In der Geschichte der Schweizer Landwirtschaft hat die Milchproduktion eine zentrale Bedeutung – das nicht zuletzt aufgrund der hohen Grünlandfläche. Was haben die Schweizer Milchbauern, deren Anzahl immer weiter sinkt, von der neuen AP zu erwarten? Die Schweizer Milchproduzenten (SMP) haben eine Vorstellung. Wir haben uns mit SMP-Präsident Boris Beuret darüber unterhalten.

Boris Beuret, wie bewerten Sie die aktuelle Schweizer Agrarpolitik im Hinblick auf die Bedürfnisse der Milchproduzenten?

Boris Beuret: Die aktuelle Schweizer Agrarpolitik hat mehrere Schwachstellen. Die Entschädigung für arbeitsintensive Sektoren wie Grünlandnutzung und Rindviehhaltung ist ungenügend. Die Ernährungsleistung wird schlecht honoriert, was ein grosses Problem darstellt. Wir verdienen zu wenig pro eingesetzter Stunde. Zudem beobachten wir einen faktischen Zerfall des Grenzschutzes, insbesondere durch Wechselkursschwankungen. Ohne Grenzschutz töten wir alles. Der administrative Aufwand ist enorm wegen Bürokratie und risikobasierter Kontrollen. Die Bedeutung der Milchproduktion, besonders in ländlichen Regionen, wird nicht ausreichend gewürdigt. Die regionale Wirtschaft profitiert enorm von der Milch. Weniger Tierärzte, weniger Besamer, das sind alles Arbeitsplätze, die verloren gehen. Letztlich schliessen sogar die Arztpraxen. Milch ist also zentral für den ländlichen Raum.  [IMG 2]

Welche spezifischen Änderungen wünschen Sie sich in der Agrarpolitik 2030, um die Einkommenssituation der Milch-bauern zu verbessern?

Wir haben konkrete Massnahmenvorschläge eingereicht, wie die Stärkung der Grünlandnutzung und einmalige Strukturbeiträge für Rindvieh. Programme zur Förderung des Tierwohls und eine Erhöhung der Verkäsungszulage sind ebenfalls wichtig. Wir schlagen vor, die Nährstoffbilanz über drei Jahre auszugleichen und ineffiziente Massnahmen wie den Weidebeitrag zu streichen. Automatisierung und elektronische Datenweitergabe sollten gefördert werden. Die Agrarpolitik sollte mindestens acht Jahre Reformdauer haben und die Ernährungsleistung stärker berücksichtigen. Weiter ganz wichtig ist, dass die Grünlandnutzung besser entschädigt wird. Das aktuelle Problem ist, dass es zum Teil Prämien regnet, ohne dass etwas dafür gemacht werden muss. Wir müssen uns nachhaltig entwickeln, aber immer mit dem Ziel, Nahrung zu produzieren. Genau diese Leistung muss entlöhnt werden, nichts anderes. Meine Vision ist auch, mehr Fleisch aus Milch zu erzeugen, indem Kälber als Weide-Beef in Mutterkuhbetriebe integriert werden.

Wie könnte die Politik die wirtschaftlichen Perspektiven in der Landwirtschaft weiter verbessern?

Unser Motto lautet: Stärken stärken und finanzielle Mittel sichern. Unzureichender Grenzschutz und mangelnde Transparenz in den Märkten müssen beseitigt werden. Die Planungssicherheit ist im Sinne unserer Vorschläge zu erhöhen. Die Aufrechterhaltung des Grenzschutzes ist dabei zentral. Ich nenne ein paar Beispiele: Betrachten wir einmal das aktuelle System der Suisse-Bilanz. Wir dürfen nicht länger Apotheker spielen, indem wir ein paar Kilo Heu hier und ein paar Kilo Kraftfutter dort ausgleichen. Weiter macht die längere Nutzungsdauer der Kühe keinen Sinn. Jeder versucht, langlebige Kühe zu züchten. Eine Motivation, ältere Kühe zu halten, muss jeder selber managen können. Das ist nicht Aufgabe des Bundes.

Welche Rolle spielt die Nachhaltigkeit in der zukünftigen Agrarpolitik und wie können Milchproduzenten dabei unterstützt werden?

