Seit knapp einem Jahr ist Philipp Wyss CEO von Coop. Im Gespräch mit der BauernZeitung äussert er sich zum Verhältnis der Detailhändlerin zur Landwirtschaft und erklärt, wie sich dieses weiterentwickeln soll.

Philipp Wyss, hatten Sie heuer schon Coop-Spargeln aus Peru?

Philipp Wyss: Ich habe selbstverständlich schon Spargeln gegessen, und zwar aus Spanien. Das sind ja auch Bauern, welche diese liefern.

Ihre Medienkonferenzen erinnern an Nachhaltigkeitsseminare. Passt der Verkauf von Übersee-Spargeln zum sorgsam gepflegten Image?

Rund ¾ der Lebensmittel kommen bei uns aus der Schweiz. Aber es gibt auch eine Vorsaison, da wird importiert, weil schönes Wetter herrscht und weil die Nachfrage da ist. Wir beziehen daher Produkte aus der ganzen Welt und nicht nur aus der Schweiz.

Aber diese Vorsaison ist aus Nachhaltigkeitsperspektive unschön?

Wieso?

Ist es nicht imageschädigend, in der peruanischen Wüste Spargeln anzubauen und diese zu importieren?

Wir schauen auf der ganzen Welt, dass möglichst korrekt angebaut wird. Wir haben z. B. viele Wasserprojekte, die wir mit unserem Fonds für Nachhaltigkeit unterstützen. Es ist zudem ein geringes Volumen, das importiert wird, da das Angebot an Schweizer Spargeln zu klein ist, um die Nachfrage zu befriedigen.

Ist der Grund denn der mögliche Konkurrenznachteil gegenüber Migros?

Das Bedürfnis ist da, ab März Spargeln einzukaufen. Grundsätzlich kaufen wir auf der ganzen Welt fair und nachhaltig ein. Das ist immer unser Prinzip, egal ob Schweizer Produkte, Spargeln in Peru, Crevetten in Ecuador oder Waren aus Indien. Es wird weiterhin in der Vorsaison peruanische Spargeln geben, die mit dem Schiff kommen.

Ihr Vorgänger war Elektronikverkäufer, Sie sind Metzger und haben den Frischprodukte-Bereich geleitet. Ist das für die Bauern gut oder schlecht?

So oder so machten wir ja Unglaubliches für die Schweizer Landwirtschaft in den letzten 30 Jahren. Auf uns kann man zählen, wir haben einen offenen Kontakt mit Verbänden und Bauern. Dadurch besteht gegenseitiges Verständnis entlang der Wertschöpfungskette, und es ist gut, zu wissen, was machbar ist. Niemand verkauft mehr Mehrwertprogramme als wir von Unique bis Naturaplan.

Zurück zu unserer Frage: Die Metzger versuchen ja, die Bauern preislich zu drücken, wo es geht. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Ich bin ja ein kaufmännischer Metzger B, deshalb habe ich viel Verständnis für Veredelung und damit für den Wert guter Rohstoffe. Ich war auch in meinem vorherigen Job eng verbunden mit den Bauern und habe vom ersten Tag an mitgeholfen, das Label Suisse Garantie mitzuentwickeln. Ob meine Wahl für sie ein Vorteil oder ein Nachteil war, das müssen die Bauern nach meiner Ära beurteilen (lacht).

Wie würden Sie das Verhältnis von Coop zu den Schweizer Bauern beschreiben?

Dieses Verhältnis ist sehr gut. Wir treffen uns regelmässig mit dem Schweizer Bauernverband, manchmal gibt es auch schwierige Themen zu diskutieren und das ist förderlich für das gegenseitige Verständnis. Daneben haben wir Partnerorganisationen wie IP-Suisse und Bio Suisse, mit denen wir seit vielen Jahren sehr eng zusammenarbeiten. Diese Konstanz ist uns wichtig.

Der Strukturwandel ist unaufhaltsam. Macht Ihnen das Sorgen oder sagen Sie sich, was ausfällt, werden wir einfach importieren?

