«Den Wolf brauchen wir hier nicht», sagt der SVP-Grossrat Ernst Wandfluh klar und deutlich. Der Landwirt aus Kandergrund weiss nur zu gut, dass man das Raubtier nicht mehr ausrotten kann, erst recht nicht, da viele Leute aus der Stadt und aus dem linken Lager kein Problem hinter der Wolfspräsenz sehen. Als Präsident des Vereins Alpwirtschaft Bern scheint Wandfluh daher wichtig, den Kontakt zwischen der Land- und Stadtbevölkerung nicht zu verlieren. Erst recht nicht, da das Schweizer Stimmvolk das revidierte Jagdgesetz vor zwei Jahren bachab geschickt hat.
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Im Stich gelassen
Die Landwirtinnen und Landwirte fühlen sich beim Thema Wolf im Stich gelassen: «Nur vor Ort kann man die Ängste und Befürchtungen am besten verstehen», sagt sich Ernst Wandfluh. Deshalb lud er kurzerhand Aline Trede, die Grüne-Nationalrätin aus Bern zu sich ins Ueschinental auf die Alp Tälli ein. Beim Wandern möchte er Trede aufzeigen, wie schwierig es ist, die Alpen wolfssicher zu schützen. Die Grüne-Nationalrätin nahm das Angebot ohne Zögern an, denn: «Nur im Austausch findet man heraus, wo die Probleme sind und welche Anliegen man hat», ist Trede überzeugt.
Schon bei der Begrüssung am Bahnhof in Kandersteg umarmten sich die beiden Politiker innig. Keine Spur, dass man beim Thema Wolf anderer Meinung ist. Ernst Wandfluh in Latzhosen, Aline Trede ausgerüstet mit Rucksack und Wanderschuhen – es kann losgehen. Wandfluh steuert seinen alten Land Rover Defender Richtung Ueschinental, Trede sitzt vorne und die ganze Belegschaft nimmt hinten auf zwei Sitzbänken Platz; es kommt einem vor, als gehe man direkt an den Kälbermarkt nach Frutigen. Zuhinterst im Ueschinental geht die Reise zu Fuss weiter auf die Alp Tälli auf 2000 m ü. M.
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Doch bestens verstanden
Ob der steile Aufstieg Schuld daran ist oder man genug mit dem eigenen Atmen zu tun hatte, auf jeden Fall haben sich die linke Politikerin und der rechte Politiker bei der Wanderung bestens verstanden. «Schau, Aline, in diesem Gebiet grasen 600 Schafe in vier Herden. Du siehst doch selber, dass eine solche Alp mit den vielen Hindernissen nicht schützbar ist», sagt Wandfluh. Auch Herdenschutzhunde seien durch die vielen Wanderer schwer einsetzbar. «Wenn man die Alp richtig behirtet und die Schafe jeden Abend in einen Pferch eintreiben müsste, würde das mehrere zehntausend Franken kosten – viel zu viel, trotz den Alpungs- und Sömmerungsbeiträgen», rechnet der Grossrat vor.
Trotzdem sind die Schafe aber nicht sich selbst überlassen: Viermal in der Woche steigt Wandfluhs Schwager Hans Ryter zusammen mit seiner Frau Brigitte auf die Alp hinauf und schaut mit Florian Wyss zu den 600 Schafen. «Zum Glück ist der Wolf noch nicht aufgetaucht, wenn er aber kommt, müssten wir die Alp mit den Schafen sofort verlassen», ist Ryter überzeugt. Der Bergler weiss, dass das Raubtier hier oben einen grossen Schaden anrichten könnte. Er, der die Tiere betreut, er, der die Tiere liebt, könnte es nicht mitansehen, wenn er eines Morgens überall tote oder halb tote Schafe finden würde.
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Gezielte Abschüsse
Um auf der Alp noch einen besseren Überblick über die Schafe zu erhalten, wurden einige von ihnen mit einem Sender ausgerüstet. Über das Handy, vorausgesetzt, man hat Empfang, kann man so den Standort der Tiere abrufen und schauen, ob die Herde in letzter Zeit unruhig war oder viel gelaufen ist. Obwohl Aline Trede für den Wolf ist, ist auch für die Politikerin klar, dass man den Wolfsbestand in Zukunft durch gezielte Abschüsse regulieren muss. «Ich habe mich damals stark für ein Nein beim Jagdgesetz gemacht, aber nur, weil dies nicht nur den Wolf, sondern auch andere Tierarten betroffen hätte», gibt sie zu.
Hinter der neuen Vorlage zur Änderung des Jagdgesetzes, welche zurzeit im Ständerat behandelt wird, könne sie aber stehen. Der Umgang mit den Wolf scheint also weiterhin zu polarisieren. Daher ist ein Dialog zwischen Stadt und Land die beste Voraussetzung, um die bestmögliche Lösung zu finden. Aline Trede und Ernst Wandfluh haben es vorgemacht: Sei es mit der Autofahrt im Land Rover, bei der Wanderung, beim gemeinsamen Mittagessen der Älplermagronen oder beim gemeinsamen Suchen der Schafe – vor Ort kann man immer noch am besten aufzeigen, wie die Natur funktioniert.
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