Nachhaltigkeit ist essenziell. Der Grüne Teppich ermöglicht hier eine klare Positionierung. Der Bund kann die Milchproduzenten unterstützen, indem er den Aufbau von IT-Systemen fördert, die den Mehrwert gegenüber den Konsumenten transparent machen.

Investitionsunterstützungen sind ebenfalls wichtig. Derzeit wird diskutiert, ob ein radikaler Wechsel bei den Direktzahlungen erfolgen soll und ob ein Nachhaltigkeitsindex als Basis dienen könnte. Wir müssen uns ökologisch, wirtschaftlich und sozial entwickeln. Die Nachhaltigkeit betrifft alle Bereiche.

Wie wichtig sind Direktzahlungen für die Schweizer Milchproduzenten und wie sollten diese in der neuen Agrarpolitik gestaltet werden?

Der Markterlös ist enorm wichtig. Direktzahlungen braucht es, um das teure Schweizer Kostenumfeld auszugleichen und gemeinwirtschaftliche Leistungen zu honorieren. Unser Ziel ist klar eine bessere Abgeltung der Produktionsleistungen von Milch. Die Messlatte für die Agrarpolitik 2030 ist der Verdienst pro Arbeitsstunde. Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen und die Produktion von Nahrungsmitteln müssen besser belohnt werden. Rahmenbedingungen sollten so gesetzt werden, dass ein anständiger Stundenlohn erreichbar ist. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir zwei verschiedene Direktzahlungen haben: eine für die Produktion von Nahrungsmitteln und eine zweite Zahlung für allgemeine öffentliche Leistungen wie zum Beispiel Tierwohl.

Welche Massnahmen sollten ergriffen werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Milchprodukte im internationalen Markt zu steigern?

Schweizer Milchprodukte werden immer teuer sein. Wir benötigen eine einheitliche Positionierung, wie sie durch Swissmilk Green geschaffen wurde. Der Bund sollte weiterhin die Absatzförderung unterstützen und dringend die Verkäsungszulage erhöhen. Ohne Grenzschutz haben wir keine Chance im internationalen Markt. Effiziente Nutzung der eingesetzten Mittel und Verbesserung der Deklaration im Inland sind ebenfalls wichtig. In der Gastronomie gibt es noch viel Import-waren. Im Laden schauen die Leute, im Restaurant ist das viel weniger ein Thema. Also muss hier vermehrt in die Deklaration investiert werden.

Wie können technologische Innovationen in der Milchwirtschaft gefördert werden, um Effizienz und Produktqualität zu steigern?

Agroscope muss weiterhin und am liebsten noch vermehrt Leistungen für die Milchwirtschaft erbringen. Wichtige Forschungsbereiche sind die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes und die Anpassung der Normen der Suisse-Bilanz. Auch die Aus- und Weiterbildung von Berufsleuten und Produktinnovationen in den Unternehmen sind entscheidend. Wir müssen gut ausgebildete Leute haben, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Welche Bedeutung messen Sie der regionalen Wertschöpfung und kurzen Lieferketten bei, und wie sollte dies in der Agrarpolitik berücksichtigt werden?

Regionale Wertschöpfung ist wichtig, sofern ein Markt vorhanden ist und der Produzent einen Teilabsatz sichern kann. Regionen schaffen Identität und Verwurzelung in Stadt und Land. Regionalität ist Teil des Wettbewerbs und muss vom Konsumenten auch honoriert werden. Die regionale Wirtschaft profitiert enorm von der Milchproduktion. Ohne sie verlieren wir Arbeitsplätze und wirtschaftliche Stabilität. Etwas, das mich in diesem Zusammenhang umtreibt, ist der Import. Es dürfen nicht einfach irgendwelche Produkte in die Schweiz gelangen, deren Produktion hier im Grunde verboten ist oder die in der Schweiz viel nachhaltiger als im Ausland produziert werden können. Wir brauchen zukünftig ein kohärentes Importsystem.

Wie kann die Agrarpolitik den administrativen Aufwand für Milchbauern reduzieren und gleichzeitig die wirtschaftliche Stabilität fördern?

