Sie bleiben oft an der Stallwand hängen, auch wenn das Vieh längst nicht mehr im Stall ist – die Plaketten, die Produzenten für die Herstellung einwandfreier Milch ehren. Sie sind Zeugnis für sauberes Melkzeug, saubere Arbeitsabläufe und gute Genetik, wurden einst von Käsereigenossenschaften eingeführt und gehören heute zum Milchmarkt wie die Diskussion über die Milchpreise.

Die Auszeichnung von damals gibt es noch; nur wird sie heute von einem ausgeklügelten Kontrollsystem begleitet. Es ist ein System aus öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Teilen, die sowohl vom Bundesrat als auch von der Milchbranche gesteuert werden.

Dass die Milchprüfung funktioniert, ist für die Milchproduzenten und die Konsumenten wichtig. Die Zell- und Keimzahlen, die Harnstoff- und Gehaltswerte lassen nämlich Rückschlüsse auf die Herdengesundheit und das Herdenmanagement zu. Und sie bestimmen darüber, wer Zuschläge und Abzüge für gute Milch erhält bzw. hinnehmen muss. Beim Konsumenten sorgt die Milchprüfung für sicheren Milchgenuss. Ohne nachweislich gute Milch wäre kein Export möglich. Kurz: Ohne Milchprüfung hätte die Milchbranche nicht den Hauch einer Chance.

Diskussionen ohne Ergebnis

Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass von allen Seiten Ansprüche geltend gemacht werden: Der Bundesrat will beim öffentlich-rechtlichen Teil der Milchprüfung Kosten sparen, derweil die Verarbeiter möglichst hohe Qualitätsanforderungen wünschen und die Bauern solche mit Augenmass. Ausserdem wollen sie nachvollziehbare Messresultate.

Weil so viel von den Milchproben abhängt, sind guter Rat teuer und Lösungen nur langsam umsetzbar. Emmi versucht es trotzdem und lanciert ein Pilotprojekt. Das Pilotprojekt kam überraschend, zumindest für jene Produzenten, die Ende Dezember per E-Mail darüber informiert wurden, dass ab Januar nicht zwei- sondern viermal pro Monat eine Milchprobe gezogen wird. Im Zuge der Recherchen wurde allerdings klar, dass nur die Kommunikation unglücklich war – die Branche beschäftigt sich schon lange mit der Milchprüfung und verfügt über einen gemeinsamen und eigenen Standard. Dieser wurde 2015 zuletzt überarbeitet.


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Im Kern ging es um die Frage, wie die Milchqualität festgestellt werden soll. Die Branchenvereinbarung sieht vor, dass von zwei Milchproben eines Monats die schlechtere für die Qualitätsbezahlung zählt. «Die Branche hat hier die alten Regelungen übernommen», erklärt Thomas Reinhard im Gespräch. Reinhard arbeitet bei den Schweizer Milchproduzenten (SMP) und betreut das Dokument, das von den Käsern, den Molkereien und den Milchproduzenten gemeinsam bearbeitet wird. Es ist eine Möglichkeit, die der Bundesrat geschaffen hat, als er vor 18 Jahren die weniger strengen Vorgaben der EU übernommen hat. Letztere sehen vor, dass alleine der geometrische Mittelwert für die Feststellung der Milchqualität zählt. Werde der geometrische Mittelwert eingesetzt, würden die Ergebnisse der Milchprüfung stark geglättet, erklärt Reinhard. Seit es den Branchenstandard gibt, wird immer wieder Kritik laut; den Produzenten ist das System zu starr. «Sie wollten auch, dass der geometrische Mittelwert zählt», sagt Reinhard. Mehrheitsfähig war die Idee bei der Überarbeitung 2015 nicht.

«Wenn die Anforderungen gelockert werden, können weniger Abzüge gemacht werden», meint er. Es sei Geld, das laut den Erstmilchkäufern in der Beratung fehlen würde. Ausserdem würden Anpassung im Qualitätsbezahlungssystem auch Veränderungen im Milchpreis nach sich ziehen. Zudem hat eine Lockerung der Vorgaben für die Käser Konsequenzen: Wenn der Anteil der somatischen Zellen steigt, dann sinkt die Ausbeute und damit letztlich auch der Ertrag.

Ausserdem ist die hohe Qualität der Schweizer Milch seit Jahrzehnten ein «Besserstellungsmerkmal» gegenüber dem Ausland. Eine Anpassung der Standards hätte nach Ansicht von Pirmin Furrer, Geschäftsführer der Genossenschaft der Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP), noch an einer anderen Front eine Entspannung zur Folge: Beim Antibiotikaeinsatz für das Trockenstellen. Die Schweiz belegt hier im europäischen Vergleich einen Spitzenplatz. Mitunter weil es den Kühen während der Laktation besser geht, wenn sie mit Antibiotika trockengestellt werden.

