Am Dienstagabend lud die Nicht-Regierungsorganisation Public Eye zur internationalen Podiumsdiskussion zum Thema hochgefährliche Pestizide in Bern. Wie die Diskussionsleiterin Maren Peters (Wirtschaftsjournalistin, Schweizer Radio SRF) zu Beginn erklärte, sollte dank der Vertreter aus Brasilien und Indien ein Wahrheits-Check der Aussagen möglich sein. Den Rahmen für die Veranstaltung gaben die beiden Pflanzenschutz-Initiativen und die aktuelle Petition von Public Eye gegen Syngenta.
Tote wegen Pestiziden in Indien
Jayakumar Chelaton, der Direktor des “Pesticide Action Network” in Indien sieht das Insektizid Polo als Schuldigen für den Tod 500 indischer Bauern auf Baumwollfeldern. Dieses wird unter anderem von Syngenta hergestellt. Chelaton stellte aber klar, er beschuldige nicht eine einzelne Firma, sondern das Produkt und seine Hersteller.
Der Länderchef Schweiz der Syngenta, Roman Mazzotta beharrte darauf, dass in einem unabhängigen Bericht aus Indien keine Produkte seiner Firma erwähnt würden. «Das Produkt ist nicht verboten in Indien, es wurde für 60 Tage in dieser Provinz ausgesetzt. Das ist üblich bei derartigen Untersuchungen», stellte er zudem klar. Verantwortlich für den Vorfall sei der Wirkstoff Monocrotophos. "Syngenta wird in dem Bericht nur deshalb erwähnt, weil wir der indischen Regierung auf ihre Anfrage 10'000 Schutz-Sets gegeben haben".
"Syngenta wird in dem Bericht nur deshalb erwähnt, weil wir der indischen Regierung auf ihre Anfrage 10'000 Schutz-Sets gegeben haben"
Ramon Mazzotta, Syngenta Länderchef Schweiz
Public Eye
Die schweizerische Nichtregierungs-Organisation (NGO) Public Eye setzt sich für eine gerechtere Globalisierung ein. Damit hat die NGO einen weltweiten Fokus und arbeitet mit diversen internationalen Partnern zusammen. Public Eye führt Kampagnen, Initiativen und leistet Lobbying-Arbeit.
Laurent Gaberell, Experte für Landwirtschaft und Biodiversität bei Public Eye betonte aber, im angesprochenen Bericht würden neben Monocrotophos genauso alle Pestizide beschuldigt, für die es kein Gegenmittel gebe. Mazzotta reagierte kopfschüttelnd und zückte einen Ausdruck des fraglichen Dokuments. Ihm war der Punkt wichtig, dass es nicht für jedes Pestizid ein Gegenmittel geben müsse und dass keine Syngenta-Produkte im Bericht erwähnt werden würden.
Unverständliche Pestizid-Zulassungen
Brasilien, als grösster Markt für Pestizide weltweit, wurde vertreten durch Ada Cristina Pontes Aguiar, eine medizinische Forscherin an der Federal University Ceará in Fortaleza. Sie erklärte, man sei sehr besorgt über die Menge neu zugelassener Produkte unter der neuen Regierung. Für sie sei es unverständlich, weshalb in Brasilien in anderen Ländern verbotene Mittel verkauft werden sollten. Für diese Aussage erntete die Forscherin Beifall aus dem Publikum.
«Diese Produkte werden in allen Ländern reguliert, in Brasilien sind drei verschiedene Autoritäten daran beteiligt», hielt der Syngenta-Vertreter dagegen. Ausserdem seien die neu registrierten Mittel nicht neu, sondern chemisch angepasst worden, was eine neue Registrierung gesetzlich nötig gemacht habe. "Brasilien hat einen Risiko-basierten Ansatz, wie auch Amerika und Australien", erklärte Mazzotta, "wir befolgen diese Regelungen. Was Sie offenbar sagen, ist, dass brasilianische Autoritäten sich nicht um ihr Volk kümmern. Ich glaube, das ist nicht wahr".
"Was Sie offenbar sagen, ist, dass brasilianische Autoritäten sich nicht um ihr Volk kümmern."