Die SMP hat konkrete Vorschläge zur Reduktion des administrativen Aufwands eingereicht. Ein zentraler Punkt ist die Planungssicherheit in der Agrarpolitik, um den Milchbauern mehr Zeit für ihre Kernaufgaben zu geben. Wir müssen die Praktiker arbeiten lassen und den administrativen Aufwand minimieren. Die Weitergabe von Daten an Amtsstellen sollte vereinfacht werden, um überflüssige Bürokratie abzubauen. Ich sage es mal so: Du verdienst 13 Franken pro Stunde, und dann musst du noch Daten schicken. So etwas ist einfach da-neben.

Welche Unterstützung benötigen Milchproduzenten, um auf Marktveränderungen und Klimawandel angemessen reagieren zu können?

Produzenten benötigen aktuelle Grundlagen aus Forschung und Beratung, Förderung einer standortgerechten Produktion und eines standortoptimierten Ernährungssystems sowie sachgerechte Kommunikation des Bundes zu Emissionen und Ernährung. Wichtige Punkte sind die Deklaration im Detailhandel, in Industrie und Gastronomie. Es muss Milch produziert werden, um standortgerecht zu handeln – die Schweiz ist ein Grasland.

Wie können die Markterlöse der Milchproduzenten gesteigert werden, um ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern?

Da gibt es einiges zu sagen. Die Er-höhung der Verkäsungszulage und Transparenz im System, die Sicherung der Verarbeitung in der Schweiz und ein starkes Commitment der Branche zur Milch in der Schweiz sind essenziell. Wir müssen besser zusammenarbeiten, um dynamisch zu bleiben. Die Verarbeitung muss gesichert werden. Wenn diese zu stark unter Druck kommt, spürt das auch die Produktion.

Welche Investitionsstrategien sollten Milchproduzenten verfolgen, um langfristig erfolgreich zu sein?

Arbeitseffizienz, Kosteneffizienz und Resilienz sind dabei zentral. Betriebe sollten sich auf die Produktionskosten konzentrieren und ihre Kosten im Griff haben, um wirtschaftliche und klimatische Herausforderungen besser überstehen zu können. Positive Kommunikation ist ebenfalls wichtig. Die Steine sind überall hart, aber eine optimistische Einstellung hilft, Herausforderungen zu meistern. Es gibt hier aber kein generelles Rezept, das alle Probleme löst. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass jeder Betrieb andere Voraussetzungen hat.

Welche Massnahmen sind notwendig, um die nächste Generation von Milchproduzenten zu unterstützen und den Beruf attraktiver zu machen?

Um die nächste Generation von Milchproduzenten zu unterstützen und den Beruf attraktiver zu machen, müssen wir uns auf mehrere zentrale Aspekte konzentrieren. Eine Reduzierung der Arbeitsbelastung ist entscheidend, um den Alltag der Milchbauern zu erleichtern.

Gleichzeitig ist es wichtig, die Wertschöpfung und Wertschätzung für ihre Arbeit zu erhöhen. Dies kann durch gute Ausbildungsmöglichkeiten und die Förderung der Freude an der Arbeit erreicht werden. Es ist auch wichtig, einen stabilen Absatz für Schweizer Milchprodukte zu gewährleisten und sicherzustellen, dass Lohn und Rentabilität stimmen, damit die jungen Landwirte eine effektive und zufriedenstellende Zukunft haben. Wenn die Rentabilität stimmt, dann bleiben auch die Jungen im System. Der Kanton Waadt zahlt beispielsweise pro Kuhplatz einen Betrag von 3000 Franken, um die Milchproduktion im Tal zu fördern. Solche Investitionshilfen unterstützen den Nachwuchs und stärken unsere Wettbewerbsfähigkeit.

Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Milchproduzenten, Forschungseinrichtungen und politischen Entscheidungsträgern verbessert werden, um eine zukunftsfähige Agrarpolitik zu gestalten?

Diese Zusammenarbeit ist ebenfalls entscheidend für eine zukunftsfähige Agrarpolitik. Es ist wichtig, praxisgerechte und relevante Forschungs-fragen aufzunehmen und zu lösen, indem man die Themen von der Basis aufgreift. Ein offener, institutioneller Dialog sollte gepflegt werden, um die Kommunikation und den Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren zu fördern. Politische Verankerung und Engagement sind unerlässlich, um sicherzustellen, dass die Interessen und Bedürfnisse der Milchbauern in den politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Wir engagieren uns im Kontakt mit den Politikern und versuchen, uns politisch zu verankern. Forschung muss der Praxis nützen und in den Betrieben ankommen. Sonst ist sie weitgehend wertlos.

