Vertikale Gärten sind in den Städten vielfach vorzufinden. Sie sind schön anzuschauen und bieten Nützlingen Nahrung und Lebensraum. Aber auch für den landwirtschaftlichen Hof bringen sie Vorteile, so etwa kann das Vieh vom kühlenden Effekt profitieren.

Silvia Meister berät Bauernfamilien und Hausbesitzer(innen) bei der naturnahen Gartengestaltung. Ihr nächster Kurs am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg in Gränichen AG ist der Begrünung von Fassaden gewidmet (s. Kasten unten). Niklaus Trottmann vom LZ Liebegg organisiert den Kurs und hat sie vorab zum Thema interviewt.

Silvia Meister, welche Möglichkeiten haben Bauernfamilien, die ihre Gebäude begrünen möchten?

Silvia Meister: Erlaubt ist was gefällt und zum Standort passt. Wer etwas ernten möchte entscheidet sich für Spalierobst, Beeren oder Wildfrüchte. Wünscht man sich ein Blütenmeer, eignen sich über zwei Dutzend Wild- und Zierpflanzen, wie die herrlich blühenden Clematisarten. Sie kommen rankend oder hängend sehr schön zur Geltung. Die Blütezeit lässt sich verlängern, wenn verschiedene Sorten derselben Art gepflanzt werden. Ich denke da besonders an die Kletterrosen. Wenn es schliesslich darum geht, einen Nutzbau in die Landschaft einzubetten, fällt die Wahl auf einheimische Arten, wie z. B. Efeu. Für eine schnelle, sommerliche Begrünung eignet sich der staudig wachsende Hopfen, welcher spielend 5m Höhe in einer Vegetationszeit erklimmt.

Welche Vorteile bringen begrünte Fassaden dem landwirtschaftlichen Betrieb?

Mit den Jahreszeiten verändern auch die vertikalen Gärten ihr Aussehen. Das bringt Abwechslung und Farbe auf den Hof. Die Blüten ernähren Wildbienen, Käfer und Schmetterlinge. Für verschiedenste Nachtfalter sind z. B. die verschiedenen kletternden Geissblattarten wichtige Nektarquellen – und so profitieren auch jagende Fledermäuse von diesem erhöhten Angebot an Fluginsekten. Das dichte Blattwerk bietet Vögeln vielfältige Versteck- und Nistmöglichkeiten. Sogar Blindschleichen nutzen die Vertikale und klettern äusserst geschickt über bodennahe Zweige hinauf zum wärmenden Sonnenlicht.

«Sie wirken ausgleichend auf die Temperatur – im Sommer wie im Winter.»

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Eine begrünte Fassade wirkt zudem ausgleichend auf die Temperatur – im Sommer verdunstet eine flächendeckende Wandbegrünung täglich rund zehn Liter Wasser pro Quadratmeter und das Laubwerk kann bis zu 80 % des Sonnenlichtes in sich aufnehmen, dies sorgt für eine erhöhte Luftfeuchtigkeit im Hof und eine kühlere Temperatur z. B. im Stall. In der kalten Jahreszeit wirkt ein dichter und wintergrüner Bewuchs isolierend. Die Temperatur an der Wandoberfläche kann dann mehrere Grad höher sein als diejenige am äusseren Blattwerk der Begrünung. Auch hält ein dichtes und grossflächiges Blattwerk Hagel, Schlagregen und UV-Strahlung von der Fassade ab, dadurch wird die Bausubstanz geschont und bleibt trocken.

Ist der kühlende Effekt bei Ställen auch mit einer Moosbepflanzung zu verbessern?

Eine Verbesserung des Stallklimas kann mit einer Dachbegrünung erreicht werden. Moose gehören zur Dachvegetation dazu. Sie können bis zum 20-fachen ihres Eigengewichtes an Wasser speichern und langsam an die Umwelt abgeben. Der kühlende Effekt ergibt sich aus der Verdunstung und der Umwandlung des Sonnenlichts durch die Vegetation. Dachbegrünungen lassen sich übrigens gut mit Photovoltaikanlagen kombinieren, auch auf bestehenden Dächern.

Zurück zur vertikalen Begrünung. Was ist bei der Bepflanzung besonders zu beachten?

Im Vordergrund stehen die zwei Grundbedürfnisse der Pflanzen – Licht und Wasser. Für eine nach Nordosten ausgerichtete Fassade wähle ich eine andere Bepflanzung als für eine Hauswand, die nach Südwesten geht. Für die Wasserversorgung hat es sich bewährt, die Pflanzen in die vorhandene Erde zu setzen, dabei wird von der Wand ein genügend grosser Abstand einge-halten, so dass der Regen die Pflanzen mit seinem kostbaren Nass versorgt, die Triebe werden mithilfe eines Stabes zur Fassade hingeleitet. Zusätzlich hilft eine Mulchschicht, die Bodenfeuchtigkeit zu erhalten.

Können auch mehrere Arten miteinander kombiniert werden?

Kombinationen mehrerer Arten sind möglich und erhöhendie Attraktivität. Starkwüchsige Pflanzen brauchen jedoch ebenbürtige Partner, so ergänzen sich zum Beispiel Kletterhortensie und Efeu optimal. Sommerblühende Clematisarten können gut mit mehrmals blühenden Rosen kombiniert werden, da beide im März zurückgeschnitten werden. Einige Kletterpflanzen wachsen schnell hoch hinauf und bilden oben ein dichtes Blätterwerk, wie zum Beispiel die einheimische Niele – im unteren Bereich kahlen sie jedoch aus. Dies bietet Möglichkeiten für einjährige Kletterpflanzen, wie zum Beispiel die Hohen Kapuziner. Sie klettern ein bis zwei Meter hinauf und bringen mit ihren warmen Farben sommerliches Flair in die untere Etage. Auch die Kletterhilfe orientiert sich an den Eigenschaften der Pflanzen. Wir unterscheiden zwischen Schlingern, Rankern und Klimmern. Je nachdem sind Holzspaliere, Drähte oder feinmaschige Drahtgitter die richtige Wahl.

Besteht nicht die Gefahr, dass an der Gebäudehülle Schäden entstehen?

Entscheidend ist die richtige Wahl der Pflanzen. Es findet sich für jeden Fassadentyp das passende Kleid. Einige wenige Arten bilden Triebe, welche in beschädigte Mauern oder Fugen eindringen. Wer sich über die Eigenschaften der Arten informiert, diese gezielt auswählt und die Fassadenbegrünung über die Jahre pflegt, wird viel Freude haben und keine unangenehmen Überraschungen erleben.

Welchen Tipp geben Sie Bauernfamilien für einen sicheren Erfolg mit vertikalen Gärten?

Mit einjährigen blühenden Arten, wie zum Beispiel der Prunkwinde, Helmbohne oder Sternwinde beginnen. Bei der Auswahl helfen die Fachkräfte in spezialisierten Gärtnereien und Baumschulen. Das Pflanzgut ist sehr kostengünstig und die Kletterhilfen sind in kurzer Zeit selbst gezimmert. Mit dem frischen Grün wachsen auch die Freude und die Kreativität. Im nächsten Jahr spriessen dann die Ideen für weitere Begrünungsprojekte.

 

Infos und Anmeldung

Der Liebegger Kurs «Begrünte Fassaden – für Mensch, Tier und Natur» findet am Donnerstag, den 15. April, als Online-Veranstaltung statt. Er richtet sich an Bauernfamilien und Hausbesitzer(innen) im ländlichen Raum. Die Anmeldung kann noch bis zum 1. April vorgenommen werden.