errungenschaft für die Natur gefeiert wurde, dürfte morgen schon ins Visier der Klimastrategen geraten. Konflikte sind vorprogrammiert – wie bei den Standorten für Wind- und Solarparks. Das wird eine Herausforderung für jene Tierproduzenten, deren Kundschaft es gerne möglichst naturnah, ursprünglich und tierfreundlich hat.