Es ist für uns das Wichtigste, dass wir Schweizer Produkte haben. Wir haben bei den Milchprodukten 90 und beim Fleisch 87 Prozent aus der Schweiz. Der Strukturwandel wird weiter vorwärts gehen, aber wir versuchen, diesen mit unseren Programmen zu bremsen. So unterstützen wir zahlreiche Projekte im Berg- und Hügelgebiet, etwa mit Pro Montagna, aber auch im Tal profitieren die Betriebe von unseren Mehrwertprogrammen.

Sie machen das ja nun schon eine Weile, aber der Strukturwandel bleibt konstant. Vielleicht muss Coop dann mal selbst bauern …

Wir hatten lange Zeit Bauernhöfe, und da werden wir sicher nicht mehr einsteigen …

… das Risiko ist Ihnen zu hoch …

… nein, nicht das Risiko, aber eine klare Trennung mit partnerschaftlicher Beziehung macht Sinn. Wir sind nicht Bauern, sondern Detailhändler.

Coop scheint eher die Ökolabels zu fördern, regionale Herkunft scheint weniger wichtig zu sein.

Dieser Eindruck täuscht komplett. Das kommt wohl daher, dass wir mit unseren Labels vielseitiger aufgestellt sind als die Mitbewerber. Wir wollen beides, Regionalität und Nachhaltigkeit.

Im Moment versucht die Landwirtschaft, sich die Massentierhaltungs-Initiative vom Leib zu halten. Was ist hier die Position von Coop?

Wir haben zusammen mit der IG Detailhandel eine klare Haltung. Für uns geht die Initiative zu weit. Wir glauben daran, dass man nicht alles regeln muss. Wir würden bei einem Ja die Konsumenten erst recht ins Ausland verlieren, die dort billiges Fleisch einkaufen. Zudem sind wir natürlich bestrebt, in Sachen Tierwohl weiterhin alles zu geben, unabhängig von der Initiative.

Sie haben sich letztes Mal im Abstimmungskampf gegen die Agrar-Initiativen sehr zurückhaltend gezeigt, werden Sie dieses Mal aktiver eingreifen?

Nein, die IG Detailhandel schliesst sich keinem Abstimmungskomitee an. Es gibt auch keine Nein-Parole oder finanzielle Unterstützung für den Abstimmungskampf. Coop hat sich in den letzten 20 Jahren nur vereinzelt direkt zu gesellschaftspolitischen Fragen geäussert.

Zusammengefasst: Die Initiative geht zu weit, aber Sie unternehmen nichts dagegen?

Ja, sie geht zu weit, aber auf der anderen Seite gibt es auch klare Ansprüche in Sachen Tierwohl.

Am stärksten am Pranger steht bei der Initiative ja die Pouletmast, dort sind Sie mit Bell ein zentraler Player, wie sind Sie denn zufrieden mit den Produktionsstandards in diesem System?

Mit der BTS-Haltung hat man grosse Fortschritte gemacht. Bei uns ist diese beim Frischfleisch ja zu 100 Prozent umgesetzt, auch für Importe.

Oft wird die kurze Mastdauer kritisiert, stimmt das für Sie?

Wir reden immer über Verbesserungsmöglichkeiten. Aber so wie sie heute aufgestellt ist, scheint mir die Pouletmast korrekt zu sein.

Sie ist stark vertikal integriert und für alle Beteiligten lukrativ, wollen Sie auch in anderen Sektoren tiefer in die Produktion vordringen?

Davon ist nicht auszugehen.

In anderen Bereichen ziehen Sie sich zurück, so etwa bei den Labelschweinen, die Sie an IP-Suisse übergeben haben, hat sich das bewährt?

Das hat sich absolut bewährt. IP-Suisse ist ein guter Partner, wir sind froh, konnten wir diesen Schritt machen.

Viele der Produzenten fühlten sich düpiert, dass die Fixprämie durch einen klar tieferen, variablen Zuschlag ersetzt wurde. Verstehen Sie das?

