Kurz darauf dürfen wir gleich noch einmal feiern. Meine Tochter wird am 17. Mai ein Jahr alt. In diesen Tagen werde ich nostalgisch, denke viel zurück, an die unkomplizierte Schwangerschaft, an den Umzug ins neue Zuhause wenige Tage vor dem errechneten Geburtstermin. Weil unsere Tochter sich Zeit liess, wie es sich für eine Halb-Bernerin gehört, hingen sogar schon Lampen und Bilder, als ich mit ihr nach Hause kam. Meine Schreckensvision von einem Leben mit einem Neugeborenen zwischen nicht ausgepackten Zügelkisten erfüllte sich nicht.


Nachgedacht habe ich viel in den Monaten vor der Geburt, weil viel nachdenken zu mir gehört wie eine Vorliebe für alte Porsches und viele Schuhe und noch mehr Kaffee, für schottische Hochlandrinder, für royale Hochzeiten, Burgen und irische Friedhöfe.

Wie es wohl werden würde, dieses Mutter-Sein, darüber habe ich nachgedacht, wie sie wohl werden würde, mein Mädchen, wie ich wohl alles schaffen würde, das Kind sowie das auf 60-Prozent reduzierte Pensum als Onlinejournalistin bei der BauernZeitung, und ob und wie sich die Beziehung zu meinem Partner verändern würde. Denn auch er hatte ja einen Rollenwechsel vor sich, aus dem sportlichen Physiotherapeuten, aus dem guten Koch, Wandervogel und Weinlieb-

haber würde ein Papa werden.


Dann kam der 17. Mai und trotz allem Grübeln verstehe ich erst seither, was es bedeutet, Mutter zu sein. Und ich verstehe auch, was die eine Hebamme meinte, als sie sagte, die Geburt würde eine Grenzerfahrung werden. Meine ging gut, trotzdem denke ich lieber nicht mehr an die Wehen zurück. Mütter haben Superkräfte, wie sollten sie diese sonst aushalten? Ich denke lieber an den Moment zurück, als unsere Kleine endlich in meinen Armen lag. Diese Momente sind unvergesslich und schwer zu beschreiben.


Die Tage im Spital fand ich anstrengend, was daran lag, dass meine zwar sehr nette Zimmernachbarin pro Tag etwa 30 Leute zu Besuch hatte. Ich fühlte mich mit so wenig Privatsphäre  verletzlich und ausgeliefert. Das Köpergefühl war noch komisch, dazu kam der Babyblues. Ich wollte nur noch heim und meine Ruhe, um in der Mama-Rolle anzukommen.


Aus einem hübschen blassen Baby, das keinem von uns ähnlich sah, ist in zwölf

Monaten ein rotblonder Mini-Wirbelwind geworden, der optisch mehr nach dem Papa geht. Trotz zarten 7,5 kg Kampfgewicht fürchtet sie sich nur vor wenig. Vielleicht liegt es daran, dass wir ihr den Namen einer Wikinger
prinzessin gegeben haben. Die eingebauten Batterien habe ich in meinem Duracell-Häsli noch nicht gefunden, aber ich weiss, sie sind da.


Mutter zu sein, ist wunderbar. Gleichzeitig scheint man in der Zeitung nur noch von verunfallten, missbrauchten und misshandelten Kindern zu lesen. Eine leise Sorge ist eigentlich immer da.  Und man ist ja nicht nur Mama. Man 
ist ebenso Lebenspartnerin, Arbeitnehmerin, Tochter, Enkelin, Gotti, Freundin.

Nicht immer finde ich es einfach, all diese Rollen zu erfüllen. Ständig muss man etwas vorbereiten, einpacken und überprüfen, ob man auch nichts vergessen hat. Obwohl ich mir mit Putzen und Aufräumen Mühe gebe, breitet sich das Chaos zu Hause aus. Manchmal komme ich an meine Grenzen, etwa, wenn das sonst so gut schlafende Kind eine Nacht lang weint.

Bin ich eine gute Mutter? Bin ich noch eine gute Journalistin und mein Geld wert? Kommt mein Partner nicht zu kurz?


Erst im vergangenen Jahr ist mir richtig klar geworden, was meine Mutter geleistet hat, mit zwei Kindern, Pferden, Mutterkühen und einem Bauernhof, während mein Vater lange noch auswärts arbeitete. Oder meine Grossmutter mit vier Kindern, einem Gemüsebaubetrieb und einer Gärtnerei. Oder all die Bäuerinnen, die Woche für Woche in unserer Zeitung porträtiert werden und natürlich auch alle anderen Mütter.

Dann frage ich mich, wie das andere machen, die mehr als ein Kind und eine 3,5-Zimmer-Wohnung in der Stadt haben. Vermutlich 
helfen ihnen ihre Superkräfte. Wer braucht schon Comic-Helden? Die wahren Superheldinnen sind die Mütter. Lasst sie uns am Sonntag feiern.

Jeanne Woodtli