Es ist ein Freitagnachmittag im aargauischen Zeihen im Fricktal. Eingebettet zwischen den sanften Hügeln des Juraparks Aargau liegt der Hof von Yvonne und Benedikt Hossli. Sie stellen ihren Hof derzeit auf Bio um. Die naturnahe Gegend ist ruhig, man hört lediglich manchmal einen Glöckchenklang von weiter oben durchdringen. Da weiden nämlich momentan 8 Engadinerschafe: 3 Muttertiere und 5 Jungschafe. Zusammen mit den Glöckchen ertönt auch das Blöken als sich Yvonne nähert. Die Schafe verlassen ihre eingekuschelte Position unter dem Apfelbaum und vor allem die Lämmer springen nun wild umher.
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Nebst den 8 Engadinerschafen auf dem Hof halten Yvonne und Benedikt noch 29 in Brugg AG und 11 in Villnachern AG. Dort betreiben die Schafe Landschaftspflege für Pro Natura.
Immer um die Gesundheit der Schafe besorgt
Yvonne hat einen starken Bezug zu ihren Engadinerschafen. Während der Zeit, in der ihre Herde in Brugg und Villnachern weidet, kümmert sich jemand anderes um die Schafe. Doch es vergehen keine zwei Wochen bevor Yvonne selbst nach ihren Schafen schaut. Trächtigkeit, Parasitenbefall, allgemeiner Gesundheitszustand, usw.: «Die Entwicklung meiner Schafe darf mir nicht entgehen», sagt Yvonne entschlossen. Alle Tiere seien ihr gleichwertig, wenn es um die Gesundheit geht. Trotzdem habe sie Lieblingstiere, die ihr besonders ans Herz wachsen. Es fällt ihr auch immer schwer, langjährig aufgebaute Beziehungen zu ihren Tieren aufgeben zu müssen oder Verluste wegzustecken.
Fruchtbar und robust
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Das Engadinerschaf zeichnet sich durch hervorragende Eigenschaften aus. So ist diese traditionelle Rasse sehr widerstandsfähig. Klauenfäule (Moderhinke) kommt bei ihr kaum vor.
Lämmer kommen asaisonal
Die Fruchtbarkeit ist sehr hoch: bis zu 3-mal in zwei Jahren kann ein Mutterschaf gebären. Dabei sind Mehrlingsgeburten nicht selten. Zudem werden Lämmer asaisonal auf die Welt gebracht und die Zwischenlammzeiten – die Zeit zwischen den Ablammungen – sind relativ kurz. Das heisst, dass irgendwann im Jahr abgelammt werden kann. «Das können wir aber auch steuern», meint Yvonne und lacht, «jetzt im Sommer möchten wir gerne auch mal Ferien machen und da wären Geburten nicht ideal.»
Fruchtbarkeit macht die geringe Fleischmenge wett
Auf die Frage, weshalb das Engadinerschaf trotz den optimalen Eigenschaften verdrängt wurde, entgegnet die Expertin: «Viele meinen, dass am Schaf zu wenig gutes Fleisch dran wäre. Doch ich behaupte, dass das Engadinerschaf dies mit der hohen Fruchtbarkeit wettmacht. Das Texelschaf als Fleisch-Schafrasse gibt zum Beispiel gutes Fleisch, lammt aber nur einmal und saisonal ab. Wenn dort die Geburt nicht gut verläuft, ist vieles verloren. Ein Engadinerschaf kann mit der asaisonalen und hohen Fruchtbarkeit also ergiebigen Ertrag sichern.»
Ein Fell wie eine Mönchskutte
Das Fell zeigt sich in verschiedenen Brauntönen. Der rätoromanische Name «besch da pader» (Paterschafe) ist auf die einstigen Mönchskutten zurückzuführen, die in der Farbe dem Schaf-Fell ähnelten. Die Wolle eignet sich gut zum Filzen und Spinnen.
Einsatz gegen die Verbuschung
Seine zutrauliche und liebliche Art macht das Engadinerschaf einfach zum Halten. Zudem kann es mit seinem ziegenähnlichen Fressverhalten zur Entbuschung genutzt werden. Bei Yvonne konnte so eine ganze Brombeerfläche dank den Schafen entbuscht werden.
Kein Getreide für die Schafe
Das exzellente Fleisch kommt nicht von irgendwo. So sorgt Yvonne dafür, dass ihre Schafe immer gutes Futter bekommen. «Getreide soll den Menschen überlassen sein. Unsere Schafe fressen das, was wir nicht verwerten können – Gras und Heu.» Anspruchslos sei das Engadinerschaf in diesem Sinne nicht. Das Grundfutter sollte stets von hoher Qualität sein.
In ihrem behaglich eingerichteten Hofschrank wird das Fleisch auch direkt vermarktet. Daneben stehen Eier, Gemüse, Konfitüren, Sirup, oder Schnäpse im Angebot.
