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Auf der Suche nach jemanden, der sich mit Knoten auskennt, wurde mir geraten, mich bei «Hans Klötzli, Schangnau BE» zu melden. Denn, wer sich für altes Wissen, Tradition und Viehzucht interessiere, der werde wohl die hohe Kunst der Knoten beherrschen. «Ja, da könnte ich wahrscheinlich etwas dazu berichten», entgegnete bei meiner Anfrage eben dieser Hans Klötzli am Telefon. Er werde noch etwas überlegen und beim Bänz Gerber nachfragen. «Der kennt sich aus.»
Zwei Wochen später sitze ich in geselliger Runde am grossen Küchentisch von Erika und Hans Klötzli. Mit dabei sind sein Bruder und Mitbewirtschafter Christian Klötzli mit seiner Frau, ebenfalls eine Erika, der pensionierte Landwirt Bänz Gerber und ich, die Schreiberin. Wir trinken zusammen Kaffee. Wer mag, mit einem Schuss Hochprozentigem drin.
Eine Mappe voller Zeitzeugen
Hans Klötzli öffnet eine sorgfältig verschnürte Papier-Mappe am Tisch. Darin bewahrt er antiquarische Papiere, Pläne und Fotos von Betrieb und Familie, allerhand Festschriften von vergangenen Viehschauen sowie alte Zuchtkataloge auf. Als sehr spannend entpuppt sich das Telefonbuch der Schweiz aus dem Jahr 1921. Im Schangnau gab es damals bereits 25 Telefonanschlüsse. «Wir hatten die 20, der Löwen die Eins.» Bis heute habe man diese Ziffer als Endzahl in der Telefonnummer.
Bei der Durchsicht der Unterlagen und Bilder folgt eine Geschichte nach der anderen. Es taucht sogar ein Zollpapier aus dem Jahr 1843 auf, das die Warenausfuhr vom Kanton Bern in den Kanton Luzern bestätigte. Innerschweizerische Zölle und Grenzen, so etwas kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen.
Alte Küher-Tradition
«Üser Vorfahre hei viu uf d Site ta», sagt Hans Klötzli stolz. Seine Kinder sind die achte Generation auf dem Hof. 28 Kühe, alles behornte Simmentaler, sind der Stolz der Züchterfamilie. Der Hof war früher ein Sommerbetrieb, also eigentlich eine Alp, der Chüejer. Ursprünglich waren das nomadische Bauern, die im Winterhalbjahr mit ihren Tieren im Tal am Futter waren. Klötzlis überwinterten in Kirchdorf BE, Gerzensee BE und sogar im Freiburgischen. Letzteres bedeutete für die Chüejer-Familie zwei bis drei Tage Fussmarsch mit Vieh und Habe. «1890 kauften Klötzlis das letzte Mal Heu und blieben ganzjährig im Schangnau.» Heute gehören 50 Hektaren arrondiertes Grünland zum Besitz.
Bei meinem Versuch, das Gespräch endlich von der Vergangenheit auf die Knoten zu lenken, wendet sich Bänz Gerber an mich: «Schön, interessierst du dich für so etwas. Einige wissen teilweise nicht einmal mehr, wie man die Kuhschwänze hochbindet.» Ich muss zugeben, zu dieser Kategorie gehöre ich auch. Einerseits weil ich auf einem viehlosen Betrieb gross geworden bin, andererseits weil ich vorwiegend mit Laufstallkühen arbeitete. Kleines Glossar in Berndeutsch
Kleines Glossar in Berndeutsch
aalitsche: anbinden
Bindeseil mit Trüegle: Seil mit einem Holzstück mit Loch. Zum Sichern von Ladungen, sozusagen der Vorgänger
vom Spanset.
Chloos, Pänggu: Holzstück
Hornseil: Ein Seil, das einer Kuh um die Hörner gebunden wird. Wird nur noch selten praktiziert, da die meisten
Kühe keine Hörner mehr haben. Wurde durch das Halfter abgelöst.
Chnüppu: normal geknüpfter Knopf
Lätsch, Achtilätsch: Schlaufe, Doppelschlaufe
Rosenknopf: Er sieht ein wenig wie eine Blume aus. Man braucht ihn beim Anbinden einer Kuh, um den Strick hinter dem Nacken zu schliessen. Er kann, wie ein Knopf ins Knopfloch, in die Schlaufe im Strick gesteckt werden.
Seiltuch: Ein eher grobes Netz, mit dem man Heu zu Heuburden (Heufuder) bindet, die man dann transportieren kann.
umliire: drum herumwickeln
Wurf: Ein normal geknüpfter Knopf, er wird über einen Achtilätsch gelegt. Man braucht ihn, um das Anbindeseil einer Kuh zu verkürzen.
