Die grosse Kammer folgte am Montag während der Beratung des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien in weiten Teilen ihrer vorberatenden Kommission, die einen Kompromiss zwischen Wirtschaft und Umweltschützern erarbeitet hatte. Nur drei Mal setzte sich eine Kommissionsminderheit durch. Ein Entscheid davon löste aber kritische Reaktionen aus.
Der Nationalrat will nämlich die Restwasservorschriften bei der Neukonzessionierung von Wasserkraftwerken sistieren, um den angestrebten Ausbau der Wasserkraft möglich zu machen. Mit 95 zu 94 Stimmen bei einer Enthaltung stimmte er einem entsprechenden Antrag zu.
«Die Restwassermengen werden nicht kleiner als heute, aber erst später grösser», stellte Nicolo Paganini (Mitte/SG) für die obsiegende Minderheit klar. Mit den geltenden Restwasservorschriften seien die definierten Ziele nicht erreichbar.
«Nicht akzeptabler Entscheid»
Für Linke und Umweltschützer ist mit dem Entscheid des Nationalrats eine erste rote Linie überschritten. Nadine Masshardt (SP/BE) sprach von einem «unnötigen Angriff auf den Gewässerschutz und die Biodiversität». Angemessene Restwassermengen seien an der Urne mehrmals bestätigt worden.
Laut Christophe Clivaz (Grüne/VS) riskiert der Nationalrat mit diesem «nicht akzeptablen Entscheid» das Referendum der Umweltschützer. Martin Bäume (GLP/ZH) gab zu bedenken, dass damit der von der Kommission ausgearbeitete Kompromiss mit Umwelt- und Fischereiverbänden gebrochen werde.
Auch Energieminister Albert Rösti warnte vergeblich vor einem Angriff auf die Restwassermengen. Der Bundesrat habe ein Postulat zu diesem Thema entgegengenommen. Er werde dieses so schnell wie möglich beantworten. Der Ständerat muss über die umstrittene Sistierung noch befinden.
Kein Zubau in Biotopen
Der Nationalrat fällte aber auch Entscheide im Sinne des Umweltschutzes. So sollen etwa Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in Biotopen von nationaler Bedeutung sowie in Wasser- und Zugvogelreservaten weiterhin ausgeschlossen sein. Neu entstehende Gletschervorfelder und alpine Schwemmebenen sollen hier eine Ausnahme bilden und somit grundsätzlich für eine Nutzung infrage kommen.
Der Ständerat hatte im vergangenen Herbst den Schutz von Biotopen und von Wasser- und Zugvogelreservaten aufweichen wollen – dies, bis die im Gesetz verankerten Ziele erreicht sind. Die kleine Kammer ist auch in diesem Punkt nun erneut am Zug. Heute sind neue Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in Biotopen ausgeschlossen.
Gemäss weiteren Entscheiden des Nationalrats sollen die Kantone den Auftrag erhalten, neu nicht nur für Wasser- und Windkraft, sondern auch für Solaranlagen im nationalen Interesse geeignete Gebiete in ihrem Richtplan festzulegen. Dabei kann auf die Leistung von Schutz-, Ersatz- und Wiederherstellungsmassnahmen verzichtet werden.
Dem Nationalrat zufolge sollen zudem auch Fotovoltaikanlagen, Windkraftwerke und Laufwasserkraftwerke ab einer bestimmten Grösse von nationalem Interesse sein. Falls die Ausbauziele nicht erreicht werden, soll der Bundesrat zusätzlich kleinen und weniger bedeutenden Anlagen ein nationales Interesse zuerkennen.
«Ambitionierte Ziele»
Einig sind sich die Räte darin, im Energiegesetz neue verbindliche Zielwerte und nicht mehr nur Richtwerte für die Jahre 2035 und 2050 zu verankern. Gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag des Bundesrats werden die Zielwerte deutlich erhöht.
Schliesslich legte das Parlament neue Verbrauchsziele fest. Der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person und Jahr ist gegenüber dem Stand im Jahr 2000 bis zum Jahr 2035 um 43 Prozent und bis zum Jahr 2050 um 53 Prozent zu senken. Der durchschnittliche Elektrizitätsverbrauch pro Person und Jahr ist gegenüber dem Stand im Jahr 2000 bis zum Jahr 2035 um 13 Prozent und bis zum Jahr 2050 um 5 Prozent zu senken.
Bundesrat Rösti sprach von «richtigen und wichtigen Zielen», die sehr ambitioniert seien. Der Nationalrat setzt seine Beratung zum Energie-Mantelerlass am Dienstag fort.