Keine Branche ist derart von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen wie die Landwirtschaft. Die Schweiz verstärkt daher richtigerweise ihre Anstrengungen, die Ernährung im Angesicht des Klimawandels zu sichern und gleichzeitig Treibhausgase zu reduzieren. Das ist das Ziel der im September 2023 veröffentlichten Klimastrategie «Landwirtschaft und Ernährung 2050». Sie wurde gemeinsam vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sowie vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) erarbeitet.
Fokus nicht nur auf Urproduktion
Der Bund hat sich dabei von einer breit zusammengesetzten Begleitgruppe unterstützen lassen, bei der ich als Vertreter der Kantone im Auftrag der Konferenz der Landwirtschaftsämter (Kolas) mitgearbeitet habe. Heute bin ich als Direktor der Agridea mitverantwortlich für die Umsetzung der neuen Klimastrategie in der Schweiz. Am 21. November haben wir an einer Tagung mit über 100 Exponenten aus der ganzen Schweiz eine erste Bilanz gezogen.
Eine Stärke der «Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050» liegt im Fokus auf die gesamte Wertschöpfungskette. Das ist richtig, denn der Wandel gehört nicht nur auf das Feld und in den Stall, sondern genauso auch in die Industrie, in den Detailhandel und auf den Teller. Nur gemeinsam können wir die wichtigen Ziele für die kommenden Jahrzehnte erreichen. Die Klimastrategie darf sich deshalb nicht nur auf die Urproduktion fokussieren, sondern soll das Ernährungssystem nachhaltig ausrichten und damit die Ernährungssicherheit umfassend stärken.
Ohne Fleisch keine Milchprodukte
Dazu gehört die Berücksichtigung von Zielkonflikten. Ein Paradebeispiel ist das Fleisch: Wie viel von welchem Fleisch sollen wir künftig konsumieren und produzieren? Wer die Systemgrenzen eng um das Methan legt, kann zum Schluss kommen, dass Wiederkäuer das Problem sind. Die Klimastrategie berücksichtigt jedoch korrekterweise auch den Humusaufbau, die Feed-Food-Konkurrenz, Food Waste und den Ressourcenschutz. So gesehen behalten die Wiederkäuer ihre wichtige Rolle im Ernährungssystem. Denn nur sie sind in der Lage, aus dem in der Schweiz vorherrschenden Grünland wertvolle Milch- und Fleischprodukte herzustellen und gleichzeitig wertvolle Hofdünger für die Ertragssicherung und für den Humusaufbau zu liefern. Die neue Ernährungspyramide zeigt im Übrigen auch Milchprodukte. Auch diese Betrachtung führt zu rotem Fleisch, denn ohne Wiederkäuerfleisch keine Milchprodukte.
Verwertung von Nebenprodukten
Derart kompliziert ist es nämlich gar nicht: Aus Ressourcensicht müssen wir die Fleischproduktion und den Konsum nach dem zur Verfügung stehenden Futter ausrichten. Damit wird klar, dass Handlungsspielraum für Verbesserungen beim Kraftfutter liegt, nach dem Grundsatz: möglichst wenig Futter vom Acker, weil dieses in direkter Konkurrenz zur menschlichen Ernährung steht. Die Schweine- und Geflügelproduktion hat jedoch weiterhin ihre Berechtigung, denn diese Tiergattungen sind ausgezeichnete Verwerter von Nebenprodukten wie deklassiertem Brotgetreide, Trester oder Schotte aus der Käseherstellung. Es steht also noch ein weites Stück Arbeit vor uns, nicht nur für die Umsetzung in der Praxis, sondern auch für Weiterentwicklung von Ernährungsempfehlungen und von Teilstrategien, welche die vielfältigen Einflussgrössen rund um den Klimaschutz und um die Ernährungssicherheit einbeziehen.
Kichererbsen auch kochen können
Der Erfolg der Klimastrategie entscheidet sich aber vor allem in der Praxis. Wir können die Umsetzung von Massnahmen zum Klimaschutz unterstützen über Sensibilisierung, Bildung und Beratung, finanzielle Anreize bis hin zu Vorschriften. Die Agridea beteiligt sich an der Entwicklung von konkreten Massnahmen sowie am Transfer des Wissens in die Beratung, Bildung und Praxis. Nur wer gelernt hat, wie man Kichererbsen kocht, kann diese als wertvolles pflanzliches Protein in seinen Speiseplan einbauen. Und nur wer weiss, wie Kichererbsen gut gedeihen, wird sie auf dem Acker anbauen. Das Landwirtschaftliche Innovations- und Wissenssystem ist ein Schlüssel, damit die Klimastrategie auf dem Feld und im Stall Wirkung erzielen kann.