Der Lebensraum der Pferde bestand in den vergangenen Jahrtausenden vor allem aus Naturlandschaften wie Steppen, Karst, Heiden, Mooren, Sumpfwiesen oder Gebirgsweiden. «Solche Landschaften, die sich durch eine hohe Vielfalt an Gräsern und Kräutern auszeichneten, boten ausreichend Futter für Zucht- und Arbeitstiere», sagte Renate Vanselow am 1. Juni 2024 an einem Equiden-Workshop in Egg ZH, der vom Schweizer Tierschutz (STS) organisiert wurde. 

Zum Beispiel die Puszta

Artenreiches Grasland ist laut der deutschen Biologin eine wichtige Grundlage für die Pferdegesundheit. Es beherbergt Pflanzen, die oftmals selbst auf den ärmsten Böden hohe Mineralgehalte aufweisen. Darunter sind auch Eiweisslieferanten wie Leguminosen zu finden. Die Vielfalt an Kräutern und Gräsern bietet den Tieren zudem eine grosse Auswahl, wobei es auch einzelne giftige Gräser verträgt. Ein Beispiel für ein artenreiches Grasland ist laut Renate Vanselow die ungarische Puszta, welche über Jahrhunderte Pferderassen wie Lipizzanern oder Shagya-Arabern eine gesunde Futtergrundlage lieferte.

Auch Gehölze werden von Pferden gern gefressen. Haselnuss und Schlehen zum Beispiel sind reich an Mineralstoffen, und Walnuss hat im Frühsommer einen hohen Gehalt an Vitamin C. Laut dem deutschen Wissenschaftler Gerold Rahmann kann der Anteil an Gehölzen bis zu 10 Prozent der Gesamtfutterration ausmachen. Die Bedeutung von Sträuchern für Pferde geht noch weiter, indem sie ihnen auch als Schattendach, Windschutz und Kratzbaum dienen. Zudem sind sie Lebensraum für Vögel, welche dazu beitragen, die Pferde von Insekten zu befreien. 

Höhere Energiegehalte in Zuchtgräsern

«Für die Pferdehaltung besonders herausfordernd ist die Intensivierung des Graslandes», sagte Renate Vanselow. Heutige Pferdeweiden würden oftmals zuvor als Rinderweiden genutzt. Laut der Referentin verlangt die Fütterung von Rindern und Kühen nach Zuchtgrassorten mit höheren Energie- und Eiweissgehalten. Basiert nun das Pferdefutter auf diesen artenarmen Grünlandmischungen mit einem hohen Anteil an Weidelgras, hat dies gesundheitliche Folgen: Zahlreiche Pferde erkranken etwa am Equinen Metabolischen Syndrom (EMS) oder am Equinen Cushing-Syndrom (ECS).

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass die Ernährungsbedürfnisse verschiedener Pferde weit auseinandergehen. So benötigen Sportpferde energiereicheres Grundfutter als Robustrassen, kranke oder alte Pferde. Dabei gilt die Faustregel: Der Energiegehalt des Futters ist umso höher, je grasreicher und jünger der Bestand ist. 

An die individuellen Bedürfnisse anpassen

AboStrickhof-Pensionspferdetag 2024Pferde brauchen genügend Bewegung und BeschäftigungMittwoch, 3. April 2024 Als besonders energiereich gelten Weidel- und Rispengräser. Diese Unterscheidung trägt dazu bei, dass Heu nach verschiedenen Qualitäten eingeordnet wird, wobei vor allem der Energiegehalt massgeblich ist. Heuqualität A geht mit dem höchsten Energiewert einher und eignet sich insbesondere für Spitzenpferde in Sport und Zucht. Für etwa 90 Prozent aller Pferde wäre dagegen Heuqualität C, das einen niedrigeren Energiewert aufweist, passender. «Erhalten jedoch alle Tiere die beste Heuqualität, führt dies bei vielen mit der Zeit zu Stoffwechselstörungen und Gesundheitsproblemen», sagte Renate Vanselow. Sinnvoller wäre es, die Futterrationen den tatsächlichen Bedürfnissen der Pferde anzupassen.

Giftige Endophyten in Gräsern

Doch nicht nur die Heuqualität spielt laut der Biologin für die Gesundheit von Pferden eine Rolle, sondern auch Resistenzen bei manchen Futtergräsern. Diese gehen mit Mikroorganismen – oft handelt es sich um Pilze – eine Symbiose ein: Das Gras liefert den Endophyten genannten Mikroorganismen Nährstoffe und erhält im Gegenzug Wirkstoffe gegen Umweltstress. So kann sich die Pflanze gegen Fressfeinde wie etwa Weidetiere schützen. «Daher können Endo­phyten für Pferde und Rinder giftig sein», hielt die Referentin fest. 

Solche Gifte würden in hohen Konzentrationen zu Vergiftungen führen oder den Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht bringen. Gemäss Renate Vanselow scheint in Europa der Rotschwingel besonders häufig mit Endophyten infiziert zu sein und hohe Toxinwerte aufzuweisen. Dazu liegt unter anderem eine wissenschaftliche Arbeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) vor, welche Grasbestände in Deutschland, Österreich, Frankreich und ­Ungarn analysiert hat.