Junge Schweine tollen im tiefen Stroh herum, Kühe weiden zufrieden auf saftigen Weiden und Hühner scharren glücklich in der lockeren Erde – so stellen sich die meisten Konsumentinnen und Konsumenten die Erzeugung ihrer wöchentlichen Fleischration vor. Tierwohl ist als Forderung seit einigen Jahren allgegenwärtig. Die Tiere sollen es zumindest bis zu ihrer Schlachtung guthaben, so die Idee. Doch dann beim Einkaufen kommt es plötzlich zu einem Sinneswandel: Dieselbe Person, die eben noch mehr Tierwohl gefordert hat, greift zum konventionell produzierten Schweizer Fleisch oder gar zu Importprodukten. Zu bestechend sind die Preisreduktionen, zu augenfällig die Platzierung dieser Produkte. Resultat: Das Fleisch, das auf dem Kassenband landet, entspricht nicht den gesellschaftlichen Forderungen. Ein Dilemma.
Absatz tiergerecht erzeugter Produkte teilweise rückläufig
Die Marktzahlen für tiergerecht erzeugte Produkte stagnieren und sind – nach zwanzig Jahren vielversprechender Entwicklung – seit zwei oder drei Jahren in einigen Bereich sogar rückläufig. Obwohl sämtliche Umfragen in Sachen Tierwohl immer wieder neu zeigen: die Gesellschaft möchte, dass die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte Fleisch, Eier und Milch möglichst tiergerecht erzeugen.
Diesem und ähnlichen Phänomenen rund um das «Tierwohl am Markt» hätte sich diese Woche die 21. Nutztiertagung des Schweizer Tierschutzes (STS) gewidmet. Die aktuelle Pandemie-Situation hat die Durchführung des Anlasses leider kurzfristig verhindert. Doch die Thematik bleibt: Auf der einen Seite fordert die Gesellschaft immer mehr Tierwohl, auf der anderen Seite bleiben die tiergerecht erzeugten Produkte beim Grossverteiler oder Discounter im Kühlregal liegen, die Labelproduzenten gehen oft leer aus.
STS fordert Absatzoffensive
Gegen den Widerspruch der gesellschaftlichen Wünsche beim Tierwohl und dem Konsum muss man etwas tun, hat sich der STS gesagt und möchte mit einer «Absatzoffensive Labelfleisch» mehr Konsumentinnen und Konsumenten dazu zu bringen, tiergerecht produziertes Fleisch zu kaufen. Bei der Stagnation der Nachfrage spielen offenbar auch die Preise, respektive die hohen Margen eine zentrale Rolle – beispielsweise beim Rind- und Schweinefleisch, aber auch beim Poulet. Dazu kommt ein intensiver Preiskampf bei konventionell erzeugten Produkten. «Wenn dort mit künstlich tiefen Preisen ein Dumping stattfindet und daneben die Labelprodukte unverhältnismässig viel teurer sind, machen die Konsumentinnen und Konsumenten nicht mehr mit», sagt Stefan Flückiger, Geschäftsführer Agrarpolitik beim STS. Er ist überzeugt, dass wir uns aktuell an einem kritischen Punkt in der Labelbewegung befinden.
Man könnte viel mehr Label- und Bio-Fleisch verkaufen – mit höheren konventionellen Preisen und tieferen Margen
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Diskrepanz teilweise hausgemacht
Der Bund hat in den letzten Jahren wichtige Tierwohlprogramme lanciert: Besonders tierfreundliche Stallhaltung (BTS) sowie Regelmässiger Auslauf (RAUS). Diese Programme sind mittlerweile weit verbreitet und - mit Ausnahme von RAUS beim Geflügel – etabliert. Doch stagniert jetzt die Nachfrage nach Produkten, die gemäss diesen Programmen produziert worden sind. «Diese Diskrepanz ist nicht nur systembedingt, sondern auch hausgemacht», sagt Stefan Flückiger. «Die Branche muss nun entscheiden, ob sie die tierfreundlichen Sortimente will, wie sie es in der Werbung überall zeigt, oder ob sie die Labelbewegung fallen lassen und nur als Nischenpflänzchen führen will». Doch, wen die Impulse der Ethikdiskussion in der Gesellschaft nicht aufgenommen würden, dann drohe ein grösseres Imageproblem für die gesamte Landwirtschaft, ist Flückiger überzeugt.