Ramon Mazzotta, Syngenta Länderchef Schweiz
Syngenta
Der Schweizer Konzern Syngenta ist einer der grössten Konzerne im Landwirtschafts-Bereich weltweit und Marktführer in der Sparte chemische Pflanzenschutzmittel. Im Zuge der grossen Diskussion um die Sicherheit von Pestiziden geriet Syngenta wie auch Bayer unter anderem wegen dem Herbizid Glyphosat in die Kritik. Besonders umstritten sind die Verkäufe in der Schweiz verbotener Mittel in andere Länder, wo diese zugelassen sind. Public Eye hat eine entsprechende Petition gestartet, die sowohl die Produktion als auch den Verkauf «hochgefährlicher Pflanzenschutzmittel» verbieten will.
Reginald Fitzgerald vom Departement für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Basel betonte, bei der Risikoanalyse sei die Transparenz der Forschenden wichtig. Man müsse angeben, auf welche Daten man seine Schlussfolgerungen basiere. So beantwortete er die Frage der Moderatorin, weshalb in Sachen Gefährlichkeit unterschiedliche Beurteilungen entstehen können. "Forschung basiert immer auf Annahmen, das muss man akzeptieren", so Fitzgerald.
Zusammenhang sei erwiesen
Ebenfalls mit Beifall belohnt wurde die Aussage von Baskut Tuncak, UNO-Sonderberichterstatter für toxische Substanzen und Menschenrechte; es gebe erwiesenermassen einen Zusammenhang zwischen dem chronischen Kontakt mit Pestiziden und Krankheiten oder Missbildungen. "Für Chlorpyrifos, das in der EU noch immer verwendet wird, gibt es Beweise für Kinder, die Chlorpyrifos ausgesetzt waren und deren kognitive Fähigkeiten abnahmen", erklärte Tuncak. Es sei eine falsche Annahme, dass länderübergreifend der gleiche Level von Demokratie und Korruption herrschten. Dadurch seien auch die Regulierungen nicht überall gleich gut. "Hier sehe ich die Verantwortung internationaler Firma", schloss der UNO- Sonderberichterstatter.
Der pikanten Frage der Moderatorin Peters, weshalb diese gefährlichen Produkte noch auf dem Markt seien und ob er die Geschäftslogik hinter diesem Vorgehen erklären könne, schien Mazzotta auszuweichen; "Ich kann nicht über alle Pestizide auf diesem Planeten reden". Syngenta werde für das Tun der gesamten Pestizid-Industrie verantwortlich gemacht. "Wir wollen mit lokalen Aktionen helfen. Das machen nicht alle Produzenten".
"Es gibt Beweise für Kinder, die Chlorpyrifos ausgesetzt waren und deren kognitive Fähigkeiten abnahmen"
Baskut Tuncak, UNO-Sonderberichterstatter
Cocktails werden nicht getestet
Auch das Zusammenspiel verschiedener Pflanzenschutzmittel wurde diskutiert. Fitzgerald erläuterte, Cocktails würden in Labors nicht getestet. "Es gäbe zu viele mögliche Kombinationen". Zudem mache man die Annahme eines kumulativen Effekts, dass die Wirkungen einzelner Pestizide sich also addieren, aber nicht gegenseitig verstärken. Im Bereich der Untersuchung von Mischungen laufe aber die Forschung.
"Es gäbe zu viele mögliche Kombinationen, um alle möglichen Cocktails zu testen"
Reginald Fitzgerald vom Departement für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Basel
Die Uno könne nur begrenzt etwas gegen das Problem mit hochgefährlichen Pestiziden machen. "Es sollte aber der Standard sein, dass der Export verbotener Produkte auch verboten wird", meinte UNO-Sonderberichterstatter Tuncak und erntete Zustimmung aus dem Publikum.
Es sei hochnäsig zu sagen, die Schweiz wisse es besser, erwiderte Roman Mazzotta von Syngenta, "die brasilianische Regierung ist auch demokratisch gewählt worden". Ausserdem rede man einfach zu selten über die Vorteile von Pflanzenschutzmitteln. Damit meinte er in erster Linie Ertragssteigerungen, um die wachsende Bevölkerung in Zukunft ernähren zu können.