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Die Rasse wurde zunehmend verdrängt
Das Engadinerschaf hat heute einen stabilen Bestand. Das war nicht immer so. Im Zuge der Rassenbereinigung ab den 30er Jahren wurde es immer mehr vom Weissen Alpenschaf verdrängt. Dank der Stiftung Pro Specie Rara und dem Schweizerischen Engadinerschaf-Zuchtverein (SEZ) konnte sich die Rasse wieder erholen. Momentan sind rund 3000 Tiere im Herdebuch der Schweiz eingetragen.
Fleisch vom Schaf
Das Fleisch ist sehr fettarm und schmackhaft. Dadurch wird das verschmähte «Schäfelen» des Fleischs nicht so ausgeprägt. Das Engadinerschaf wächst vergleichsweise langsam und kann deshalb bei einem Gewicht geschlachtet werden, bei dem andere Rassen schon verfetten würden.
Yvonne Hossli verweist hier auf das Buch «Schafgeschichte & Lammgerichte» von Christian Gazzarin, Züchter von Engadinerschafen und Wissenschaftler an der Forschungsanstalt Agroscope. Im Buch finden sich Informationen über verschiedene Schafrassen und eine breite Rezeptsammlung für Schaf- und Lammgerichte.
Gezielte Bockvermittlung gegen Inzucht
Die ersten Engadinerschafe kamen 1991 zu Yvonne und Benedikt. Damals wurden zwei Auen und ein Widder von Pro Specie Rara zur Verfügung gestellt. 1992 fand die Gründung des Zuchtvereins SEZ statt, an der Yvonne auch anwesend war. 2004 übernahm sie die Zuchtbuchführung. Ihre Aufgabe ist unter anderem die Erfassung von Daten über die Engadinerschafe in der Schweiz. Bestandsgrössen müssen aufgrund der Geburten, Abgänge und Verkäufe stets im Herdebuch angeglichen werden. Zudem vermittelt sie Experten für Kontrollen oder Beratungen. Auch ist sie zuständig für die Vorbereitung von Ausstellungen und Ranglisten. Als Stelle für Bockvermittlungen macht sie Inzuchtberechnungen, um einwandfreie Zucht zu gewähren.
Fehler in der neuen TVD sind zu bereinigen
Heute sei die Zuchtbuchführung etwas komplizierter, meint Yvonne. Seit Januar 2020 müssen Schafe und Ziegen nämlich zusätzlich in die Tierverkehrsdatenbank des Bundes aufgenommen werden. Dies, um die Tierseuchenbekämpfung und die Sicherheit von Lebensmitteln tierischer Herkunft besser zu kontrollieren. So gilt für alle Schafe und Ziegen eine eindeutige Identifikation und Meldepflicht. Yvonne hat nun mehr eine Kontrollfunktion als Zuchtbuchführerin. Mit der Übertragung der Daten in das Online-Portal seien Fehler entstanden. Die gelte es nun alle zu bereinigen.
Engadinerschafe gegen die Grünerle
Dort, wo Alpweiden verlassen werden, nimmt eine Pflanze des Gebüschwaldes rasant überhand: die Grünerle. Ihre Ausbreitung bewirkt einen Rückgang der Biodiversität und verhindert das Wachstum von wichtigen stabilen Waldbäumen, die vor Lawinen schützen.
Die Grünerle bildet an ihren Wurzeln eine Symbiose mit Bakterien der Gattung Frankia, die atmosphären Stickstoff fixieren können. Deshalb ist unter dem Grünerlengebüsch oft eine fette grüne Wiese zu finden, und keine magere, artenreiche Wiese.Das Bekämpfen der Grünerlen erfordert viel Aufwand. Zudem führen Schnitte zum Erstarken der Grünerlen.
Engadinerschafe können da auf natürliche Art und Weise effizient dagegen ankämpfen. Ab Frühjahr fressen sie nämlich die Erlenrinde. Die Grünerlen treiben so nicht mehr aus und sterben ab, zumindest im Folgejahr. Im Herbst werden auch die Blätter gefressen, was zu einer zusätzlichen Schwächung der invasiven Pflanze führt. Die Betreuung der Schafe erfordert dabei nicht so viel Aufwand wie bei Ziegen, die gerne das verbuschte Gelände verlassen.
Mehr zum Einsatz von Schafen gegen die Grünerle im Alpenraum lesen Sie hier.
Sommerserie: Bedrohte Tierarten
In unserer Sommerserie widmen wir uns bedrohten Tierrassen. Denn für zukünftige Generationen wird es wichtig sein, im Falle von Krankheiten und Klimaveränderungen auf einen möglichst breiten Genpool zurückgreifen zu können. Zudem transportieren alte Rassen immer auch ein Stück Tradition, Geschichte und Kultur.