Er ist ein Herzstück der Schweizer Landwirtschaft – der Familienbetrieb. Dieser ist aber nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit die am meisten verbreitete Form der Landwirtschaftsbetriebe. Gemäss der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) sollen 90 % der weltweit 570 Millionen Landwirtschaftsbetriebe von Bauernfamilien geführt werden.

Was in der Schweiz aber wiederum einzigartig ist: Die innerfamiliäre Weitergabe der Höfe wird gesetzlich «gefördert» und Selbstbewirtschafter werden gegenüber Investoren bevorzugt behandelt. Die zentrale Gesetzesgrundlage dafür ist das Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB). Dieses verfolgt das Ziel, bäuerliche Familienbetriebe zu tragbaren Bedingungen zu erhalten.

Wurzeln in der mittelalterlichen Familienwirtschaft

Bäuerliche Familienbetriebe sind in der Schweiz nicht wegzudenken. Doch woher kommt diese Form überhaupt? «Der bäuerliche Familienbetrieb hat seine Wurzeln in der allgemeinen Familienwirtschaft, die wir seit dem Mittelalter kennen», weiss Peter Moser. Der Historiker ist Initiant und Leiter des 2002 gegründeten Archivs für Agrargeschichte (AfA) in Bern.

Die BauernZeitung hat ihn getroffen und sich mit ihm unter anderem über die auf diesen Seiten abgebildeten Darstellungen aus dem Buch «Der Bauernhof und seine Lebensgemeinschaften» von Rudolf Hunziker, Seminarlehrer, ausgetauscht. Das Buch stammt aus dem Jahr 1942 und ist im Heimat-Verlag Bern erschienen.

Grossbetriebe als Verlierer der Globalisierung

Wie Peter Moser erklärt, gehörten neben der Kernfamilie immer auch Verwandte, auf den Höfen lebende Angestellte sowie insbesondere vom 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts arbeitende Tiere zum Familienbetrieb. Produktion und Reproduktion, Haushalt und Betrieb, Wohnen und Arbeiten hätten sich dabei ergänzt und seien untrennbar ineinandergeflossen.

Zur dominanten Form sei der bäuerliche Familienbetrieb in der Landwirtschaft jedoch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geworden. «In einer Zeit der wirtschaftlichen Globalisierung, als die auf Lohnarbeit basierenden Grossbetriebe im Agrarbereich ihre Konkurrenzfähigkeit verloren», so Moser. Und erst nachdem sich der Familienbetrieb innerhalb des Agrarsektors unter den Bedingungen des Weltmarktes durchgesetzt hatte, wurde er von den Industriestaaten in Westeuropa als modernisierungsfähige Institution identifiziert, die es zu fördern galt.

Hühner, Schweine, Gemüseproduktion

Wie Peter Moser weiss, nimmt die Bäuerin auf den Familienbetrieben eine zentrale Rolle ein. Diese habe sich im Laufe der Zeit aber ständig verändert. In der Zwischenkriegszeit wurde ihre Stellung gestärkt. Das hänge mit der nach dem Ersten Weltkrieg etablierten neuen Agrar- und Ernährungspolitik zusammen. Damals wurde die Landwirtschaft im Sinne eines «Service public» neu organisiert. Damit werden Leistungen bezeichnet, die der Staat zugunsten der Allgemeinheit erbringt – oder im Falle der Landwirtschaft durch die Familienbetriebe erbringen liess. 

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Aber auch das im Zivilgesetzbuch von 1912 verankerte Erbrecht sei wichtig gewesen, wie Moser betont, «weil es diejenigen Mitglieder der Familienbetriebe stärkte, die den Hof bewirtschafteten». Das habe die Bäuerinnen gestärkt, die auf der grossen Mehrheit der Klein- und Mittelbetriebe rund die Hälfte aller zu erledigenden Arbeiten verrichteten.

So waren sie neben dem Haushalt in der Regel auch zuständig für die Hühner, die Schweine und die Gemüseproduktion. Damit hätten die Bäuerinnen in der Zwischenkriegszeit in vielen Fällen einen wesentlichen Teil der Einkünfte des Gesamtbetriebs erwirtschaftet.

Nach dem Krieg kam der Einmannbetrieb

In der Nachkriegszeit veränderte sich die Stellung der Bäuerinnen auf den Betrieben erneut. So hat laut Peter Moser die Motorisierung und Chemisierung viele Bäuerinnen von der Verrichtung schwerer Handarbeiten befreit. Gleichzeitig hätten sie aber auch die Zuständigkeit über ganze Betriebszweige – wie beispielsweise die Hühnerhaltung – verloren und damit auch die Möglichkeit, selbstständig Einnahmen zu generieren.