Das Recht, zu vergiften
"In Indien haben wir das Problem, den Boden wieder lebendig zu bekommen", konterte Jayakumar Chelaton. Er sei nicht gegen eine Firma, sondern einen Wirkstoff, aber die ganze Angelegenheit sei sehr komplex und nicht so klar und sauber wie oft dargestellt. "Sie sprechen über das Recht, zu vergiften. Und das haben Sie nicht", sagte der Inder mit Nachdruck.
"In Indien haben wir das Problem, den Boden wieder lebendig zu bekommen"
Jayakumar Chelaton, der Direktor des “Pesticide Action Network” in Indien
Mazzotta betonte, Syngenta investiere schon lange in die Forschung, sei es nach alternativen Wirkstoffen oder besserem Saatgut. Es dauere aber Jahrzehnte bis zur Marktreife. "Auch im biologischen Anbau kommen Pestizide zum Einsatz". Kupfer etwa sei als Schwermetall kein sicheres Produkt, aber es gebe bisher keine Alternativen. "Glyphosat ist ein sicheres Produkt", beteuerte er.
Mehr Flächenertrag dank Syngenta
In der anschliessenden Fragerunde mit dem Publikum wurde die Position Syngentas klar; man hofft auf neue Technologien, besseres Saatgut und vor allem eine höhere Produktion. Diesen Ansatz hatte Mazzotta bereits in einem Gespräch mit Radio SRF erklärt: Wenn man auf den Anbauflächen intensiver arbeite und mehr ernten könne, blieben mehr Flächen für die Natur oder Biodiversität übrig.
"Wir brauchen in Zukunft vor allem mehr Ertrag pro Fläche, etwa durch verbessertes Saatgut oder bessere Pflanzenschutzmittel."
Ramon Mazzotta, Syngenta Länderchef, im Gespräch mit SRF
Ein Elektriker aus dem Publikum fragte, ob die Syngenta-Führung nach dem katastrophalen Biodiversitätsreport geschockt gewesen sei. Das habe sie nicht geschockt. "Wir beschäftigen uns schon lange mit der Biodiversität. Aber welche Landwirtschaft auch immer man betreibt, sie hat einen Einfluss auf die Natur", antwortete der Länderchef Schweiz von Syngenta.
Petition gegen hochgefährliche Pestizide
In Sachen Regulierungen hätten gewisse Regierungen versagt, meinte Laurent Gaberell von Public Eye. Eine derartige Beurteilung anderer Regierungen sei aber etwas kolonialistisch. Besser wäre, wenn die Schweiz für Schweizer Firmen Verantwortung übernehmen würde, führte Gaberell weiter aus. Daher fordere auch die Petition von Public Eye gegen die Produktion und den Verkauf hochgefährlicher Pestizide.
Als Mazzotta sein Argument, das sei eine hochnäsige Ansicht wiederholte, meinte der indische Vertreter Jayakumar Chelaton, Hilfe über ein Export-Verbot hochgefährlicher Pestizide wäre durchaus erwünscht.
Auftritt der Klimaaktivisten
Nach diesem letzten Statement erwartete die Besucher beim Ausgang eine Überraschung: Aktivisten der Gruppe "Extinction Rebellion" hatten mit einem grossen Banner, Fahnen und Flyern Stellung bezogen. Einer von ihnen trat in voller Schutzmontur auf, inklusive Gasmaske und liess an der Haltung von "Extinction Rebellion" gegenüber Pestiziden wenig Zweifel.
Extinction Rebellion (XR):
Ähnlich wie die Klimastreik-Bewegung setzt sich auch die "Extinction Rebellion" für mehr Klimaschutz ein. Allerdings fokussieren sie sich auf die Bekämpfung des Massensterbens (engl. extinction) in der Tierwelt und auch der Menschheit wegen der drohenden Klimakatastrophe. Zudem ist "XR" weniger zimperlich als der Klimastreik und arbeitet mit zivilem Ungehorsam. So gingen kürzlich Aktionen mit Kunstblut vor dem Bundeshaus oder angeketteten Aktivisten vor dem Parlament in Bern durch die Schweizer Medien.
Ein Video der gesamten Podiumsdiskussion wurde von "Public Eye" auf Facebook veröffentlicht.