Der Absatz für Labelfleisch stockt. Der Schweizer Tierschutz (STS) befürchtet deshalb einen Rückschritt in der Entwicklung für mehr Tierwohl. Zwei seiner Marktanalysen im Mai und Juni dieses Jahres kamen zum Schluss, dass einerseits bei den konventionellen Produkten ein «ruinöser Preiskampf» herrsche. Ausserdem seien Labelprodukte wegen überhöhten Margen der Detailhändler dermassen teuer. Nun legt der STS eine neue Studie vor. Die beiden Agroscope-Forschenden Franziska Zimmert und Christian Gazzarin untersuchten folgenden Fragen:
- Wie sensibel reagieren Konsumenten und Konsumentinnen auf eine Preiserhöhung bei konventionellen und Label- sowie Bioprodukten?
- Kann der Absatz von Label- und Biofleisch durch eine Preiserhöhung von konventionellem Fleisch gesteigert werden?
Bio-Preis zählt am meisten
«Die Resultate der Studie zeigen, dass mit Preisveränderungen die Labelabsätze überproportional beeinflusst bzw. angekurbelt werden können», schreibt der STS im Bericht zur Studie. Die Forschenden kommen zum Schluss, dass Konsumenten beim Biofleisch, gefolgt vom Labelfleisch, am preissensibelsten sind. Die Agroscope-Studie kommt zu folgenden Ergebnissen:
Konventionell: Bei konventionellem Fleisch reagieren die Konsument(innen) kaum auf Preisänderungen.
Labelfleisch: Die Nachfrage nach Labelfleisch weist eine mittlere preissensitive Wirkung auf. Beim Schweinefleisch wären bei einer Preissenkung von 10 % bis zu 15 % mehr Absatz möglich.
Bio: Beim Biofleisch sind die Konsumenten sehr preissensitiv. Eine Preissenkung von 10 % ergäbe eine Absatzsteigerung von bis zu 32 %.
Das Fazit: Je höher das Qualitäts-/Tierwohlniveau, desto mehr reagieren Konsument(innen) auf Preisveränderungen.
Preisunterschiede reduzieren
Zur zweiten Frage, ob der Absatz von Label- oder Biofleisch bei einer Verteuerung beim konventionellen Fleisch profitieren könnte, kam die Studie zum Schluss, , dass die sogenannten Substitutionsmöglichkeiten sehr unterschiedlich seien.
Grossverteiler: Bei Label-Schweinefleisch gibt es beispielsweise ein Substitutionspotenzial von 0 bis 16 %. Will heissen, steigt der Preis des konventionellen Fleisches um 10 %, erhöht sich der Labelfleisch-Absatz um bis zu 16 %.
Discounter: Die Substitutionsmöglichkeiten schwanken, möglicherweise, weil das Sortiment sehr unterschiedlich ist. Am höchsten sind sie beim Label-Schweinefleisch. Steigt der Preis des konventionellen Fleisches um 10 %, könnte sich der Absatz des Labelfleisches um bis zu 34 % erhöhen.
Fazit der Studie hierzu: Würde konventionelles Fleisch teurer, könnte das Label- und Biofleisch beim Absatz profitieren, je nach Fleischkategorie allerdings unterschiedlich.
«Schluss mit Kampfpreisen»
Wo nun ansetzen? Für den STS ist klar: Mit dem «Kampfpreisen» beim konventionellen Fleisch müsste Schluss sein. Dadurch werde die Preisdifferenz zu den tierfreundlich erzeugten Labelprodukten künstlich erhöht. Der STS legt folgende Berechnungen aus der Studie vor:
Rindfleisch: Erhöht sich der Preis des konventionellen Rindfleischs bei den Grossverteilern um 10 bis 20 %, sinkt dessen Absatz zwar um bis zu 20 %, gleichzeitig könnte der Absatz des Label-Rindfleisches um bis zu 10 % steigen. Das Biofleisch kann dagegen in diesem Zusammenhang kaum profitieren. Laut dem STS könnte der Absatz von Labeltieren beim Rind zusätzlich um bis zu 8000 Tiere erhöht werden und der Labelanteil von 38 % auf 40,2 % aller geschlachteten Tiere steigen.
Schweinefleisch: Wird der Preis des konventionellen Fleischs um 10 bis 20 % angehoben, erhöht sich der Absatz des Labelfleischs um bis zu 32 %, beim Biofleisch um bis zu 25 %. Beides beim Grossverteiler. Wenn die Preise beim konventionellen Fleisch in den Discountern um 10 bis 20 % steigen würden, wäre beim Labelfleisch 34 bis 68 Prozent mehr Absatz möglich. Etwas weniger stark stiege der Absatz von Biofleisch an. Insgesamt könnten laut STS bis zu 280 000 Schweine zusätzlich in artgerechter Tierhaltung leben, d.h insgesamt 1,14 Mio Tiere (Basis Labelstatistik Schweizer Bauernverband). Der Labelanteil könnte von 35 % auf 46,4 % steigen.