Eine Kälbergeburt steht an
Im Freien liegen verschiedene Seile und Hölzer bereit. Hans Klötzli und Bänz Gerber zeigen den Einsatz von Knoten bei der Kälbergeburt. Ein Seilende wird dafür an Hans' Arm befestigt. Am anderen Ende montiert Bänz mit einem «Lätsch» gekonnt einen «Pänggu». Fertig ist die Zughilfe. Ganz nebenbei erfahre ich, dass im Stall eine richtige Geburt ansteht. Mal schauen, ob wir das Gelernte gleich anwenden müssen oder ob Kuh Alpenrose problemlos selber kalbt.
An einer Kuh zeigt Hans vor, wie man ein Hornseil mittels eines «Achtilätschs» anlegt. Das mache man heute eher selten. Der Grossteil der Tiere habe sowieso keine Hörner mehr. Der Nachfolger des Hornseils sei das Halfter, ein geknüpfter Strick. «Die kaufe ich fixfertig», sagt der Bauer.
Gute Knoten kann man wieder lösen
Das Prinzip von guten Knoten ist immer dasselbe: Es wird mit einer Schlaufe oder eben einem Lätsch gearbeitet. Solche Knoten halten, können aber relativ einfach wieder gelöst werden. «Hanfseile quellen auf, wenn sie nass werden. Macht man einen normalen Knoten und kommen viel Zug sowie Feuchtigkeit hinzu, kriegt man ihn fast nicht mehr auf. Da bleibt dann nur noch der Griff zur Beisszange», weiss Klötzli aus Erfahrung.
Emsiges Treiben und prächtige Stimmung
Bänz Gerber hantiert mit einem Bindeseil mit Trüegle. Das ist eigentlich der Vorgänger des Spansets. Zack, ist ein Lätsch ums Holzstück mit dem Loch gelegt. Wichtig ist dabei, dass das Seilstück, das von der Ladung herkommt, oberhalb vom Lätsch durchgeht, damit dieser angedrückt wird. Nur so hält das zusammen. Dann folgt der Rosenknopf. Dieser dient dazu, den Strick, mit dem man die Kuh im Stall anbinden will, im Nacken zu schliessen. Beinahe hingebungsvoll büschelt Benz die Knotenrosette, die er dann wie einen Knopf ins Knopfloch in die Strickschlaufe einführt.
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Trüegle mit Lätsch: hält und lässt sich wieder gut lösen.
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Bänz Gerber steckt den Rosenknopf in die Strickschlaufe wie den Knopf ins Knopfloch.
Mit diesem Rosenknopfstrick geht Hans zur Demonstration von «Anbindevorrichtungen im Alpstall» über und sein Bruder Christian bindet einen 100-kg-Jutesack zu. Emsiges Treiben überall. Auch die Kuh ist nicht untätig. Sie gebärt ohne grosse Anstrengung ein gesundes Kuhkalb. Die Stimmung ist prächtig.
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Hans Klötzli mach einen Wurf zum auf einen Achtilätsch. So verkürzt er den Anbindestrick im Alpstall.
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Christian Klötzli hat einen Jutesack fein säuberlich zugebunden.
Ein fulminanter Abschluss
Zum Abschluss wollen die Knotenexperten noch etwas ganz Spezielles zeigen: Wie man früher Heuburden machte. Wir dislozieren ins Tenn. Ein Seiltuch wird am Boden ausgebreitet. An zwei Ecken hat es Bindeseile, an den anderen beiden Trüegle. Hans Klötzli befüllt es von den Ecken her gegen die Mitte. «Da geit feiechly Höi dri», meint er. Fürs Binden braucht er die Hilfe von Bänz. In der Diagonalen heben sie zwei Ecken des Seiltuchs an und drücken gleichzeitig abstehendes Heu in die Haufenmitte. Das erste Seil wird, wie vorher geübt, mittels Trüegle festgezurrt, dann folgt das zweite. Das Resultat ist ein kompakt geschnürter Heuhaufen. «Die Pakete hat man dann auf den Hornschlitten geladen und brachte so das Heu ins Tal.» Bei uns hingegen zieht Hans an den Knoten, und schon löst sich der Heuhaufen wieder.
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Zum Heuburden binden braucht es zwei Männer: Bänz Gerber (li) und Hans Klötzli in Aktion.
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Die fertige Burde würde man nun mittels Hornschlitten ins Tal transportieren.
Die vergessene letzte Frage
Unterdessen ist Mittag. Erika Klötzli ruft zum Essen. Auch ich wäre eingeladen, muss aber ablehnen, da ich noch ein paar Zeitungsseiten produzieren sollte. Von den anderen scheint es niemand richtig eilig zu haben. Hans Klötzli zeigt mir mit Stolz die über 600-jährige Linde. Sie steht neben dem Hause und hat einen Stammumfang von 8,8 Metern. Eine Sitzgelegenheit lädt zum Verweilen ein. Für mich ist eher unwahrscheinlich, dass Klötzlis hier viel Zeit verbringen. Zu neugierig und umtriebig scheinen sie mir dafür.
Beim Warten aufs Postauto muss ich das Erlebte setzen lassen. Der Blick auf Hohgant und Schrattenfluh hilft mit dabei. Da kommt mir in den Sinn, dass ich ganz zu fragen vergass, wie das Kuhkalb eigentlich heisst.