Erstens ist das nach zwei Jahren kalter Kaffee. Zweitens haben wir das sehr gut umgesetzt und die Produktion in die Hände einer etablierten Bauernorganisation übergeben. Ich bin sehr froh über diese Lösung.

Beim Labelfleisch streichen Sie offenbar viel zu hohe Margen ein, warum ist das so?

Wir verdienen am Labelfleisch nicht mehr als in den übrigen Segmenten. Die Kosten sind wegen der kleineren Tierzahl und der ganzen Rückverfolgbarkeit höher.

Sie lassen sich Ihre Label durch Tierwohl-Programme des Bundes subventionieren, haben Sie da kein schlechtes Gewissen?

Wir haben keinen Franken Quersubvention, die wir direkt erhalten. Der Bund sind wir alle, die Schweizer Bevölkerung. Diese will ein hohes Tierwohl. Die Arbeitsteilung stimmt für mich so.

Konkurrenziert der IP-Käfer nun die Bio-Knospe?

Das muss man anders sehen. Wir haben 1993 angefangen mit Bio, haben heute 3700 Knospe-Artikel, das ist ein grosser Teil unseres Gesamtengagements. Im mittleren Preissegment ist mehr Ökologie aber ebenfalls wichtig, dafür ist IP-Suisse eine gute Alternative. So haben wir bereits alle Kartoffeln umgestellt und werden dieses Jahr unsere Äpfel umstellen. Und es wird weitere Projekte geben.

Wie wird die Umstellung der Äpfel verlaufen, gibt es schon heuer Anpassungen?

Schon bei der nächsten Ernte dieses Jahr wird ein Teil der Äpfel IP-Suisse-zertifiziert sein.

Welche weiteren Projekte mit IP-Suisse sind geplant?

Diesen Sommer werden beispielsweise auch Karotten nach IP-Suisse-Standards im Coop-Regal zu finden sein.

«Die Pouletmast, so wie sie heute aufgestellt ist, scheint mir korrekt zu sein.»

Braucht es in Zukunft überhaupt noch eine konventionelle Produktion?

Das ist eine Frage, die sich die Bäuerinnen und Bauern stellen müssen. Aus unserer Sicht wird es sicher immer Abnehmer dafür geben – in welcher Menge bleibt abzuwarten. Wir möchten allen Kund(innen) unabhängig von deren Budget Schweizer Produkte anbieten und konventionelle Produkte sind dabei ein wichtiges Puzzleteil.

Sie passen sich ja immer mehr der Konkurrenz an, die ebenfalls auf Käfer und Knospe setzt…

Das stimmt nicht ganz. Wir setzten als erste auf die Knospe – andere passen sich hier uns an. Im mittleren Preissegment haben wir  nach einer nachhaltigen Alternative gesucht und halten den Käfer für geeignet. Übrigens hatten wir den Käfer vor unserer Konkurrenz auf den Milchprodukten drauf.

Sie hatten ja vorher das Label Naturafarm, das hat offenbar nicht ganz gereicht und es musste noch ein Bauernlabel drauf?

Naturafarm gibt’s immer noch. Dieses Label ist aufgrund der Positionierung vor allem für Fleisch vorgesehen und weniger geeignet für beispielsweise Mehl oder Früchte.

Aber es ist schon ein Triumpf der Bauern: Beide Grossverteiler sind angewiesen auf ihre Label, obwohl riesige Summen in hauseigene Marken investiert wurden.

Ich bin glücklich, dass es die Label der Bauern sind, da ist Herzblut dahinter. Auf der anderen Seite wären ja beide Label nicht dort, wenn wir uns nicht 1993 die Hand gegeben hätten und dies durch Hoch und Tiefs stets weiterentwickelt hätten.

Es wollen ja nun alle die Knospe, stört Sie das?

Wir haben 30 Jahre Vorsprung und sind der Meinung, dass Konkurrenz das Geschäft belebt.

Sie verbieten zunehmend Pflanzenschutz-Substanzen und sind damit strenger als der Gesetzgeber. Ist das der richtige Weg?

