«Gentechnik ist ein emotionales Thema. Aber wir wollen heute sachlich diskutieren.» Mit diesen Worten eröffnete Moderator Claudio Enggist die Veranstaltung «Gentechnologie! – und Sie?» der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz. Das klappte auch ganz gut, bis das Gespräch auf Südamerika abdriftete.
Gentechnisch veränderte Kartoffeln überzeugten
Ein konkretes Beispiel für die Diskussion über Gentechnik im Ernährungssystem waren gegen Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora infestans) resistente Kartoffeln. Susanne Brunner, Molekularbiologin bei Agroscope erzählte von ihren Versuchen mit solchen Pflanzen. «Während vier Jahren hielt die Resistenz», meinte sie. Die Freilandversuche in Reckenholz ZH sollten zeigen, ob die aus Holland stammenden Gentech-Kartoffeln auch gegen in der Schweiz vorkommende Phytophthora-Stämme geschützt sind.
Skepsis gegenüber Gentechnik bei den Konsumenten
Untersuchungen der übrigen Eigenschaften der Pflanzen und ihrer Umwelt (z. B. Blattläusen) hätten bisher keine Auffälligkeiten gezeigt, die Datenanalyse sei aber noch nicht abgeschlossen. Die gentechnisch veränderten Pflanzen konnten auch mit der bekannten resistenten Sorte Vitabella mithalten. «Vitabella überzeugt aber nicht im Geschmack. Die beliebte und verbreitete Sorte Agria war in den Versuchen jedes Jahr infiziert», so Brunner. Damit sprach sie einen der Zielkonflikte an, die Christine Heller von der Branchenorganisation swisspatat aufzeigte: «Konsumenten wollen auf der einen Seite weniger Pflanzenschutzmittel, sind aber andererseits skeptisch gegenüber Gentechnik». Ausserdem seien grossflächige Infektionen mit der Kraut- und Knollenfäule auch ein Faktor beim Food Waste, weil dadurch grosse Teile der Ernte verloren gehen können.
Niemand scheint wirklich darüber sprechen zu wollen
Jan Lucht von scienceindustries lobte Krautfäule-resistente Kartoffeln als ein Beispiel für Gentechnik „die wirklich funktioniert“. „Mit den diesen Pflanzen muss man statt 8 Mal nur noch etwa 2-3 Mal Fungizid spritzen, das wurde unabhängig in verschiedenen Ländern gezeigt.“ Seiner Meinung nach braucht es vor allem den Dialog mit Konsumenten. „Ich habe noch nie mit jemandem gesprochen, der dagegen war, wenn man ihm die ganze Geschichte erklärt“, erzählte Lucht. Das Problem sei, dass niemand wirklich darüber sprechen wolle. „Vielleicht weil man dann sagen müsste, wieviel man heute spritzt“, vermutet er.
Gentechfreiheit könnte eine Chance fürs Marketing sein
Bei der Frage, ob sich die Branche mehr Offenheit gegenüber Gentechnik von den Konsumenten wünschen würde, ist Christine Heller ambivalent: „Die moderne Gentechnik kann eine Chance sein, wenn man so die Züchtung von Phytophthora-resistenten Sorten beschleunigen könnte. Andererseits könnte Gentechfreiheit auch eine Marketingstrategie für die Schweiz sein“, erklärte sie.
Nicht verantwortlich für schlechte landwirtschaftliche Praxis
„Man sollte neben der Technik auch die Eigenschaften der Züchtungen thematisieren“, meinte ein Teilnehmer aus dem Publikum. Es sei wie bei der Margarine: da schätze man die Streichfähigkeit, auch wenn sie in einem chemischen Prozess hergestellt worden sei. Ein anderer berichtete von den Zuständen in Südamerika. Dort würden Unmengen von Glyphosat eingesetzt, mit gravierenden Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Umwelt. Mit dem Fokus weg von der Schweiz ging auch ein wenig die Sachlichkeit verloren – die Diskussion wurde zunehmend emotional geführt. Susanne Brunner betonte darauf, man könne nicht die Gentechnik für schlechte landwirtschaftliche Praxis im Ausland (oder in Südamerika) verantwortlich machen.
Cis- und transgen ist nicht dasselbe
Dabei ist erwähnenswert, dass es zwischen pilzresistenten Kartoffeln und herbizidresistentem Mais (wie er in Südamerika angebaut wird) einen grossen Unterschied gibt: Erstere Züchtung ist cisgen, letztere sind transgene Pflanzen. Das heisst, die neuen Kartoffelsorten enthalten Resistenzgene aus Wildkartoffeln. Die Gentechnik hat in diesem Fall quasi die Züchtung verkürzt, indem diese eine Eigenschaft gezielt eingefügt wurde, während andere (etwa Geschmack, Farbe und Form) erhalten blieben. Herbizidresistenz in Mais hingegen kommt durch Bakteriengene zustande. Das Erbmaterial von Einzellern würde auf natürlichem Weg normalerweise nicht in eine Pflanze gelangen. Transgene Pflanzen sind also weiter entfernt von klassischer Züchtung.
Gentechnik ist Teil unseres Alltags
Es wurde auch diskutiert, dass Gentechnik eigentlich schon überall im Alltag anzutreffen sei. Z. B. produzieren gentechnisch veränderte Mikroorganismen Medikamente (etwa Insulin) oder Lebensmittel-Zusatzstoffe wie Zitronensäure. Ausserdem ist Gentech ein wichtiges Werkzeug in der Forschung. Wenn dieser Umstand besser bekannt wäre, würde vielleicht auch die Akzeptanz gegenüber gentechnischen Verfahren in der Bevölkerung steigen. Eine ähnliche Meinung vertrat auch der Do-it-yourself Biologe und Biohacker Marc Dusseiller. „Je nach Definition ist auch die Grossmutter, die Sauerteigbrot macht, ein Biohacker“, gab er zu bedenken.
Wo ist die rote Linie?
In der Diskussionsrunde zu Forschung und Innovation wurde es philosophischer. Man fragte sich, ob man rote Linien bei der heutigen globalen Vernetzung überhaupt noch ziehen könne und wer sie definieren sollte. Yolanda Schaerli fand, man es gebe meist unterschiedliche Methoden, um ein Ziel zu erreichen oder ein Problem zu lösen. Schaerli beschäftigt sich an der Universität Lausanne mit synthetischer Biologie. Es gehe um eine Risiken-Nutzen-Abschätzung. „Die Angst vor Gentechnik ist etwas anderes als jene vor Pflanzenschutzmitteln“, stellte Marc Dusseiller klar. Es sei wie bei einem Schimmelpilz; Man habe Angst, dass gentechnisch veränderte Organismen plötzlich unkontrolliert und überall seien, eben weil es sich um lebendige Organismen handle. Die Befürchtungen hätten teilweise schon fast religiöse Züge. Für den Biohacker steht aber fest: „Gentechnik ist definitiv nicht Gottspielen.“
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