«Bei Vorhaben mit mittleren bis starken Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft oder auf einzelne gesellschaftliche Gruppen ist eine vertiefte RFA angezeigt», heisst es in den Richtlinien des Bundes. Bei der RFA handelt es sich um eine Regulierungsfolgenabschätzung – genau eine solche hätte im Zusammenhang mit der Totalrevision der Pflanzenschutzmittel-Verordnung (PSMV) erfolgen sollen, finden Umwelt- und Trinkwasserverbände. «Was sonst gang und gäbe ist, hat das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) beim vorliegenden Entwurf verpasst», kritisieren neben WWF, Pro Natura, Birdlife und Greenpeace unter anderem auch zwei Trinkwasserverbände und Ärzt(innen) für den Umweltschutz in einer gemeinsamen Mitteilung.
Bereits bestehende Prüfung ungenügend
Laut dem BLV ist die Totalrevision der PSMV eine Angleichung an das EU-Recht. Sie sieht unter anderem eine vereinfachte Zulassung für Produkte vor, die in EU-Mitgliedstaaten «mit vergleichbaren agronomischen, klimatischen und umweltrelevanten Bedingungen» zugelassen sind. Als Voraussetzung dafür sieht die Vernehmlassungsvorlage vor, dass jeweils dieselben Beurteilungsmethoden verwendet worden sein müssen wie in der Schweiz und der Beurteilungsbericht aus dem Ausland vorliegt. Aber bereits an den bestehenden Beurteilungen für die Zulassung von PSM üben die Umwelt- und Trinkwasserverbände Kritik. Seit Jahren mache man darauf aufmerksam, dass die Umweltprüfung mangelhaft sei, schrieben sie in ihrer Mitteilung. So würden weder die Risiken für Amphibien noch jene für Bestäuber-Insekten (mit Ausnahme von Honigbienen) oder wasserbewohnende Pilze berücksichtigt.
Teilweise abgeschafft
«Ausserdem beklagen und belegen die öffentlichen Wasserversorgungen seit langem, das die Trinkwasserressourcen ungenügend gegen langlebige Pestizidrückstände geschützt sind», heisst es weiter. Statt Verbesserungen bringe die neue PSMV in der vorliegenden Form eine Verschlechterung durch die erleichtere Zulassung: «Neu soll sogar die Gesundheits- und Umweltprüfung abgeschafft werden, indem Bewilligungs-Entscheide von EU-Staaten übernommen werden.»
Sammelbecken der Schädlichsten
Sowohl Vertreter der Agrochemie-Branche als auch der Schweizer Bauernverband haben in der mittlerweile abgeschlossenen Vernehmlassung die Befürchtung geäussert, dass die erhöhten Gebühren für die Zulassung in der neuen PSMV das Angebot verfügbarer PSM einschränken könnte. Dies, weil nur noch besonders lukrative Wirkstoffe bzw. Produkte für die Zulassung angemeldet werden könnten. Die Umwelt- und Trinkwasserverbände argumentieren ebenfalls mit der Reaktion des Angebotsseite auf die neue PSMV, haben aber eine andere Befürchtung. «Verkaufen lassen sich die Intensivsten am besten», heisst es in der Mitteilung. Ihrer Meinung nach würden in erster Linie die wirksamstem Mittel – die gleichzeitig die umwelt- und gesundheitsschädlichsten seien – vom internationalen Handel für die erleichtere Zulassung angemeldet. «Da in jedem EU-Land nur ein Teil der besonders umweltschädlichen Pestizide bewilligt ist, könnte die Schweiz mit der vereinfachten Zulassung zum Sammelbecken aller europäischen Problem-Pestizide werden», warnen die Verbände. Man befürchte einen «massiven Druck» auf die Zulassungsbehörden, solche Mittel in der Schweiz vereinfacht zuzulassen. Nur schon in den Nachbarländern seien 50 hierzulande bisher verbotene Wirkstoffe erlaubt, die teils «sehr problematisch» seien.
Neuauflage verlangt
Aus diesen Gründen halten es die Umwelt- und Trinkwasserverbände sowie Ärzt(innen) für den Umweltschutz für «verantwortungslos», dass das BLV auf eine Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) verzichtet hat. Eine solche müsse zwingend nachgeliefert werden, weshalb man die Rückweisung der Vorlage und eine Neuauflage beantrage – inklusive RFA.