Die Mai-Temperaturen brechen Rekorde, in Deutschland hinterlassen Tornados eine Spur der Verwüstung und in der Schweiz fallen die ersten grossen Hagelkörner, während es andernorts zu trocken ist: Wetterexperten führen das zumindest teilweise explizit auf den Klimawandel zurück. Gleichzeitig verursachte die Meldung, dass die Schweiz sowohl das nationale als auch das internationale Klimaziel gemäss dem Kyoto-Protokoll verfehlt hat, kein grosses Echo. Ein Juristenkollektiv möchte nun aber den Bund mit bäuerlicher Unterstützung wegen mangelndem Klimaschutz verklagen.
Die Regierung soll sich rechtfertigen
«Wir werden argumentieren, dass der Bund unrechtmässig handelt, indem er nicht die zum Schutz der Bevölkerung und insbesondere der Bauern nötigen Massnahmen ergreift», erklärt Arnaud Nussbaumer, ein Mitglied des Kollektivs. In einer Verfügung solle die Regierung sich über die Rechtmässigkeit der von ihr ergriffenen Massnahmen äussern – oder vielmehr dazu, was nicht unternommen worden sei.
Das Juristenkollektiv plant, bis vor Bundesgericht zu gehen. Da der Bund mit der Nicht-Einhaltung des Pariser Klimaabkommens rechtswidrig gehandelt habe, würde ausserdem eine symbolische Entschädigung gefordert.
Mehr Aufmerksamkeit für die Gefahr
Ein wichtiger Punkt bei dem Vorhaben ist aber auch, Aufmerksamkeit auf die Thematik zu lenken. «Die Gefährdung von Landwirt(innen) durch die globale Erwärmung soll sichtbar werden», erklärt Arnaud Nussbaumer. «Selbst wenn wir nicht im ersten Anlauf gewinnen, hat das den Vorteil, dass die Stimme der Landwirtschaft gehört wird.»
Um die Klage führen zu können, sucht das Juristenkollektiv Landwirt(innen) mit Ernteverlusten, die – zumindest teilweise – auf die Folgen des Klimawandels zurückzuführen sind. Beispiele wären die Folgen von Frost, Dürre oder Bodenerosion.
«Ein Hoffnungsschimmer für Verzweifelte»
Es sollen sich bereits Produzenten gemeldet haben. Unter ihnen ist ein Westschweizer Weinbauer, der nicht namentlich genannt werden möchte, um nicht unter Druck zu geraten. «Ich habe in den letzten 30 Jahren erlebt, wie sich die Klimaerwärmung beschleunig hat», schildert er gegenüber der BauernZeitung. Er habe mit Frost und Trockenheit zu kämpfen und sieht im rechtlichen Vorgehen auch «einen Hoffnungsschimmer für diejenigen, die angesichts der Untätigkeit des Bundesrats verzweifeln».
Der Nationalrat habe sich verweigert
«Anfang Mai haben sich 70 Prozent der Nationalrät(innen) geweigert, an der wissenschaftlichen Info-Veranstaltung zum Thema Klima teilzunehmen. Weil Wissen Veränderung bedeutet», fährt der Romand fort. Das habe ihn entsetzt. Seiner Meinung nach zeigt das Verhalten einer Mehrheit der grossen Kammer, dass diese den Stillstand fördere. «Obwohl Finanzen und Wirtschaft für mehr als 70 Prozent der klimatischen Schäden verantwortlich sind, kann man nur feststellen, dass der Bundesrat bisher nur den freien Markt und die multinationalen Konzerne zu verteidigt.» Nichts zu tun, wäre in den Augen des Weinbauers «kriminell». Als Bürger sehe er eine Möglichkeit, Druck auszuüben, indem er den Bundesrat wegen verklagt. «Die globale Erwärmung ist erwiesen, doch die Behörden weigern sich, auf die Appelle der Wissenschaftler zu hören. Sie müssen verurteilt werden», ist er überzeugt.
Wenig Aufwand für Landwirte
Der Aufwand für Landwirt(innen), die sich der Klage anschliessen würden, hielte sich in Grenzen. «Die Anwalts- und Verfahrenskosten werden von unserem Kollektiv übernommen», versichert Arnaud Nussbaumer. Was den Zeitaufwand betrifft, müssen die Anwälte die Bauern kennen, die sie vertreten werden. «Wir denken, dass wir uns mindestens einmal treffen sollten», meint der Anwalt. Ausserdem müssten die Beteiligten alle benötigten Dokumente zusammenstellen. «In der Praxis sollte das nur ein paar Stunden dauern. Wir kümmern uns um den Rest.»
Ein Gefühl der Machtlosigkeit
«Wir müssen uns als Bürger wie Erwachsene verhalten und uns die richtigen Fragen stellen», findet der Westschweizer Weinbauer. «Wollen wir zulassen, dass unsere Wälder durch Hurrikane, unser Obst durch Frost, unsere Weiden und Feldfrüchte durch Dürre zerstört werden, ohne etwas dagegen zu unternehmen?» Er fühle sich angesichts des fortschreitenden Klimawandels machtlos. Schliesslich könne er im Gegensatz zur Industrie seine Produktion nicht einfach ver- oder auslagern. Ausserdem glaubt er nicht, dass Innovationen wirkliche Lösungen bringen werden. «Auf unserem Betrieb wappnen wir uns mit Frostkerzen, Gründüngungen und Agroforst, um unsere Böden zu bedecken und vor der Sonne zu schützen», führt der Romand aus. Er hofft, dass er mit sechs bis 10 anderen Betrieben an der Klage mitwirken kann.
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Der Weg sei geebnet
Arnaud Nussbaumer räumt dem Anliegen relativ gute Chancen ein: «Vor acht bis zehn Jahren hätte ich gesagt, die Erfolgsaussichten seien gering. Heute aber, da viele Gerichte im Ausland den Weg für Klimaklagen geebnet haben, denke ich, dass eine solche Klage viele rechtliche Fragen aufwerfen wird.» Über diese müssten dann die Gerichte entscheiden. In jedem Fall bekäme der Klimaschutz – auch als Schutz der inländischen Produktion – neue Aufmerksamkeit und rechtliches Gewicht, so die Hoffnung.
Erfolge im Ausland
Klimaklagen gab es in den letzten Jahren einige. «Die deutsche Regierung wurde vom Verfassungsgericht wegen Untätigkeit im Klimabereich verurteilt», weiss Anwalt Arnaud Nussbaumer. Bis Ende 2022 muss nun das deutsche Klimaschutzgesetz nachgebessert werden. In den Niederlanden hat laut Nussbaumer eine Stiftung ein ähnliches Verfahren gewonnen, auch in Frankreich. An der Umsetzung von mehr Klimaschutz-Massnahmen arbeitet die niederländische Regierung Medienberichten zufolge noch, der französische Staat muss nach einem zweiten Urteil 15 Millionen Tonnen CO2 finanziell ausgleichen.
Derzeit läuft ausserdem ein Verfahren, in dem ein Landwirt den Energiekonzern RWE verklagt. Der Kläger habe zwar in erster Instanz verloren, aber in Berufung gewonnen.