  AboMarkttag im Jahr 1942 vor dem Wirtshaus Galliker am Kasernenplatz in Luzern: Der alljährliche Knechtenmarkt war die Stellenbörse für landwirtschaftliche Arbeiter in jener Zeit. AgrargeschichteDer Knechtenmarkt am Kasernenplatz in LuzernDonnerstag, 22. Februar 2024 Auf den sich in der Tendenz zu Einmannbetrieben entwickelnden Familienbetrieben seien die Bäuerinnen zwar unentbehrlich geblieben. Allerdings änderte sich ihr Einsatzgebiet: So mussten sie nun vielfach Arbeiten ausführen, die vorher von Dienstboten oder anderen Familienangehörigen verrichtet worden waren. Oder wie Peter Moser es beschreibt: «Aus de facto Co-Betriebsleiterinnen in der Zwischenkriegszeit wurden in der Nachkriegszeit vielfach Hilfsarbeiterinnen, die erstmals über Zeit verfügten, um sich in einer Art und Weise um ihre Kinder und den Haushalt zu kümmern, die dem bürgerlichen Ideal einer strikten Trennung der Geschlechter zwar weitgehend, aber nie vollständig entsprach.»

Wie die Bäuerin zur Hausfrau wurde

Laut dem Agrarhistoriker haben auch die (agrar-)politischen Veränderungen in den frühen Neunzigerjahren unterschiedliche Auswirkungen auf die Situation der Bäuerinnen im Familienbetrieb. So seien beispielsweise im Bereich der Direktvermarktung neue Möglichkeiten geschaffen worden, welche die Bäuerinnen rasch aufgriffen. Auch die Umsetzung des Postulats der Gleichstellung der Geschlechter auf den Betrieben habe für die Frauen «gearbeitet».

«Von der Statistik wurden die Bäuerinnen zu Hausfrauen deklariert.»

Peter Moser, Initiant und Leiter des Archivs für Agrargeschichte in Bern.

Gleichzeitig habe aber – wie schon in der Nachkriegszeit beobachtet – eine weitere Entwertung der reproduktiven Arbeiten stattgefunden. Als reproduktive Tätigkeiten gelten Kinderbetreuung sowie Haus- und Familienarbeit – Arbeiten also, die traditionell den Frauen zugeschrieben wurden, sowohl auf den Betrieben als auch in den Haushalten.

Wie Peter Moser im Arbeitspapier «Bäuerinnen – einst Dreh- und Angelpunkt der Arbeiten auf den Bauernhöfen» schreibt, sei der Beruf der Bäuerin im 20. Jahrhundert zwar ein Beruf gewesen, der durch eine formale Ausbildung erlernt werden konnte. «Von der Statistik wurden die Bäuerinnen jedoch als Hausfrauen deklariert, weil ihre produktiven und reproduktiven Tätigkeiten in Haushalt und Betrieb von der auf die Verwissenschaftlichung und Industrialisierung aller Lebensbereiche fixierten Vorstellung gar nicht als Erwerbsarbeit wahrgenommen werden konnten.» Simone Barth


Wird der Bauer durch den Manager ersetzt?

Die Mechanisierung und Chemisierung der Landwirtschaft liess nicht nur das Tätigkeitsgebiet der Bäuerin schrumpfen, sondern auch die Zahl der Betriebe. Einerseits machten es Maschinen und der effiziente Einsatz von Chemikalien dem neu entstandenen «Einmannbetrieb» möglich, grössere Flächen zu bewirtschaften. Andererseits mussten die hohen Investitionskosten aufgebracht und amortisiert werden – auch dies förderte den Konzentrationsprozess hin zu weniger, dafür grösseren Betrieben. Seither geht die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz stetig zurück – allein in den letzten zwanzig Jahren um rund einen Drittel . Dabei zählt der durchschnittliche Schweizer Betrieb im internationalen Vergleich nach wie vor zu den kleinen Fischen.

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In Deutschland führen Aktiengesellschaften Betriebe mit 1000 Hektaren

In Deutschland etwa ist die Situation nur in den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg mit der Schweiz vergleichbar. Ganz anders ist die Situation im Norden des Landes. Während der durchschnittliche Haupterwerbsbetrieb in Deutschland auf 2,3 Arbeitskräfte und 92 Hektaren Fläche kommt, sind es bei den Aktiengesellschaften und Genossenschaften, die oft aus Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der ehemaligen DDR hervorgegangen sind, 17,1 Arbeitskräfte und rund 1000 Hektaren.

Das schlägt sich im Betriebsgewinn pro Arbeitskraft nieder, wie er vom deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für das Wirtschaftsjahr 2021/22 errechnet wird: In Mecklenburg-Vorpommern kommt der Haupterwerbsbetrieb auf ein Einkommen fast 60 000 Euro, im hügligen Baden-Württemberg sind es dagegen nur 35 000 Euro.

