«Der Hof ist meine Leinwand, die ich nach meinem Gutdünken kreieren kann», sagt Sharon Holenstein (43) und schenkt in ihrem Fotoatelier im Dachstock ihres Hauses Tee ein. Eben hat sie ihren ersten Fotokalender mit Aktbildern von Models mit Oldtimer-Traktoren fertiggestellt.
Viele Exemplare sind schon verkauft, einige müssen noch mit der Bindemaschine zusammengefügt werden. «Ich bin sehr glücklich, durfte ich diesen Kalender mit meinen Aktbildern und den wunderschönen alten Traktoren machen.» Ihr verstorbener Mann Bert, der 2019 im Alter von 52 Jahren an einem Herzinfarkt starb und selbst einen roten Hürlimann-D90-Traktor, Jahrgang 1965, besass, wäre stolz auf sie, erzählt Sharon Holenstein. Bert habe sie immer ermutigt, ihre Leidenschaft für das Fotografieren voranzutreiben.
Von Kanada in die Schweiz
Sharon Holenstein wuchs in Alberta (Kanada) auf. Ihre Eltern waren beide aus der Schweiz nach Kanada ausgewandert und gründeten dort eine Familie. Mit Landwirtschaft hatte die Familie nur hobbymässig zu tun. Das Kinderbuch mit den naiven Bildern aus dem Appenzellerland von Albert Manser habe sie während ihrer Kindheit inspiriert, in die Heimat ihrer Eltern zurückzukehren, schildert Sharon Holenstein ihre Beweggründe, Kanada zu verlassen.
[IMG 2]
In der Schweiz landete sie im Appenzellerland, arbeitete anfangs im Service, liess sich dann zur Englischlehrerin und Übersetzerin ausbilden und arbeitete auf diesen Berufen. Mit ihrem Mann führte sie den Hof in Zuckenriet SG. Zwei Töchter wurden dem Paar geschenkt, heute sind die Mädchen 15- und 13-jährig.
Möglichkeiten statt Antworten
Nach seinem Tod hinterliess ihr Mann eine riesige Lücke auf dem Fleisch- und Obstwirtschaftsbetrieb. Sharon Holenstein war von einem Tag auf den anderen auf sich allein gestellt. Ihr wurde von bäuerlicher Seite Hilfe angeboten, oder sie organisierte selber welche. Doch eine umfassende Beratung, wie ihre Zukunft als Witwe mit zwei Kindern realistisch aussehen könnte, bekam sie nicht.[IMG 3]
«Ich wollte nicht fertige Antworten, sondern Möglichkeiten», sagt Sharon Holenstein. Die von Männern dominierte Agrarwirtschaft missfiel ihr zusehends, bis sie begriff, dass sie die Entwicklung des Hofes selber in die Hand nehmen musste, um einen eigenen, machbaren Weg zu finden. Diese Erkenntnis machte sie stärker, sie lernte, die Spreu vom Weizen zu trennen. Sie wurde von der Witwe zur Geschäftsfrau.
Kastanienbäume pflanzen
In dieser Zeit kamen ihr auch immer wieder glückliche Zufälle zugute. Oft lernte sie genau zum richtigen Zeitpunkt ehrliche Menschen kennen. So kam sie auch zur neuen Geschäftsidee, Kastanienbäume anzupflanzen. Nicht nur emotionale Gründe wie ihre Sympathie zu Bäumen bewogen sie dazu, auf Marroni zu setzen. Vielmehr liessen ihr die Bäume genug Flexibilität und Zeit, den Absatz sicherzustellen und auch noch auf andere Standbeine zu setzen.
Zudem hielten sich die Investitionen, etwa im Vergleich zu einer Stallvergrösserung, in Grenzen. Daher wurden vor drei Jahren auf fünf Hektaren 352 Kastanienbäume gepflanzt und auf fünf Hektaren wird neu Ackerbau betrieben.
Heisse Marroni auf dem Hof
Letzten Herbst konnte Sharon Holenstein erstmals 150 Kilogramm Kastanien ernten, die sie vorerst selbst vermarktet. Auf dem Hofplatz vor ihrem Haus verkaufte sie regelmässig «Heissi Marroni», was von Passanten, Freunden und Bekannten geschätzt wurde. «Ich habe durch den Tod meines Mannes das pralle Leben erfahren und bin dadurch stärker und unternehmerischer geworden.»
Ein weiterer Zufall erwies sich auf dem schwierigen Weg von Sharon Holenstein als riesiger Glücksfall: Sie lernte ihren heutigen Lebenspartner Thomas Breitenmoser kennen und das Paar bekam einen Sohn. «Ich musste ein paar Jahre untendurch, um das grosse Glück wiederzufinden», sagt Sharon Holenstein mit einem Lachen.
Traktoren und Frauen
Nun finde sie auch wieder Zeit und Musse, sich ihrer Kunst, dem Fotografieren, zu widmen. Früher machte sie oft bis zu zehn Hochzeitsreportagen pro Jahr. Zudem hatte sie einen Dorfkalender mit Bildern ihrer Wohngemeinde gestaltet sowie eine Ausstellung mit ihren Fotos.
Wieder durch Zufall ergab sich aus dem langjährigen Kontakt mit einem Fotografen aus den USA die Möglichkeit, mit einem internationalen Aktmodell und deren Kollegin zusammenzuarbeiten. Aus dieser Zusammenarbeit entstand die Idee, einen Kalender mit Oldtimer-Traktoren und Frauen zu fotografieren.
[IMG 4]
Jedes Blatt des Kalenders «Beautiful Tractors» zeigt einen alten Traktor, auf dem ein wenig bekleidetes Model posiert. Für Sharon Holenstein haben Akt- und Halbaktbilder nichts mit Begriffen wie «sexistisch» oder «frauenverachtend» zu tun. Sie sieht ihre Fotografien als Kunstobjekte und will den Menschen, aber auch die alten Traktoren in den Mittelpunkt stellen. «Das Grobe, Mechanische harmoniert wunderbar mit der Ästhetik der weiblichen Formen», sagt sie. «Und genau diese Balance ist es, die ich beim Fotografieren anstrebe.»
Weitere Informationen: www.freihoffoto.ch
Fünf Fragen an Sharon Holenstein
Was rührt Sie zu Tränen?
Wenn ich ein Lied höre, das ich mit vielen Emotionen oder mit Erinnerungen an liebe Menschen verbinde, rührt mich das zu Tränen.
Was ist Ihnen in einer Beziehung wichtig?
Offene Kommunikation und die Fähigkeit, sich in die Situation des anderen zu versetzen, um diese möglichst zu verstehen.
Was war Ihre schönste Kindheitserinnerung?
Der Biberdamm-Weiher, der von unserem Zuhause in Alberta mit dem Quad erreichbar ist. Im Winter war es der perfekte Ort zum Schlittschuhfahren, nachdem mein Vater das Eis mit dem Traktor freigepflügt hatte.
Welche lebende oder tote Person würden Sie gerne einmal persönlich treffen?
Die kanadische Country-Sängerin Shania Twain, die in der Schweiz wohnt.
Was ist Ihr Lieblingslied und warum?
Eines von meinen vielen Lieblingsliedern ist «Paradise City» von Guns n’ Roses – am liebsten sehr laut aufgedreht, das gibt mir immer viel Power.