Die Entstehung «traditioneller» Rollenbilder für Männer und Frauen wird zuweilen stark mit dem Aufkommen der ersten Landwirtschaft in Verbindung gebracht. Es soll gar die Vorherrschaft des Mannes («Patriarchat») darin ihren Ursprung haben, denn vor der neolithischen Revolution mit der Erfindung von Ackerbau und Tierhaltung seien die umherziehenden Menschen mehrheitlich gleichberechtigt gewesen. Aufgrund archäologischer Funde von Frauenfiguren und -darstellungen gibt es ausserdem die Vermutung, das weibliche Geschlecht sei für seine Fruchtbarkeit verehrt worden.
Starke Verteidiger
In einer TV-Dokumentation von Terra X erklären Fachleute den Zusammenhang zwischen Patriarchat und beginnender Landwirtschaft folgendermassen:
- Klimaveränderung: Mit dem Ende der Eiszeit wurde das Klima vorhersehbarer und die Menschen gaben ihr Nomadenleben zugunsten von Sesshaftigkeit auf.
- Neolithische Revolution: Neu lohnte es sich, an Ort zu bleiben und Zeit sowie Energie in den Anbau von Pflanzen und die Tierhaltung zu stecken. Während Frauen sich um Felder und Haushalt gekümmert hätten, seien Männer mit dem Bau von Häusern und den Tieren beschäftigt gewesen – also dem Kapital der neuen Landwirte.
- Kämpfe: Es sei ein neues Verständnis von Besitz entstanden und damit auch etwas, worum es sich zu kämpfen lohnte. Männer waren dank ihrer grösseren Körperkraft bessere Verteidiger des Eigentums einer Familie und seien daher mehr wertgeschätzt worden.
- Mütter: Da dank Ackerbau und Tierhaltung Nahrung durchgehender verfügbar war, konnten Frauen häufiger Mütter werden. Kinder mussten nicht mehr drei, vier Jahre gestillt werden, sondern assen Getreidebrei und tranken Kuhmilch. Die kürzeren Geburtenabstände, auf die Untersuchungen archäologischer Beckenknochen hindeuten, hätten den frühzeitlichen Frauen körperlich zugesetzt. Sie seien geschwächt und ihre Sterblichkeit erhöht gewesen, was ihren sozialen Status gesenkt habe.
- Heiratssystem: In der Bronzezeit sei es weltweit üblich gewesen, dass Frauen ihre Familie verliessen und zu ihrem Ehemann zogen. Damit seien sie an einem fremden Ort in einer Aussenseiterposition gewesen.
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In der Gemeinschaft
Es gibt in der Fachwelt aber andere Ansichten. Die beiden Anthropologen David Graeber und David Wengrow zweifeln in ihrem Buch «Anfänge – eine neue Geschichte der Menschheit» die Kriegsführung als wichtiges Merkmal früherer Ackerbaugesellschaften im Nahen Osten an. Sie lasse sich – im Gegensatz zu blühendem Handel und der Bedeutung weiblicher Figuren in Kunst und rituellem Leben – schlecht belegen. «Sicher ist es falsch, anzunehmen, Samen auszubringen und Tiere zu halten, hätte bedeutet, notwendigerweise mehr ungleiche gesellschaftliche Arrangements zu akzeptieren», schreiben die beiden Autoren. Sie fügen Beispiele gemeinschaftlicher Landnutzungen in diversen Ländern an. Damit wäre eine zentrale Erklärung für einen tieferen sozialen Status der Frauen mit dem Aufkommen der Landwirtschaft in Frage gestellt: Ohne kriegerische Auseinandersetzungen entfällt der Vorteil grosser Körperkraft, die Männern zu höherem Ansehen verholfen haben soll.
«Einen Garten-Eden-Zustand gab es nie.»
David Graeber und David Wengrow über die aufkommende Landwirtschaft.
Frauen als Erfinderinnen
Graeber und Wengrow erläutern weiter, Frauen hätten als Erfinderinnen in frühen Gemeinschaften eine wichtige Rolle gespielt. Funde zur Verarbeitung von Pflanzen seien deutlich mit Frauen verknüpft. Das spricht aus ihrer Sicht dafür, dass es sich nicht nur bei Anwendungen von Pflanzen als Nahrung, Medizin, Pigment oder Gift um weibliche Errungenschaften handelt, sondern auch z. B. bei der Flechtkunst und dem damit verbundenen mathematischen sowie geometrischen Wissen.
Die beiden Autoren führen ihre Theorie aus, dass sich die Landwirtschaft nicht im Sinne einer Revolution, sondern über Jahrhunderte spielerisch mit viel Ausprobieren entwickelt habe. «Einen Garten-Eden-Zustand gab es nie, von dem aus die ersten Bauern in die Ungleichheit geraten mussten», so Graeber und Wengrow. Die Landwirtschaft als Ursprung gesellschaftlicher Hierarchien, von Ungleichheit und Privateigentum zu betrachten, bezeichnen sie als «sinnlos». Durch gesellschaftliche Rituale im Zusammenhang mit der Ernte würden ackerbaulich geprägte Gemeinschaften früherer Zeit relativ gleichberechtigt erscheinen. Das hänge zu einem grossen Teil damit zusammen, dass die Frauen ökonomische und gesellschaftliche Spuren hinterlassen hätten, die sich in Kunst und Ritualen zeigten.