«Zwang zum Wachstum»: Der Strukturwandel ist immer noch in vollem Gange

Der ausgeprägte Strukturwandel hin zu immer weniger immer grösseren Betrieben sei Ausdruck eines «Zwangs zum Wachstum», sagt Ökonom Mathias Binswanger. Er spricht von einer «landwirtschaftlichen Tretmühle»: «Immer weniger Bauern werden immer produktiver, aber verdienen immer weniger Geld, weil die Produktivitätserhöhungen vor allem zu Preissenkungen führen.» In der Schweiz werde dies durch Direktzahlungen und Grenzschutz etwas abgemildert. «Aber selbst unter diesen Bedingungen müssen immer mehr Betriebe aufgeben.»

Mit der zunehmenden Digitalisierung und Elektrifizierung der Landwirtschaft dürfte der Strukturwandel in eine nächste Runde gehen. «Es findet eine Perfektionierung des Kapitalismus statt», sagt Binswanger. Dank künstlicher Intelligenz seien selbstlernende Algorithmen die besseren Manager, verdeutlicht Binswanger: «Sie können in viel kürzerer Zeit viel mehr Informationen verarbeiten, und das 24 Stunden pro Tag.» Damit nicht genug: Auch die Konsumentscheide der Menschen würden zunehmend von Algorithmen getroffen. «Künstliche Intelligenz eröffnet ganz neue Möglichkeiten, die Nachfrage zu beeinflussen», so Binswanger.

Spielraum für eigene Entscheide schwindet

 [IMG 4]Für eigenständige Entscheidungen des Betriebsleiters bleibt in solchen Systemen immer weniger Spielraum. Während die Mechanisierung und Chemisierung vor allem die Arbeitsbereiche der Bäuerin wegrationalisierte, dürfte es nun den Bauern selbst treffen. «Er verschwindet und wird zum Manager in landwirtschaftlichen Ökosystemen», verdeutlicht Mathias Binswanger die letzte Konsequenz einer durchdigitalisierten Landwirtschaft. «Diese Manager sind austauschbar und die Verbindung zum Boden und zu den Tieren geht verloren.» Noch ist es nicht so weit, und das liegt laut Binswanger auch an den Prämissen der gegenwärtigen Schweizer Agrarpolitik.

«Wir erhalten die Landwirtschaft in der Schweiz gerade deshalb, weil wir keine industriellen Grossbetriebe wollen», gibt er zu bedenken. Denn: «Ein Familienbetrieb denkt eben nicht rein ökonomisch, sondern es geht auch um Erhalt des Bodens und dessen Tragfähigkeit, was dem Prinzip der Nachhaltigkeit entspricht.»

Natürlich gebe es Betriebe, die weit von diesem Ideal entfernt seien, räumt Binswanger ein. «Aber für die Mehrheit der Bauern trifft es zu.» Mit den richtigen Rahmenbedingungen könne die Digitalisierung durchaus dazu dienen, die bestehenden Familienbetriebe nachhaltiger zu machen, so Binswanger: «Wenn sie dazu dient, eine Graslandwirtschaft effizienter zu machen und die Haltung der Kühe auf der Alp erleichtert, dann macht dies ökologisch Sinn.» Peter Walthard

Kommentar von Peter Walthard
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Nicht jeder will Manager sein

Manche Menschen arbeiten gerne im Büro. Sie schätzen die geregelten Arbeitszeiten, den Auftritt an der Sitzung, den Status des Firmennamens. Andere sind lieber draussen an der frischen Luft und schaffen mit den Händen. Sie haben lieber müde Muskeln als müde Augen. Manche Menschen sind gut darin, Vorgaben zu erfüllen. Sie begreifen schnell, was man von ihnen will, und geniessen die Anerkennung, die es dafür gibt. Andere richten sich lieber nach dem Wetter als nach dem neusten Leitbild und sind froh, dass sie nicht jedem gefallen müssen.

Wo Daten, definierte Abläufe und Evaluationen zum Berufsalltag werden, blühen die einen auf. Die anderen verlieren die Freude an der Arbeit und suchen etwas Neues. Doch langsam wird die Auswahl knapp. In welchem Beruf geht es denn noch ohne Zielvorgaben, Kontrollen und Überwachung?

Das Unwohlsein der Landwirtschaft hat viele Ursachen. Sicher, es geht um Preise und um Politik. Vielleicht geht es aber auch um Menschen, die gerne aus der eigenen Kraft und Erfahrung heraus arbeiten. Und die nun zu spüren bekommen, dass es dafür in einer zunehmend akademisierten und zahlengetriebenen Gesellschaft immer weniger Platz zu geben scheint. p.walthard@bauernzeitung.ch