Geflügel: Eine Preissteigerung von 10 bis 20 % beim konventionellen Poulet, würde beim Biopoulet den Absatz um bis zu 25 % steigen lassen. Der Bio- und Labelanteil könnten von tiefen 7,9 auf 8,8 % erhöht werden. Es könnten eine halbe Million Tiere profitieren (von heute 5,7 auf 6,4 Mio Tiere).
Bruttomargen reduzieren
Der STS sieht noch eine zweite Möglichkeit, um den Absatz von Label- und Biofleisch anzukurbeln. Die überhöhten Bruttomargen der Grossverteiler und Discounter müssten sinken. Heute würden diese Produkte um 30 bis 160 % teurer angeboten, heisst es im Bericht. Dass würde laut STS passieren, wenn die Preise für Labelfleisch im Laden um 10 bis 20 gesenkt würden:
Rind: Der Labelabsatz würde um rund 15 bis 30 % steigen. Bei Bio-Produkten stiege er um 20 bis 50 % bei den Grossverteilern und um 5 bis 10 % bei Discountern. So könnten bis zu 25 000 Labeltiere und bis zu 13 000 Biotiere zusätzlich abgesetzt werden. Das würde den Labelanteil um einen Drittel auf 48 % aller geschlachteten Tiere steigen lassen.
Schwein: Der Labelabsatz nimmt bei den Grossverteilern um 10 bis 30 % zu, bei Bio zwischen 25 und 60 %. Bei den Discountern wären die Auswirkungen eher gering. Der Absatz von Labelschweine könnte sich um bis über 210 000 und bei den Bioschweinen um knapp 30 000 Tiere erhöhen. Der Labelanteil würde von 35 auf 44,8 % steigen.
Geflügel: Der Labelabsatz steigt zwischen 15 und 30 %, bei Bio von 0 bis 12 %. Beim Mastgeflügel könnte der Bio- und Labelanteil (Freiland) zwar um 2 % auf 9,9 % steigen, insgesamt bliebe der Anteil aber bescheiden. Damit könnten aber rund 1,5 Mio Tiere zusätzlich von extensiven Mastbedingungen, Auslauf und Weide profitieren.
Preispolitik umkehren
Der Schweizer Tierschutz fordert die Marktakteure in seinem Bericht «zum dringenden Handeln» auf. Er schlägt ein verstärktes Engagement mit einer Annäherung der Verkaufspreise zwischen konventionellem und Labelfleisch sowie verstärkte andere Absatzförderungsmassnahmen wie Kommunikation und Aufklärungsarbeit vor. Die letzten Monate seit dem Start der STS-Kampagne «Absatzoffensive Labelfleisch» hätten deutlich gemacht, «dass bei den Detailhändlern wenig Bereitschaft für Transparenz bei der Preispolitik und Margenkalkulation besteht.» Hinsichtlich Transparenz bei den Margen würden immer wieder wettbewerbsrechtliche Bedenken geäussert. Der STS ist auf Anregungen und Ideen aus der Branche eingegangen und hat den Branchenansatz «maximale Preisrelationen» entwickelt (siehe Kasten). Alle Akteure sollen sich an maximalen Bandbreite halten. Diese richten sich am Preisaufschlag bei den Produzentenpreisen aus.
Branchenansatz «Maximale Preisrelationen»
Laut einer Umfrage von Demoscope im Auftrag des Schweizer Tierschutzes (STS) erwarte die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung, dass die «Detailhändler ihre grosse Verantwortung wahrnehmen und den Absatz von tierfreundlich erzeugten Label und Bioprodukten mit verbindlichen Massnahmen ankurbelt», teilt der STS mit.
Die Ergebnisse der am Mittwoch vorgestellten Agroscope-Studie hätten nun klar aufgezeigt, welche grossen Potenziale zur Steigerung der Nachfrage nach Label- und Biofleisch vorhanden wären, schreibt der STS. Preisverzerrungen seien zu beseitigen, damit die Nachfrage nach Labelprodukten zunehmen kann. Der STS fordert einerseits das Ende der Preispolitik zu Tiefstpreisen bei konventionellen Produkten sowie eine Reduktion der «überhohen Labelmargen» im Detailhandel.
Der STS hat den Branchenansatz «Maximale Preisrelationen» definiert. Dabei richten sich die maximalen Verkaufspreise für Label- und Bioprodukte proportional nach dem Preisaufschlag bei den Produzentenpreisen. Das heisst:
- Label: Mehrpreis beim Produzent Label in % ergibt den maximalen Mehrpreis Label im Laden in %.
- Bio: Mehrpreis beim Produzent Bio in % ergibt den maximalen Mehrpreis Bio im Laden in %.
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Grafik: Modellhafte Darstellung anhand eines Beispiels im Eiermarkt. (Quelle Berechnungen STS auf Basis Produzentenpreis 2019 (BLW)).
Ein Artikel mit Reaktonen des Detailhandels auf die neue Studie folgt.
Studie und Bericht sind zu finden auf www.tierschutz.com. Die Labelbewertung www.essenmitherz.ch des STS gibt Auskunft darüber, welches die empfohlenen Label und Standards hinsichtlich Tierwohl sind. DER STS empfiehlt Labels mit der Bewertung Top und OK.