«Damit die Tiergesundheit erhalten werden kann, braucht es eine bedarfsgerechte Fütterung. Diese muss auch die Genetik der Tiere berücksichtigen. Es ist unmöglich, die Genetik der Herde in einem Vierjahresprogramm auf eine politisch gewollte Fütterung auszurichten.» Das hielt der Zentralschweizer Bauernbund (ZBB) in einem Schreiben an das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) letzten November fest.

Standortgerecht füttern

Dabei geht es um die im Rahmen der AP 22+ angedachte Weiterentwicklung des Programms graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion (GMF). Konkret soll zugekauftes Futter einen bestimmten Rohproteingehalt nicht mehr überschreiten dürfen. Eine rohproteinreduzierte Rindviehfütterung schaffe aber Fehlanreize, findet der ZBB. «Wir sehen die Gefahr, dass politische Wunschvorstellungen den agronomischen Grundsätzen der Wiederkäuerfütterung entge­genstehen.» Das BLW stellt sich auf den Standpunkt, dass das 2014 im Rahmen der Direktzahlungsverordnung eingeführte GMF-Programm Schwachstellen aufweist. Schliesslich gehe es ums Ziel einer standortangepassten Fütterung von Wiederkäuern auf Grasbasis und einen reduzierten Kraftfuttereinsatz. Mit der Reduktion der Proteinzufuhr via Kraftfutter soll der Anteil an betriebseigenem Futterprotein von Wiesen und Weiden in Rindviehrationen gefördert werden.

Im Auftrag des BLW untersuchte Agroscope 2018 die ­Auswirkungen von solchen Fütterungsvarianten auf die Tiergesundheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt. Und kam zu einem recht kritischen Urteil (siehe Kasten). Gleichwohl beharrte das BLW auf dem Ziel, dass die Proteinzufuhr begrenzt und die Versorgung vorwiegend mit betriebseigenem Futter sichergestellt werden soll. «Das führt zu standortangepassten Tierbeständen und einer standortangepassten Fütterung. Daraus resultieren geschlossene Nährstoffkreisläufe, und ein regional erhöhter ­Anfall von Hofdüngern wird verhindert», heisst es in der Stellungnahme zum Bericht der Agroscope, den man zur Kenntnis nehme. Im Grasland Schweiz soll zur Milch- und Fleischproduktion das Potenzial des pflanzlichen Proteins im Gras ausgeschöpft werden. So könne auch der Einsatz von Sojaschrot und Maiskleber in der Rindviehfütterung reduziert werden, meinte das BLW.

Deshalb wurden offenbar im Rahmen der Weiterentwicklung der Agrarpolitik zwei Varianten weiterverfolgt, nämlich dass zugekauftes Futter mit Ausnahme Getreide einen Rohproteingehalt von 12 Prozent nicht überschreiten darf. «Heu und Emd könnten somit nicht mehr zugekauft werden, da deren Gehalt 12 Prozent übersteigt», kritisiert dazu der ZBB. Die zweite Variante ist eine Beschränkung des Rohproteingehalts auf 18 Prozent.

GMF wichtig für Region

Der ZBB wies in seinem Schreiben auf die Bedeutung der Milch- und Rindviehhaltung in der Zentralschweiz hin, und dass sich heute 80 Prozent der Zentralschweizer Landwirtschaftsbetriebe in dieser Region beim GMF-Programm beteiligen. Das soll auch künftig möglich sein, und nicht durch strenge Auflagen bezüglich Proteinzufuhr verhindert werden. Schliesslich sei es in der Region auch kaum möglich, mit eigenen Ackerkulturen mehr betriebseigenes Protein zu produzieren. Grundsätzlich bilde ja betriebseigenes Raufutter die Grundlage der Rindviehfütterung. Nur wo nötig werde mit Kraftfutter ergänzt, um eine nach Energie und Eiweiss ausgeglichene Ration sicherzustellen. «Mit einer sehr extensiven Fütterung nur auf Selbsterhaltung kann kein Beitrag zur Nahrungsmittelproduktion geleistet werden», so Geschäftsführer Franz Philipp im ZBB-Schreiben. Und unausgewogene Rationen würden die Tiergesundheit gefährden, weil sie zu Stoffwechselkrankheiten und Fruchtbarkeitsproblemen führen. Es sei auch nicht sinnvoll, wenn Wiesen und Weiden intensiviert würden, nur um selber möglichst hohe Rohproteingehalte im Betriebsfutter zu erreichen.

