Rodensia ist eine zehnjährige reine Simmentalerkuh und steht während der Wintermonate im Laufstall von Roland Keller in Ringoldswil BE. Sie ist im ersten Moment keine besonders auffällige Kuh, doch sie hat einen starken, gleichwohl sehr umgänglichen Charakter. Ausserdem ist sie eine sehr aufmerksame und zielstrebige Kuh. Egal, ob beim Alpabzug oder beim Treiben auf und von der Weide – Rodensia läuft fast immer an der Spitze vorne mit. Auch im Stall weiss sie, was sie (nicht) will: «Meist steht sie als eine der ersten im Melkstand. Doch wenn sie das Futter an der Fressachse nicht so toll findet, dann lässt sie sich Zeit und gehört zu den letzten Kühen im Melkstand, sie ‹muderet hingernachi›», wie es Älpler Severin in seinem Berner Oberländer Dialekt ausdrückt.
Seit Jahren geht Rodensia während der Alpzeit im Berner Justistal z Bärg. Dort wird sie seit sieben Sommern von Severin und einem zweiten Älpler umsorgt. Sie kennt die Alp und das Leben dort und besonders Älpler Severin. Auf ihn und seine Stimme sei sie besonders fixiert, das bestätigte Severin auch schon sein Älplerkollege. Da Rodensia ihren Platz im Stall ganz an der Wand hat, wird sie als Letzte gemolken. «Mit dem Lösen der Schwänze muss man aber warten, bis Rodensia gemolken ist», erzählt Severin. Denn wenn Rodensia bemerkt, dass Severin die Schwänze löst und es daher gleich auf die Weide geht, will Rodensia nur noch hinaus. «Wenn genau dann das Melkaggregat bei Rodensia angehängt ist, hat man verloren», sagt Severin lachend. Dann liege das Aggregat im Nu am Boden, und der Standeimer sei umgekippt.
«Eines Abends, während des Melkens, wollten sich Wanderer mitten auf der Weide mit Picknick-Decke und Co. breitmachen», erzählt Severin. Er sei vor die Stalltür getreten, um die Wanderer wegzuschicken. Severins Rufen fand jedoch nicht nur Gehör bei den Wanderern, sondern auch bei Rodensia, die gerade gemolken werden sollte. Severins Kollege, der sie gerade melken wollte, wurde von Rodensia unsanft aus dem Weg gestossen. «Aber keine Angst, er erlitt keinen Schaden. Es war nur sehr mühsam, Rodensia noch fertig zu melken», sagt Severin verschmitzt.
Wenn Severin im Winter bei Bauer Roland Keller im Stall vorbeischaut und Rodensia im Fressgitter steht, hebe sie sofort den Kopf, sobald sie ihn bemerke, erzählt Severin. Auch Roland Keller bestätigt, dass sie eine aufmerksame Kuh ist, und «sie jeweils weiss, worum es geht.»
«Man merkt es den Kühen an, wie sie auf den Betrieben behandelt werden», sagt Älpler Severin. «Wenn mit den Tieren von klein auf geredet wird, besonders wenn sie oft beim Namen genannt werden, dann merken sie, wenn mit ihnen gesprochen wird.»