«Es gibt von uns keine Nein-Parole und kein Geld gegen die Initiative.»

Ich glaube, es ist der richtige Weg. In Sachen Pestizideinsatz sind viele Kunden sehr sensibel. Wir richten uns hier nach den Richtlinien der FAO und gehen bei den Eigenmarken bei Bedarf noch einen Schritt weiter, um so noch mehr Sicherheit bieten zu können, für die Kunden, die Umwelt und die Bauern.

Gleichzeitig haben Sie an der Bilanzmedienkonferenz wie eine Trophäe eine Preissenkung beim Gemüse um 6 bis 7 Prozent präsentiert. Das ist doch ein kompletter Widerspruch?

Es ist ja nicht so, dass wir dem Bauern 6–7 Prozent weniger bezahlen. Für die Konkurrenzfähigkeit brauchen wir Top-Preise, das müssen wir immer wieder evaluieren.

Mit anderen Worten sind Sie immer noch zu teuer?

Nein, wir sind überhaupt nicht mehr zu teuer. Wir haben heute die gleichen Preise wie unsere Hauptkonkurrenz. Wir haben das Prix-Garantie-Sortiment auf 1400 Artikel ausgebaut. Auf der anderen Seite haben wir 16 000 Produkte mit ökologischem Mehrwert im Regal.

Man fragt sich einfach, wie das aufgehen soll. Sie verbieten Substanzen und fordern höhere ökologische Leistungen, gleichzeitig setzen Sie die Produzenten preislich unter Druck, das ist doch extrem ambivalent und strategisch nicht kohärent.

Es ist ambivalent, wir haben ja keine Bioläden und wollen alle Bedürfnisse unserer Kunden abdecken. Uns ist immer eins wichtig, nämlich dass sowohl der Bauer wie auch der Konsument im Laden einen fairen Preis von uns erwarten kann.

Die Einkaufsgewohnheiten verändern sich immer stärker Richtung Online, wie wird sich das weiterentwickeln?

Das wird sicher weiter zunehmen, aber wenn Online beim Food 10 Prozent erreicht, ist das viel. Die Leute wollen das Essen sehen, sich inspirieren lassen, deshalb investieren wir viel in Käsereien und Metzgereien in den Läden. Den stationären Lebensmittelhandel wird es immer geben. 

Der Obstverband zum Apfelentscheid von Migros

Erst vor wenigen Wochen hat der Schweizer Obstverband (SOV) die Branchenlösung «Nachhaltigkeit Früchte» präsentiert. Dieses Programm sehe rund 90 Massnahmen in allen drei Dimensionen (Ökologie, Ökonomie und Soziales) der Nachhaltigkeit vor, hiess es bei der Vorstellung. Neben dem Branchenstandard sollten die Labels wie IP-Suisse (IPS) und Bio Suisse weiter bestehen, hiess es weiter. Nun wird im Interview mit Coop-Chef Philipp Wyss klar, dass Coop als einer der wichtigsten Abnehmer künftig nur noch IPS-Äpfel übernehmen wird. Ein ähnlicher Schritt von Migros würde nicht überraschen.

Wir haben uns beim SOV erkundigt, ob dieser Schritt von Coop ins Nachhaltigkeitskonzept des Verbands passe. Der SOV stellte uns darauf folgendes Statement zu: «Der Schweizer Obstverband hat Kenntnis davon, dass Coop die Anforderungen für Äpfel für die kommende Ernte erhöht. Coop setzt für Sorten erster Klasse schrittweise auf das Label IPS und für weitere Mengen aufÄpfel, die nach dem nationalen Nachhaltigkeitsprogramm «Nachhaltigkeit Früchte» produziert wurden. Dieses soll ab 2023 als Grundlage und Voraussetzung für Tafelobst mit dem Label IPS dienen. Gemeinsam mit IPS verfolgen der SOV und seine Handelspartner die Vision, die Schweizer Produktion noch nachhaltiger zu gestalten und dafür finanzielle Mehrwerte für die Produzent-(innen) zu schaffen».