Die hohen Qualitätsanforderungen würden laut Pirmin Furrer Produzenten dazu verleiten, auf Nummer sicher zu gehen und im Zweifel Antibiotika einzusetzen, was im Widerspruch zur Antibiotika-Reduktionsstrategie steht, die der Bund umsetzen will. Entsprechend hitzig verlief die Diskussion vor gut drei Jahren. Letztlich war man aber nicht bereit, die Grenzwerte grundsätzlich zu lockern. «Weil man sich nicht auf den geometrischen Mittelwert verständigen konnte, hat man die Vorgaben gelockert und bei den Zuschlägen und Abzügen geringfügige Anpassungen vorgenommen», sagt Thomas Reinhard von den SMP. Ausserdem hat man den Verarbeitern und den Produzenten die Möglichkeit geschaffen, die Anforderungen an die Milch ausserhalb des Branchenstandards selbst zu definieren. Bedingung ist, dass sich die Produzenten und die Abnehmer darauf verständigen können.

Gut Ding will Weile haben

Es dauerte drei Jahre, bis ein Verarbeiter bereit war, über das Qualitätsbezahlungssystem zu sprechen. Es war Emmi, die auf den Druck der ZMP hin im Dezember einige ihrer Milchproduzenten kontaktierte und über ein Pilotprojekt informierte. Milcheinkäufer Reto Hübscher schrieb, dass Emmi ab Januar 2019 einen Pilotversuch mit vier statt zwei monatlichen Milchprüfungsproben durchführen wolle. Hübscher schreibt in einer zweiten E-Mail an die Produzenten, dass der Pilotversuch durchgeführt werde, weil die Abzüge aus einer Zeit stammten, «wo der Milchpreis noch bei einem Franken lag.» Dass für die Berechnung der Abzüge jeweils der schlechtere Wert der beiden Proben zählt, führe «oft zu Unmut.»

Emmi habe sich zusammen mit dem Labor Suisselab, der ZMP und Direktlieferantenvertretern nun Gedanken über eine neue Lösung gemacht. Wie Suisselab-Geschäftsführer Daniel Gerber sagt, habe man bei Gesprächen festgestellt, dass es Handlungsbedarf gebe. Nun will man Daten beschaffen, um das weitere Vorgehen zu bestimmen. ZMP-Geschäftsführer Pirmin Furrer betont, dass das Projekt ein Versuch ist, «das zu machen, was unsere Basis wünscht». Er spüre den Druck seiner Mitglieder und wolle mit Emmi entsprechende Lösungen entwickeln.

Wie die Lösung aussieht, darüber kann und will Furrer nicht spekulieren. Er sagt nur, dass in Bezug auf die Molkereimilch eine faires System im Vordergrund stehe. Dass dabei vor allem Suisselab als Dienstleistungsunternehmen wirtschaftliche Interessen hat, liegt auf der Hand. Wie Daniel Gerber sagt, sei es nicht das primäre Ziel, mehr Proben zu verkaufen. «Wir wollen ein Kompetenzzentrum sein. Und wir wollen einen Beitrag zu einer funktionierenden und zuverlässigen Milchprüfung und Qualitätsüberwachung leisten», sagt Gerber.

Folgen ungewiss

Inwiefern sich die Veränderung des Qualitätsbezahlungssystem auf den Milchpreis und den Milchhandel auswirkt, kann derzeit schlicht nicht gesagt werden. Einerseits, weil es noch keine verlässlichen Zahlen aus dem Emmi-Pilotprojekt gibt. Entsprechend ist andererseits offen, wie gross das Potenzial überhaupt ist. Pirmin Furrer von der ZMP möchte nicht über mögliche Wirkungen für die Produzenten spekulieren. Das Projekt mit Emmi soll zeigen, «was man für eine Systemanpassung machen könnte, damit die Milchbeprobung günstiger und effizienter wird», sagt er.

 

Es ist die Reaktion auf das aus seiner Sicht nicht zufriedenstellende Resultat der Verhandlungen im Sommer 2015. Wie Thomas Reinhard von der SMP sagt, wird es aber für den Produzenten nicht besser, «wenn jeder Verarbeiter für sich eine Lösung sucht. Man hat hart über die Beurteilungskriterien diskutiert. Das war ein jahrelanger Prozess.» Die Branchenlösung als Kompromiss soll für alle Marktteilnehmer die gleichen Spielregeln – und damit Transparenz – schaffen. Reinhard wünscht sich entsprechend eine Regelung, «die auch auf fachlicher Ebene überzeugt.» Das Emmi-Projekt muss seiner Meinung nach fachlich stimmig, «für die Produzenten nachvollziehbar und transparent» sein und in den bestehenden Vorgaben Platz finden. Inwiefern das möglich ist, ist noch offen. Fest steht nur, dass das Pilotprojekt von Emmi und Suisselab finanziert wird. Ausserdem haben die zusätzlichen Proben keine Auswirkung auf die Auszahlungen. Die Resultate der zusätzlichen Proben werden über die DB-Milch und per SMS kommuniziert. Der Datenschutz werde gleich gehandhabt wie bei den anderen Proben: «Der Vollzug des öffentlich- und privatrechtlichen Bereiches läuft gemäss den bestehenden Richtlinien. Das bedeutet, dass Milchproduzent, Kanton und Erstmilchkäufer Einsicht in die Resultate der zusätzlichen Proben haben», heisst es bei Emmi auf Anfrage.

Hansjürg Jäger