«Es könnte nicht einmal mehr Heu und Emd zugekauft werden.»

Franz Philipp über die Konsequenzen, wenn die Proteingehalte von zugekauften Futtermitteln limitiert würden.

Beitrag gegen Food Waste

Ein gewisser Zukauf von Kraftfutter sei durchaus sinnvoll, ­verwiesen wird auch auf die Verwertung der 365 000 t Nebenprodukte aus der Lebensmittelherstellung. «Das ist ein wichtiger Beitrag gegen Food Waste.» Und schliesslich sei der Anteil von Kraftfutter in Schweizer Wiederkäuerrationen vergleichsweise sehr gering. In der Schweiz seien dies 92 Gramm je kg Milch,in Deutschland hingegen 200 Gramm, in Italien 220 Gramm und in Österreich 120 Gramm, wird aus einer Studie zitiert.

Für den ZBB ist klar, dass Produktionssysteme unerwünschte Umweltwirkungen reduzieren müssen, gleichzeitig aber auch die Kalorienproduktion und Tiergesundheit erhalten und so zu einer Effizienzsteigerung beitragen. «Das Modul rohproteinreduzierte Fütterung erachten wir aber als nicht praxistauglich». Man sei aber offen für eine Weiterentwicklung des GMF-Programms, um den bereits heute hohen Anteil des betriebseigenen Futters zu erhöhen.

Mehr Luzerne anbauen

Thomas Jäggi vom Schweizer Bauernverband (SBV) bestätigt, dass die hohen Raufutterimporte, aber auch der Einsatz von Kraftfutter im GMF-Programm auf Kritik stossen. Im Fokus sind beispielsweise Zukäufe von Luzerne-Heu. «Luzerne sollte künftig vermehrt selber angebaut werden.» Das Potenzial sei gegeben, zumal diese Kultur Trockenheit und wärmere Jahre viel ­besser ertrage. «Auch Futterbaubetriebe könnten somit mehr Protein selber anbauen.» Im Übrigen liege das ökonomische Optimum nicht immer bei der Fütterung auf Hochleistung. Der SBV achte aber sehr darauf, wie das BLW den Zukauf von Protein reduzieren wolle.

Aussprache im März

Obwohl der ZBB bis Ende letzten Jahres eine Antwort auf das Schreiben wünschte, ist bis Mitte Februar keine Rückmeldung eingetroffen, bestätigt Präsident Jakob Lütolf. Auf Nachfrage der BauernZeitung beim BLW wurde offenbar festgestellt, dass der Brief aus unerklärbaren Gründen untergegangen sei. Das BLW entschuldigte sich in aller Form bei Lütolf und stellte eine Online-Aussprache für März in Aussicht, auch im Beisein von ­bäuerlichen Parlamentariern. Welche Stossrichtung das BLW verfolgt, ist offen. Gemäss Mediensprecherin Florie Marion sei eine Massnahme zur Begrenzung der Rohproteinzufuhr im Verordnungspaket zur parlamentarischen Initiative «Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» vorgesehen. Diese Verordnung werde voraussichtlich im Verlaufe des Frühjahrs 2021 in die Vernehmlassung gehen. 

 

Defizite in der Ration vermeiden

Agroscope bestätigt in der Studie, dass die Beschränkung des Proteingehalts in Futtermitteln die Produzenten sehr stark einschränke und kaum mehr die Möglichkeit bestehe, Raufutter zu erwerben. Auch könnten kaum mehr Nebenprodukte aus der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden. Und es würden extreme Schwankungen der Produktion und des Einkommens resultieren. Wenn nur mehr betriebseigenes Wiesen- und Weidefutter eingesetzt werden dürfte, wäre bei Milchkühen die Energiezufuhr die grössere Herausforderung als die Proteinzufuhr. Zudem könnten nur wenige Milchproduzenten eine solche Variante umsetzen. Ein Proteinmangel könne die Futteraufnahme, Leistung, Gesundheit, Fruchtbarkeit und das Tierwohl beeinträchtigen.