Der Dezember 2021 startete mit fulminantem Winterwetter und brachte in den ersten zwei Wochen des Monats verbreitet eine geschlossene Schneedecke – sogar im Tessin lag zeitweise Schnee bis in die tiefen Lagen. Hinter diesen Schneefronten stellte sich am vergangenen Wochenende ein markanter Wetterwechsel ein.

Ein Blick auf den klimatologischen Kalender lässt befürchten, dass sich das berüchtigte Weihnachtstauwetter einstellt. Und tatsächlich ist die ausserordentlich dicke Schneedecke inzwischen munter am Tauen. Doch nicht überall gleich ausgeprägt, denn das diesjährige «Weihnachtstauwetter» entspricht überhaupt nicht dem klassischen Muster.

Tauwetter zu Weihnachten

Doch was ist eigentlich das Weihnachtstauwetter? Dabei handelt sich um eine meteorologische Singularität, wie der Altweibersommer oder die Eisheiligen. Klimatologisch gesehen besteht um die Weihnachtszeit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Warmluftschub, der zu verbreitetem Tauwetter führt. Seit Anfang dieser Woche liegt auch die Schweiz im Einflussbereich von ausgesprochen milder Luft. Doch das Wettermuster unterscheidet sich deutlich von dem typischen Weihnachtstauwetter.

Klassischerweise wird beim Weihnachtstauwetter auf der Vorderseite eines Tiefs warme Luft aus Sektor West oder Süd in die Schweiz geführt. Dabei herrscht oft Tendenz zu sinkendem Luftdruck, wodurch sich die Atmosphäre bis in die tiefsten Lagen durchmischt und entsprechend erwärmt. Zudem ist diese Luftmasse oft eher feucht, da sie vom Mittelmeerraum oder vom Atlantik stammt. Milde Luft kombiniert mit einer hohen Luftfeuchtigkeit ist sehr effizient darin, Schnee zu schmelzen.

Kaltluft über dem Mittelland

Die aktuelle Wetterlage zeigt jedoch keine Spur von milder Luft aus Sektor West oder Süd. Im Gegenteil, über alle Höhen besteht eine Nordostströmung. Und dennoch sind die Temperaturen auf einer Höhenstufe zwischen 900 und 4000 Meter ausgesprochen hoch.

Verantwortlich dafür ist das kräftige Hochdruckgebiet, das sich Anfang der Woche über Mitteleuropa aufgebaut hat und nun langsam in Richtung der Britischen Inseln wandert. Dieses Hoch sorgt für ein starkes Absinken der Luft in der Höhe. Dieses Absinken sorgt wiederum für die hohen Temperaturen. Allerdings gibt es dabei vor allem für das Schweizer Mittelland einen Haken: Denn unter dem Hochdruckgebiet ist die Atmosphäre sehr stabil, die Luft wird kaum durchmischt und dadurch sammelt sich ein markanter Kaltluftsee über dem Mittelland an.

Die Kaltluft, die diesen See nährt, bildet sich einerseits durch die nächtliche Abkühlung. Doch die Kaltluftbildung wird zusätzlich noch durch die schneebedeckte Landschaft verstärkt. Denn Schnee ist zwar einerseits ein sehr guter Isolator, er strahlt aber auch sehr effizient Wärmestrahlung ins All ab – deutlich effizienter als eine «grüne» Landschaft. Dies führt dazu, dass der Kaltluftsee bei klarem Himmel praktisch durchgehend weiter wächst, obwohl die Temperaturen in der freien Atmosphäre deutlich wärmer sind. Wie effizient die Wärmeabstrahlung der Schneedecke tatsächlich ist, zeigen beispielsweise die Temperaturmesswerte des SLF an der Schneemessstation Vorderstocken: Die Station liegt auf 1790 m ü. M. Zwei Meter über der Oberfläche liegt die Lufttemperatur seit Beginn der Woche deutlich im positiven Bereich. Die Temperatur auf der Schneeoberfläche lag jedoch in derselben Zeitperiode meist zwischen −5 und −10 Grad.

Kaltluft fördert Nebel

Die Kaltluft, die sich so an der Schneeoberfläche bildet, fliesst hang- und talabwärts, bis sie sich schliesslich in den Kaltluftseen der Alpennordseite sammelt. Dies führt dazu, dass die Temperaturen im Mittelland kaum noch über den Gefrierpunkt steigen, während sie in leicht erhöhten Lagen beinahe zweistellig positiv sind. Zudem ist diese Kaltluft direkt mit hartnäckigem Nebel verbunden. Sämtliche Feuchtigkeit, die von der Schneedecke in den Kaltluftsee wandert, bleibt dort gefangen und führt sehr schnell zur Nebelbildung.

Gleichzeitig ist die Luftfeuchtigkeit in den erhöhten Lagen mit milder Luft ausgesprochen tief, denn das Absinken erwärmt die Luft nicht nur, sondern trocknet sie auch ab. Diese tiefe Luftfeuchtigkeit hat wiederum einen positiven Effekt auf die Erhaltung der Schneedecke, denn bei trockener Luft ist der Schmelzprozess der Schneedecke deutlich verlangsamt.

Weiss mit Abstrichen

Der Kaltluftsee mit Nebel und die tiefe Luftfeuchtigkeit lassen also das Weihnachtstauwetter dieses Jahr etwas halbherzig auftreten. Da das Hochdruckgebiet, das die aktuelle Wetterlage dominiert, sehr beständig und beinahe ortsfest ist, wird sich dieses Muster auch nicht so schnell ändern. Die Wahrscheinlichkeit, dass vor Weihnachten in der Schweiz noch Niederschlag fällt, ist sehr gering. Doch auch so sind dank des verhaltenen Weihnachtstauwetters die Chancen auf weisse Weihnachten vielerorts intakt – auch wenn es keine frisch verschneite Landschaft sein wird, sondern halt nur die vielleicht nicht mehr ganz so unversehrte Altschneedecke.