Man kennt das Bild: Steht ein Laubbaum auf einer Weide, ist die Krone unten auf einer exakt geraden Linie vollständig kahlgefressen. Blätter scheinen den Tieren zu munden und Laub als Futterbestandteil könnte aus verschiedenen Gründen nicht nur für Ziegen und Schafe, sondern auch für Rinder interessant sein.
Den Wald in den Stall oder auf die Weide holen
Um von Laub zu profitieren gibt es verschiedene Möglichkeiten. Früher waren Waldweiden üblich, bei denen man das Vieh in den Forst trieb, wo es sich dann selbst sein Futter suchte. Blätter und junge Triebe wurden aber auch gezielt geerntet, unter dem Dach dicht gedrängt aufgehängt und so zugleich getrocknet und leicht fermentiert. Bei Futterknappheit wurden Nutztiere so über den Winter gebracht.
Modernere Ansätze gehören zu den Agroforstsystemen und umfassen beispielsweise Kopfbäume oder Futterhecken. Bei ersteren werden Bäume mit einem sogenannten Kopfschnitt erzogen, was eine tiefsitzende, buschige Krone ergibt, die schnell nachwächst und gute Erträge an Grünmaterial liefert. Futterhecken sind nicht mit Hecken zur Förderung der Biodiversität zu verwechseln, denn sie unterscheiden sich im Aufbau, der Pflanzenauswahl, dem Standort und der Bewirtschaftung.
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Gebüschgruppen für die Futternutzung
Eine offizielle Definition für Futterhecken gibt es laut Johanna Schoop von Agridea bisher nicht. Sie betreut das Projekt Agro4sterie, bei dem unter anderem das Potenzial von Futterhecken auf Schweizer Betrieben getestet werden soll. «Unter Futterhecken verstehen wir Gebüschgruppen (meist in Linien gepflanzt), die mit dem Ziel einer ergänzenden Futternutzung gepflanzt werden. Entweder werden die Sträucher oder Kopfbäume direkt stehend beweidet oder aber das Laub geerntet und verfüttert», führt Schoop aus. Bei Agro4esterie müssen die Strukturen gut zugänglich sein für die Tiere und regelmässig bewirtschaftet werden, um eine Verbuschung zu verhindern. Die ersten Futterhecken im Rahmen des Projekts werden diesen Winter gepflanzt. Laut Schoop war das Interesse seitens der Landwirte gross, sie habe viele Anfragen erhalten. Bereits im Einsatz sind Hecken zur Fütterung bei einzelnen Pferde- oder Hirschhaltern in der Schweiz.
Verschiedene Vorteile für die Rinderfütterung
Für Florian Leiber, Leiter des Departements Nutztierwissenschaften am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), gibt es vier zentrale Punkte, die für Laubheu oder frische Blätter in der Nutztierfütterung sprechen:
- Mineralstoffe
- Oft hoher Proteingehalt
- Sekundäre Pflanzenstoffe
- Tierwohl
Laub kann je nach Gehölzart Nutztiere bereits in kleinen Mengen mit Mineralstoffen wie Kalzium, Magnesium oder Zink versorgen. In den Niederlanden wurden Weiden und Erlen gezielt gepflanzt, um dem dort verbreiteten Mangel an Selen bei Milchkühen entgegenzuwirken.
Leiber betont die Rolle Sekundärer Pflanzenstoffe wie Tannine für die Tiergesundheit. «Diese Bitterstoffe wirken leicht hemmend auf die Pansenflora, weshalb sie häufig als schlecht angesehen werden», erklärt er. Dabei sollen die Mikroorganismen im Pansen besser nicht auf 100 Prozent arbeiten. «Das Fressen von Laub ist eine Langzeit-Selbstprävention, denn die Verdauung von Rindern kann sich nicht vollständig selbst regulieren. Es ist wie beim Käsen: Man muss die Fermentation steuern und wissen, wann man den Kessel vom Feuer nehmen muss», führt der Fachmann aus. Kurzzeitig seien Sekundäre Pflanzenstoffe zudem nützlich gegen Parasiten.
Dem Tierwohl zuträglich ist gemäss dem FiBL-Departementsleiter vor allem die Abwechslung, die Gehölzfutter in den Speiseplan von Rindern bringen kann. «Es ist ein etwas anderer Geschmack und macht die Fütterung natürlicher», meint er.
Auch Hochleistungs-Kühe können profitieren
Aus Sicht von Florian Leiber können auch Hochleistungsrassen von Laub profitieren, denn es brauche oft gar keine grossen Mengen davon, um die oben genannten Vorteile nutzen zu können. «Es ist wie ein Gewürz: Wenn Sie Oregano auf die Pizza streuen, geht es auch nicht um die Menge. Damit bringt man auch nicht gleich die ganze Ration durcheinander.» Zerbröselt im Futterwagen wäre kaum ein Effekt zu erwarten, aber zu Büscheln gebundene Äste im Stall aufgehängt wären seiner Meinung nach eine Bereicherung, auch für einen Hochleistungsstall. «Ich kann den Gewinn für die Tiergesundheit oder das Tierwohl nicht belegen, aber schädlich ist es sicher nicht», stellt Leiber klar.