Welches sind Ihre Erwartungen an die Abnehmer und Konsumenten, um die Einkommenssituation der Milchproduzenten zu verbessern?

Diese Erwartungen sind klar: Die Abnehmer müssen ebenfalls kosten-effizient und innovativ arbeiten und Branding mit Swissness sowie Deklaration fördern. Importe sollten zurückgedrängt werden, um die gemeinsamen Werte der Schweizer Milch zu schützen. Die Abnehmer müssen Verantwortung übernehmen und faire Preise für qualitativ hochwertige Schweizer Milch zahlen. Weiter sind eine offene Kommunikation und Wertschätzung entscheidend, um das Vertrauen und Bewusstsein der Konsumenten zu stärken. Migros, Coop und die weiteren Detailhändler müssen ihrer Verantwortung nachkommen und so mit uns zusammenarbeiten, wie wir das auch für sie tun. Diese Firmen sind so wichtig für die Schweiz, sie müssen die Verantwortung wahrnehmen. Und noch an die Adresse der Migros: Sie soll in die Branchenorganisation Milch zurückkommen, um gemeinsam an einer besseren Zukunft für sich und die Milchbranche zu arbeiten.

Wirtschaftliche Lage verbessern

Das Bundesamt für Landwirtschaft arbeitet an der nächsten Agrarpolitik (AP 30+) in enger Zusammenarbeit mit Kantonen und verschiedenen Organisationen. Boris Beuret, Präsident der Schweizer Milch-produzenten (SMP), kritisiert die aktuelle Agrarpolitik und fordert bessere Entschädigungen für arbeitsintensive Sektoren, weniger Bürokratie und stärkeren Grenzschutz. Für die Zukunft schlagen die SMP vor, die Grünlandnutzung und Tierwohlprogramme zu fördern, ineffiziente Massnahmen zu streichen und technologische Innovationen zu unterstützen. Ziel ist es, die wirtschaftliche Lage der Milchbauern zu verbessern, die Nachhaltigkeit zu fördern und die Markterlöse zu steigern.

Selbstversorgungsgrad im Sinkflug

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Die künftige Agrarpolitik soll den Aspekt der Ernährungssicherheit behandeln. Das BLW spricht dabei von der Sicherstellung der Ernährungssicherheit auf Basis einer diversifizierten inländischen Nahrungsmittelproduktion und nennt dabei das Ziel: «mindestens auf aktuellem Niveau der Selbstversorgung». Dieses hat in den letzten Jahren aber stets abgenommen. Ein Blick in den Agrarbericht zeigt zum Beispiel, dass der Selbstversorgungsgrad im Jahr 2021 deutlich sank und brutto gerade einmal noch 52  % (netto 45 %) betrug.Damit lag er 2021 bereits so tief wie noch nie seit der Revision der Nahrungsmittelbilanz im Jahr 2007. Verantwortlich für den Rückgang des Selbstversorgungsgrades sei die Inlandproduktion, so das BLW.Ein Blick in die Zahlen der Milch-produktion bestätigt das Bild des sinkenden Selbstversorgungsgrades. Wie Boris Beuret erklärt, betrug der Selbstversorgungsgrad für Milch in der Schweiz am Ende der Milch-kontingentierung im Jahr 2009 rund 116 %. «Der Wert ist eine rechnerische Grösse zwischen Inlandproduktion, Importen und Exporten» so Beuret. Damals sei die ständige Wohn-bevölkerung in der Schweiz mit 7,79 Millionen beziffert worden. «Aktuell sind es nach offiziellen Schätzungen 8,96 Millionen (2023) – also knapp 1 % mehr Personen pro Jahr.» Der Selbstversorgungsgrad bei der Milch betrage heute hingegen noch 10 %. «Es ist eine Vielzahl von Faktoren, die zu diesem Ergebnis führen, doch im aktuellen Umfeld ist ein weiteres Absinken dieser Grösse sehr kritisch zu betrachten. Nicht zuletzt in der AP 2030+ gilt es nun ein Gegengewicht zu setzen für eine standortgerechte Schweizer Nahrungsmittelproduktion, die unsere natürlichen Stärken widerspiegelt.»