Was hat die Nivea-Weko-Anzeige der Migros mit der AP2030 zu tun? Kürzlich haben sich zwei Produzenten, die in der Protestbewegung aktiv sind, in unterschiedlichen Beiträgen in den Fachmedien wie folgt geäussert: «Die soziale und ökonomische Nachhaltigkeit muss zwingend mehr Raum einnehmen.» Mit dieser Forderung für die AP2030 nehmen die beiden das Kernanliegen vieler Bäuerinnen und Bauern auf.

Der dringende Handlungsbedarf lässt sich historisch begründen. Als die heutigen agrarpolitischen Rahmenbedingungen definiert wurden, waren die Märkte noch anders strukturiert und Themen wie Marktmacht oder Intransparenz noch unproblematisch. Mit der Trennung der Preis- und Einkommenspolitik (Entkoppelung) zog sich der Staat seit den 90er Jahren weitgehend aus den Märkten zurück. Dadurch haben die marktführenden Grossverteiler Migros und Coop sowie verschiedene Konzerne im Vorleistungsbereich eine komfortable Ausgangslage erhalten. Sie konnten die Liberalisierung zu ihren Gunsten nutzen.

Faire Preisgestaltung hat einen schweren Stand

Ziel der Deregulierung war «mehr Markt» und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Doch eingetreten ist mehr Marktkonzentration und Marktasymmetrien, d. h. den vielen Produzenten stehen nun noch weniger Abnehmer gegenüber. Seit dem Rückzug des Regulators (Staat) hat die faire Preisgestaltung einen schweren Stand. Dabei müsste gerade dieser den wirksamen Wettbewerb gegen Missbrauch von Marktmacht und Marktversagen verteidigen.

Gemäss Kartellrecht ist es beispielsweise unzulässig, wenn eine marktmächtige Unternehmung die Marktgegenseite benachteiligt oder unangemessene Preise erzwingt. Nun dürfte dies bei vielen Produzenten schon etwas scheinheilig daherkommen, wenn sich Migros als «Opfer» präsentiert und kürzlich mit einer Anzeige an die Weko gelangt ist. Sie wirft dem internationalen Konzern Beiersdorf vor, für Nivea-Produkte überhöhte Preise zu verlangen.

Demgegenüber spielen die beiden Grossverteiler ihre Marktmacht gegenüber den bäuerlichen Produzenten in der Schweiz knallhart aus, was den Behörden schon längst bekannt ist. Betriebe beklagen dies immer wieder auf der FMS-Meldestelle und nehmen unsere Beratung in Anspruch. Es wäre nun schon sehr seltsam, wenn sich die Weko mit ihren beschränkten Ressourcen auf die Nivea-Anzeige konzentrieren und nicht den Marktmachtmissbrauch gegenüber den kleinen Lieferanten in der Schweiz untersuchen würde, wie dies Faire Märkte Schweiz mit einer Anzeige von der Weko gefordert hat.

Transparenz, faire Preisbildung und angemessene Verteilung

Drei Punkte nämlich sind zentral für die oben geforderte Aufwertung der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit. Erstens: Mehr Markttransparenz. Transparenz gehört in den komplexen Lieferketten zu den Grundprinzipien eines funktionierenden Marktes. Das Ziel muss möglichst hohe Transparenz sein, damit das Gegenüber am Verhandlungstisch nicht Informationsvorteile für ungerechte Verhandlungs- und Preisvorteile missbrauchen kann.

Zweitens: Faire Preisbildung. Fairness benötigt gut informierte Produzenten und Abnehmer. So kann die Preisbildung auf Augenhöhe ablaufen und missbräuchliche Verhaltensweisen können aufgedeckt werden. Erschwerend wirken diesbezüglich moderne Preisfestsetzungsmethoden wie online-Ausschreibeverfahren. Dort wird das Verhandeln anonymen Systemen überlassen und dadurch der Preisdruck noch erhöht.

Drittens: Angemessene Verteilung der Wertschöpfung. Bei den heute ungleich langen Spiessen erstaunt es nicht, dass letztlich die Bauern immer weniger vom Endverkaufspreis erhalten. Da dieser nicht mehr den tatsächlichen Produktionskosten entspricht, ist es umso mehr die Pflicht des Regulators, die Fairness in den Märkten sicherzustellen und unfaire Praktiken zu sanktionieren.

Wir bedauern sehr, dass im Hinblick auf die AP 2030 von keiner Seite mit Nachdruck konkrete Massnahmen zu diesen drei Punkten gefordert werden. Deshalb ermutigt Faire Märkte Schweiz alle Gruppen, ihre Forderungen für mehr soziale und ökonomische Nachhaltigkeit weiterzuverfolgen. Nur so kommen wir betreffend Fairness einen Schritt weiter.