AboNach dem Abgang von Matthias Schelling (rechts) hat sich Präsident Markus Gerber (Mitte) den Holsteinern zugewandt. Sein neuer Direktor ist Michel Geinoz. Viehzucht«Wir können nicht ständig über die ausufernde Bürokratie klagen»Samstag, 7. September 2024 Die Schweizer Viehzucht steht vor einem grundlegenden Wandel, der durch gegensätzliche Ansprüche von Markt, Gesellschaft und traditionellen Züchtern angetrieben wird. Einerseits besteht die Forderung nach hochproduktiven Tieren für maximale Milch- und Fleischerträge, andererseits erwartet die Gesellschaft ein idyllisches Bild von weidenden Kühen und hohem Tierwohl.

Dieses Spannungsfeld zeigt sich besonders in der fortschreitenden Holsteinisierung der Viehzucht, bei der leistungsstarke Holstein-Kühe zunehmend andere Rassen in Bedrängnis bringen. Das Beispiel der ausgestorbenen Freiburger Kuh verdeutlicht, wie schnell genetische Vielfalt verloren gehen kann, wenn der Markt stärker gewichtet wird als der Rassenerhalt.

Milch- und Fleischertrag dominieren

Immer weniger Züchter legen Wert auf die Reinzucht. Die Zucht reiner Rassen erfordert nicht nur Fachwissen, sondern auch eine emotionale Bindung an das Erbe. Für viele Züchter ist ihre Arbeit mehr als eine wirtschaftliche Tätigkeit; es ist eine Leidenschaft, die über Generationen hinweg weitergegeben wird. Doch wirtschaftlicher Druck lässt diese Werte in den Hintergrund rücken, während Milch- und Fleischertrag dominieren.

Die Marktorientierung in der Viehzucht wird durch strukturelle Veränderungen unterstützt. Die geplante Fusion der Zuchtverbände Swissherdbook und Holstein Switzerland im Rahmen des Projekts Alliance ist ein weiterer Schritt hin zu einer Vereinheitlichung der Viehzucht in der Schweiz. Michel Geinoz, der neue Direktor beider Organisationen, soll Synergien schaffen und die Verwaltung effizienter gestalten.

Produktivität statt traditionelle Werte

Markus Gerber, Präsident von Swissherdbook, betont, dass diese Fusion eine langfristige Antwort auf die Herausforderungen der modernen Viehzucht darstellt. Ziel ist es, Ressourcen zu bündeln und die Zucht wettbewerbsfähiger zu machen.

Gleichzeitig wirft dieser Fokus auf Effizienz aber Fragen auf. Viele traditionelle Züchter sehen in der Holsteinisierung eine Bedrohung für die genetische Vielfalt. Die Reinzucht weniger leistungsbetonter Rassen erfordert nicht nur wirtschaftliche Überlegungen, sondern auch Verständnis für die Geschichte und Bedeutung der Tiere. Die emotionale Bindung an die jeweilige Rasse spielt dabei eine grosse Rolle – doch diese traditionellen Werte drohen durch die Konzentration auf Produktivität in den Hintergrund zu rücken.

Kreative Lösungen gefragt

Zudem sind die Erwartungen der Gesellschaft oft widersprüchlich. Viele romantisieren das Bild der weidenden Kuh, wollen aber keine höheren Preise für Milch und Fleisch zahlen. Diese Diskrepanz erhöht den Druck auf die Bauernfamilien. Sie stehen zwischen den Anforderungen des Marktes und den Wünschen der Gesellschaft und müssen eine Balance zwischen Nachhaltigkeit, Tierschutz und Wirtschaftlichkeit finden.

Die moderne Viehzucht steht vor einem Dilemma: Einerseits müssen die Züchter auf Effizienz setzen, um wirtschaftlich bestehen zu können, andererseits gilt es, die genetische Vielfalt und das kulturelle Erbe der traditionellen Rassen zu bewahren. Dieses Spannungsfeld erfordert kreative Lösungen, die es ermöglichen, sowohl den Marktanforderungen als auch den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden.

Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, dass die Züchter und die Zuchtverbände stärker in den Dialog mit der Gesellschaft treten und die tatsächlichen Herausforderungen der Viehzucht transparenter kommunizieren. Weiter dürften auch die Genetikanbieter vermehrt in die Pflicht genommen werden, das Stierenangebot bei allen Rassen zu verbessern, damit diese nicht weiter abfallen.

Balance zwischen Leistung, Tradition und Nachhaltigkeit

Michel Geinoz, der neue Direktor von Swissherdbook und Holstein Switzerland, wird dabei eine Schlüsselrolle spielen. Er hat die Aufgabe, die Züchter in diesem Wandel zu begleiten und gleichzeitig die Bedürfnisse des Marktes zu berücksichtigen. Es wird entscheidend sein, dass die Fusion der Verbände nicht nur als technischer Verwaltungsakt verstanden wird, sondern als Chance, die Viehzucht in der Schweiz zukunftsfähig zu gestalten. Dies bedeutet auch, dass die traditionellen Züchter, die ihre Arbeit mit Leidenschaft und Hingabe betreiben, nicht vergessen werden dürfen. Denn die Zucht reiner Rassen ist nicht nur ein technischer Prozess, sondern auch ein kulturelles Erbe, das viel Wissen, Erfahrung und Emotionen erfordert.

Insgesamt bleibt die Zukunft der Schweizer Viehzucht davon abhängig, wie gut es gelingt, die verschiedenen Ansprüche – die des Marktes, der Züchter und der Gesellschaft – miteinander zu verbinden. Die Balance zwischen Leistung, Tradition und Nachhaltigkeit wird der Schlüssel sein, um die Viehzucht langfristig erfolgreich zu gestalten.