Ein offenes Feld im bernischen Grossaffoltern. Strohballen als Sitzgelegenheiten. Kühler Wind, eine Kaffeemaschine, die wohl wegen Corona wenig genutzt wurde und «garantiert pestizidfreie Gipfeli» von Gipfelikönig Fredy Hiestand. Ziemlich viele interessierte Journalisten und bestimmt noch einige mehr, die per Livestream dabei waren. Heute Montagmorgen lancierte das Initiativkomitee der Trinkwasser-Initiative seine Abstimmungskampagne. Am 13. Juni kommt die Initiative mit viel agrarpolitischem Zündstoff vors Volk.

Medienkonferenz auf Bio-Bauernhof

Die Pressekonferenz fand bestimmt nicht umsonst am Weltwassertag 2021 statt. Initiantin Franziska Herren und ihre Kolleginnen und Kollegen hatten dafür auf den Biohof Farngut von Markus Bucher (siehe Kasten) geladen. Die Medienveranstaltung hatte so einige Ähnlichkeiten mit jenen von Bauernorganisationen, an die Agrarjournalisten gerne eingeladen werden, aber inhaltlich waren die Argumente dann doch ganz anders.

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«Tiefe Betroffenheit»

Sie werde oft gefragt, was sie dazu bewogen habe, die Trinkwasser-Initiative zu lancieren, sagte Franziska Herren zum Einstieg. «Es war die erschreckende Erkenntnis, dass ich mit meinen Steuergeldern eine Lebensmittelproduktion mitfinanziere, die unsere Umwelt zerstört und unser Lebensmittel Nr. 1, das Trinkwasser, verschmutzt.»

Es begleite sie «ein grosses Unverständnis und eine tiefe Betroffenheit, dass die Landwirtschaftspolitik seit Jahrzenten willentlich Fehlansetze mit unseren Steuerngeldern setzt», so Herren.

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«Grosse Umweltschäden»

Die Initianten sind laut Pressecommuniqué der Meinung, dass die Agrarpolitik seit Jahrzehnten mit Milliarden an Steuergeldern eine Lebensmittelproduktion fördere, «die von Pestiziden, Importfutter und Antibiotika abhängig ist, grosse Umweltschäden verursacht und das Trinkwasser verschmutzt».

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Die Initiative fordert, dass die Subventionen in eine «pestizidfreie, nachhaltige Lebensmittelproduktion» umgelenkt werden. Zusätzlich sollen Bäuerinnen und Bauern durch Forschung, Bildung und Investitionshilfen unterstützt werden.

«Bis zu 20-fach überschritten»

Ein Kernanliegen der Initianten: Das Trinkwasser der Schweiz sei zu stark mit Pflanzenschutzmitteln und Nitrat belastet. «Im landwirtschaftlich intensiv genutzten Mittelland erhalten gegenwärtig über eine Million Menschen pestizidbelastetes Trinkwasser, wo der Lebensmittelhöchstwert bis zu 20-fach überschritten wird. Akzeptieren wir das? Akzeptieren wir die gesundheitlichen Risiken, die wir damit eingehen?», weibelte Roman Wiget von der Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein (AWBR).

«Eigentlich geht es schlicht und einfach um einfach um Vernunft. Ich kenne kein einziges vernünftiges Argument, dass gegen die Trinkwasser-Initiative spricht. Kein einziges», fügte er an.

«Erhöhte Darmkrebs-Gefahr» 

Ebenfalls vor Ort: Martin Würsten, bis 2020 Leiter des Amts für Umwelt Solothurn. Er hat ausserdem die Fachvereinigung 4aqua für Fachleute des Wassersektors initiiert. Würsten ergänzte, dass auch die Nitratgehalte des Grundwassers im ganzen Mittelland deutlich erhöht seien: «Nitrat im Trinkwasser auch unterhalb des Grenzwerts erhöht die Darmkrebs-Gefahr. Es sind deshalb Massnahmen beim Hauptverursacher Landwirtschaft angezeigt.»

Wissenschafter und Bundesämter warnten, dass auch die Ökologie der Gewässer und die Biodiversität durch Pestizide und Überdüngung stark gefährdet seien. Von den gesetzlich verankerten Umweltzielen erreiche die Landwirtschaft bis heute kein einzige, so die Initianten.

«Schädliche Subventionen» umlenken

Ein Dorn im Auge sind dem Initiativkomitee die Direktzahlungen. Jährlich subventioniere die Schweiz ihre Landwirtschaft mit rund 3,5 Milliarden Franken an Steuergeldern. Der grösste Teil der Subventionen – nicht weniger als 82% – fliesse in die «besonders schädliche, mit Importfutter künstlich erhöhte Tierproduktion». Mit dem Nährwert des Importfutters könnte die halbe Schweizer Bevölkerung ernährt werden, sind sie der Ansicht.

 

Biobauer Markus Bucher: «Fühle mich verantwortlich, zu handeln»

Die Initianten haben auch vereinzelte Landwirte an Bord, so beispielweise Biobauer Markus Bucher. «Die Trinkwasserinitiative bedeutet für mich ein gigantisches Entwicklungspotential für Landwirte und nachgelagerte Betriebe sowie für Forschung und Bildung», sagte Bucher, auf dessen Hof die Medienkonferenz stattfand.