Verkaufspreis entscheidet mit
Die neuste Studie von Agroscope habe gezeigt, dass der Verkaufspreis im Labelmarkt eine entscheidende Rolle spiele, betont Flückiger. «Nur wenn das ganze Preisgefüge optimiert wird und sich die Preislagen der konventionellen und Labelprodukte deutlich annähern, wird ein weiteres Wachstum bei den tierfreundlich erzeugten Produkten möglich sein», ist er überzeugt. Im November will der STS zudem eine weitere Agroscope-Studie veröffentlichen, die erstmals aufzeigt, wie die Mehrleistungen der Produzenten vom Markt entschädigt werden. «Unsere beiden Studien haben dargelegt, dass sich die Labelproduzentinnen und -produzenten nicht proportional am Markterfolg beteiligen können», sagt Stefan Flückiger und betont: «Eine erfolgreiche Labelzukunft wird es nur dann geben, wenn jetzt die entsprechenden Impulse aller Marktakteure und vom Staat kommen».
Die Rolle der Gastronomie beim Labelfleisch
In der Gastronomie kommt Labelfleisch sehr selten auf den Teller. Dies liegt laut Stefan Flückiger vom STS unter anderem an den normierten Beschaffungsprozessen beim Fleisch und an der einseitigen Nachfrage nach Edelstücken, die den Gastronominnen und Gastronomen oft wenig Spielraum lassen. Dazu kommt ein grosser Preisdruck innerhalb der Gastronomie, der durch die aktuelle Pandemie-Situation noch weiter zugenommen hat. «In diesem Bereich gibt es noch grosse Potenziale für Labelfleisch. Doch muss sich auch dort der anspruchsvolle Gast durchsetzen wollen und hartnäckig tierfreundlich erzeugte Angebot einfordern», sagt Stefan Flückiger.
Faire Prämien per Petition gefordert
Davon, dass es neue Impulse an den Markt braucht, ist auch Urs Haslebacher überzeugt. Der Vize-Zentralpräsident von Suisseporcs und selber Schweinefleischproduzent nach Label-Massstäben in Lohnstorf hat – als Privatperson – gemeinsam mit gut 550 anderen Label-Schweinefleisch-Produzentinnen und -Produzenten Anfang Oktober 2020 eine Petition bei Coop, Migros und IP-Suisse eingereicht. In diesem Schreiben fordern Urs Haslebacher und die Unterzeichnenden von den Grossverteilern faire Prämien und mehr Transparenz im Label-Schweinemarkt. «Trotz gesellschaftlichen und politischen Forderungen nach mehr Tierwohl, konnten in den letzten Jahren immer weniger Schweine mit einem Mehrwert verkauft werden», heisst es in der Petition. Von den Grossverteilern und IP-Suisse fordern die Label-Schweinefleischproduzenten eine transparentere und verbindliche Mengen- und Absatzplanung sowie eine kostendeckende, fixe Labelprämie in der Höhe von 50 Rappen pro Kilogramm Fleisch ab 1. Januar 2021. In den letzten drei Jahren betrug die variable IP-Suisse-Prämie im Durchschnitt 29 Rappen pro Kilo.
Urs Haslebacher kann sich aber nach wie vor auch eine variable Prämie vorstellen, diese sollte aber zumindest kostendeckend sein. Doch dafür muss der Absatz an Labelfleisch wieder angekurbelt werden – wie dies in den Anfängen der Labelbewegung der Fall war.
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Spontane Anpassung geht nicht
Ab und zu werden geplante Mengen kurzerhand reduziert und Labelfleisch zu konventionellem Fleisch entwertet. Oder noch schlimmer: der Schlachtzeitpunkt wird verschoben, weil in der Vorwoche weniger Fleisch verkauft worden ist. Denn in diesem Fall sind die Schweine am verspäteten Schlachtzeitpunkt oft zu schwer, um als Labelfleisch auf den Markt zu kommen und werden entwertet. «Der Landwirt oder die Landwirtin hat nach hohen Tierwohlstandards mit erheblichem Mehraufwand produziert, erhält aber trotzdem keine Prämie und muss erst noch Abzüge in Kauf nehmen, weil die Schweine zu schwer sind», sagt Urs Haslebacher von Suisseporcs
Zudem können Schweinfleischproduzenten, die nach höheren Tierwohl-Standards produzieren nicht einfach wieder auf konventionelle Haltung umstellen, wenn die Grossverteiler die abgenommenen Mengen reduzieren. «Wir bauen unsere Ställe tierwohlgerecht um und diese lassen sich nicht einfach wieder zu konventionellen Ställen umfunktionieren», sagt Haslebacher. Weder das Weglassen oder Reduzieren von Einstreu würde funktionieren, noch könnte die geforderte Anzahl Schweine untergebracht werden. Dafür sind tiergerechte Ställe nicht konzipiert.
Konsumentinnen und Konsumenten in der Pflicht
Letztlich müsse jede und jeder auf derjenigen Stufe, auf der er sich befinde, Verantwortung wahrnehmen, sagt Urs Haslebacher. «Fordert die Gesellschaft mehr Tierwohl und die Landwirtinnen und Landwirte steigen darauf ein, dann müssen auch der Handel und die Grossverteiler ihre Verantwortung wahrnehmen und weitergeben», ist er überzeugt. «Und wenn die Konsumentinnen und Konsumenten das geforderte Produkte nicht kaufen, dann muss der Handel diese halt in die Pflicht nehmen und sagen: Hey, ihr wolltet mehr Tierwohl, die Bauernfamilien haben das umgesetzt, wir haben das gewünschte Produkt ins Regal gestellt – Warum kauft ihr es jetzt nicht?», so Haslebacher. Er könnte sich sogar ein Zusammengehen von Grossverteilern mit den Label-Schweinefleisch-Produzentinnen und -Produzenten vorstellen. «So könnten wir gemeinsam für mehr Bewusstsein bei den Konsumentinnen und Konsumenten sorgen und diese stärker in die Pflicht nehmen», sagt er. So wäre man rasch einen grossen Schritt weiter, ist er überzeugt.
Und einen solchen Schritt bräuchte es aktuell zwingend. Denn der Labelmarkt befindet sich in einer kritischen Phase. Dies habe aber auch etwas Wertvolles, ist Stefan Flückiger vom STS sicher. «Dann müssen nämlich alle wieder einmal klar sagen, was sie wirklich wollen und welche Ziele sie setzen», sagt er.
Reaktionen auf die Petition
Die Coop Genossenschaft betont in ihrer Antwort auf die Petition von Urs Haslebacher und den gut 550 Label-Schweinefleisch-Produzentinnen und -Produzenten, sie hätte ihren Partner ausreichend Vorlauf für eine anfällige Anpassung an den Abbau von Überkapazitäten gegeben und stets Wert auf Transparenz gelegt. Coop übergibt die Verantwortung für die Einhaltung der Richtlinien ihres Naturafarm-Porc-Programms per Anfang 2021 an IP-Suisse. Dies sei ein klares Bekenntnis zur Schweizer Labelproduktion von Schweinefleisch, betont Coop. IP-Suisse schreibt, dass sie die Produktion bewusst steuere, was sich als sinnvoll erwiesen habe, da so das Angebot besser auf die Nachfrage abgestimmt werden könne. Doch habe man keinerlei Einfluss bei unvorhergesehenen Ereignissen im Bereich von Produktion oder Markt. Den Vorschlag zu einer kostendeckenden Prämie will IP-Suisse bei Verhandlungen mit Partnern einbringen. IP-Suisse wolle ihre Aktivitäten im Bereich Schweine-Labelfleisch künftig weiter ausbauen und sich für eine Steigerung des Absatzes einsetzen. Der Migros-Genossenschafts-Bund will laut seinem Schreiben ebenfalls prüfen, ob die Mengen- und Absatzplanung zusammen mit der IP-Suisse künftig noch verbessert werden könnte. Die Migros habe in der Vergangenheit immer die vereinbarten Zielmengen abgenommen, teilweise sogar mehr als vereinbart. Die Forderung bezüglich einer kostendeckenden Prämie nimmt die Migros zur Kenntnis und will sie in Gesprächen mit der IP-Suisse einbringen.