«Ethische Fragezeichen»

Er habe 1998 den ehemaligen Munimastbetrieb seiner Eltern übernommen. «Prophylaktischer Antibiotikaeinsatz, Futtermittelzukäufe, grosse Mengen an Mist und Gülle sowie ethische Fragezeichen» hätten ihn bereits vier Jahre später dazu bewogen, den Hof auf Bio umzustellen. Heute produziert Bucher mit mehreren Mitarbeitern Bio-Gemüse. 2010 gewann er für seinen Knoblauch den Agropreis.

Moderne Hacktechniken und neue Anbaumethoden

«Ich als Lebensmittelproduzente fühle mich in meinen Tätigkeitsbereich verantwortlich, zu handeln», sagte Markus Bucher. Durch eine neue Ausrichtung der Direktzahlungen würden Anreize und Möglichkeiten zur Veränderung geschaffen.

«Investieren wir in moderne Hacktechniken, gezielte Sortenentwicklungen, neue Anbaumethoden, andere Lehrgänge und umweltbewusste Forschungen, ersetzen wir damit den Pestizideinsatz.» Einige dieser Lösungen erfülle der Biolandbau bereits. «Das bestätigen mir die Erfahrungen auf dem eigenen Betrieb.»

«Lebendige Orte»

Biowinzer Roland Lenz aus dem thurgauischen Uesslingen ergänzte, dass hohe Produktivität und Ökologie kein Widerspruch seien: «Unsere Rebberge sind lebendige Orte, auf denen sich einheimische Pflanzen und Tiere wohlfühlen und die Biodiversität für uns arbeitet.»

 

«Stark von Importfutter abhängig»

Martin Ott von der Schule für bio-dynamische Landwirtschaft in Rheinau ZH betonte die Wichtigkeit geschlossener Nährstoffkreisläufe. Derzeit verursache die Schweizer Landwirtschaft mit ihren Futtermittelimporten 100'000 Tonnen überschüssigen Stickstoff, was zur flächendeckenden Überdüngung von Gewässern und Landschaft und rapidem Artenschwund führe.

Eine seiner Studentinnen habe kürzlich zu ihm gesagt: «Wir sind so wohlhabend, dass wir uns die Früchte und Erträge aller Felder der Welt hierher transportieren können, um unsere Tiere zu füttern. Wir sind aber so klug, den den Fehlranreizen jetzt ein Ende zu setzen.» Vor seinen Studenten und Studentinnen würde er sich schämen, wenn er an der heutigen Veranstaltung nicht dabei wäre, sagte Ott - auch in Grossaffoltern, wie man ihn kennt, mit Hut.

Kampf gegen Antibiotikaresistenzen

Warum die Initiative auch den prophylaktischen Antibiotikaeinsatz im Blick hat, erläuterte Rolf Frischknecht, Tierarzt und Präsident des Dachverbands der Berner Tierschutzorganisationen (DBT). Antibiotikaresistenzen seien gemäss Eidgenössischer Fachkommission für biologische Sicherheit die grösste Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung in der Schweiz. Ohne Antibiotika sei keine Intensivmedizin möglich und viele Krankheiten liessen sich nicht mehr bekämpfen.

Negativ-Beispiel Kälbermast

Durch den übermässigen Einsatz von Antibiotika in der intensiven Tierhaltung würden Resistenzen immer mehr zunehmen und mit der Gülle auf Äckern und Wiesen ausgebracht. Als Beispiel nannte Frischknecht die «industrielle Kälbermast».  Prophylaktische Antibiotikagaben seien bei tierschutzgerechter Haltung und angepasstem Management unnötig. «Tierschutz ist auch Menschenschutz», fügte er an.

«Initiative ist klimarelevant»

Laut Klimaforscher Thomas Stocker von der Universität Bern ist die Initiative relevant dafür, dass die Schweizer Landwirtschaft ihre Klimaziele erreichen könne. «Durch eine landwirtschaftliche Produktion, die die Ressource Trinkwasser wesentlich weniger belastet, gelangen letztendlich auch weniger Treibhausgase in die Atmosphäre», so Stocker.

«Folgekosten werden verschwiegen»

Prominenter Unterstützer der Initiative ist Gipfelikönig Fredy Hiestand. Er nutzt in seiner gesamten Produktion ausschliesslich pestizidfreies Getreide. Dank einer engen Kooperation mit 200 Bauern könne er schon heute Backwaren im «Einklang mit der Trinkwasser-Initiative» anbieten. «Was der Bauernverband verschweigt: Die Folgekosten der Pestizide für Umwelt und Gesundheit müssen heute von der Allgemeinheit getragen werden», so Hiestand.

Am 13. Juni stimmt das Volk ab

Bis zur Abstimmung am 13. Juni werden die Initianten und Initiantinnen mit Veranstaltungen, Aktionen und Fahnen auf ihr Anliegen aufmerksam machen.