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Biodiversität ist kein Argument
Marcel Liner, Agronom und Landwirtschaftsexperte bei Pro Natura sieht in der Idee von Futterhecken und Kopfbäumen zwar Vorteile im Sinne des Landschaftsschutzes oder des Mikroklimas auf Weiden, Biodiversität ist aus seiner Sicht aber kein Argument dafür. «Man muss mit dem Begriff Futterhecke aufpassen, denn diese Strukturen sind nicht mit den als Biodiversitätsförderflächen mit Beiträgen unterstützten Hecken vergleichbar», erklärt Liner. Vor allem die Artenzusammensetzung (weniger verschiedene Arten, keine Dornenbüsche) und die Bewirtschaftung (jährlich starkes Zurückschneiden, niedrigere Endhöhe) würden verhindern, dass sich Futterhecken zum Beispiel zu wertvollen Brut- oder Fressplätze für Vögel auswachsen. Als bereicherndes Landschaftselement könnten futterbaulich genutzte Hecken in flachen und heute monotonen Gebieten den Boden vor Winderosion schützen und das Landschaftsbild auflockern. Beispiele hierfür wären das Dreiseenland oder das Rheintal. Aus agronomischer Perspektive fände er Futterhecken einen interessanten Mehrwert in Labelprogrammen. Grundsätzlich sieht Marcel Liner Potenzial, ihm ist aber wichtig, dass es hier primär um eine sinnvolle Förderung des Tierwohls geht. Futterhecken können artenreiche Hecken zur gezielten Biodiversitätsförderung nicht ersetzen. Es sei deshalb wichtig, dass allfällige Anreizsysteme für Futterhecken keine Konkurrenz zur Anlage und Pflege herkömmlicher artenreicher Hecken schaffen.
Beitrag zur Selbstversorgung mit Futter ist fraglich
Da Gehölze mit trockenen Sommern besser zurecht kommen, werden sie teilweise als Ersatz für Gras bezeichnet, wenn dessen Wachstum wegen Hitze und Wassermangel zurückgeht. Gerade bei Rindvieh ist der Beitrag von Laubfutter zur betrieblichen Selbstversorgung allerdings kritisch zu sehen, zumal Rinder und Pferde wegen ihres Verdauungssystems maximal 10 Prozent ihres Futterbedarf über Blätter decken können (bei Schafen sind es 20, bei Ziegen sogar 60 Prozent). «Ich weiss von einigen Betrieben in Deutschland, die hektarweise schnellwachsende Gehölze anbauen, um junge Triebe zu ernten und zu verfüttern», schildert Florian Leiber vom FiBL, «Ich bezweifle aber, dass der Ertrag an jenen einer Weide herankommt.» Damit Laub ein substanzieller Teil der Futterversorgung wäre, bräuchte es seiner Meinung nach eine grundsätzlich andere Wirtschaftsweise. «Ich persönlich fände es toll, wenn es funktionieren würde und hätte ich selbst einen Betrieb, würde ich gerne mit Laubfutter experimentieren», meint er.
Diskussion um mögliche Direktzahlungen
Futterhecken oder Kopfbäume bedeuten einen Mehraufwand. «Obwohl sich damit aus verschiedenen Gründen eine Win-Win-Win-Situation aufbauen liesse, geht es wirtschaftlich wohl nicht ohne Direktzahlungen», ist sich Florian Leiber bewusst. Die Verantwortlichen des Projekts Agro4sterie sind laut Johanna Schoop von Agtridea diesbezüglich mit dem Bundesamt für Landwirtschaft in Kontakt. Im Rahmen der AP 22+ sollen Agroforstsysteme zwar gefördert werden, Produktionssystembeiträge für Futterhecken sind aber bisher nicht vorgesehen. «Eine Möglichkeit, die zur Diskussion steht, ist, dass die Hecken als Futterbauliche Elemente angemeldet werden können (um Schwierigkeiten mit BFF Auflagen zu verhindern). Definitiv ist aber zurzeit noch nichts», erklärt Schoop.
Weitere Informationen zum Futterwert von Gehölzen:
- Artikel «Gehölzfutter – eine Quelle für die ökologische Tierernährung» von Gerold Rahmann, Institut für ökologischen Landbau der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft
- Artikel in Bio Aktuell zur Wirkung von Laub und Kräutern im Rindviehfutter
Futterhecken anlegen
Zur Anlage und Bewirtschaftung gibt es in der Schweiz kaum Grundlagen, daher orientierte sich das Projekt Agro4sterie an einem internationalen Programm der INRAE.
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Grundsätzlich wird empfohlen, die Hecken als Doppelreihen hintereinander in Nord-Süd-Ausrichtung (verringerter Schattenwurf) auf einer Weide oder Wiese zu pflanzen. In den ersten zwei Jahren müssen die jungen Bäume oder Sträucher vor Wild- und Nutztieren geschützt werden, wobei sich Elektrozäune bewährt haben. Eine Kombination verschiedener Gehölzarten erleichtert die Vegetationskontrolle, eine bodendeckende Schicht vereinfacht die Pflege.
Je nach Pflanzenart ist die Bewirtschaftung unterschiedlich. Bei einem Versuch mit Weiden in den Niederlanden wurden die Bäume lediglich einmal jährlich zu Beginn der Wachstumsperiode auf den Stock gesetzt (sprich auf maximal 20 cm über dem Boden gekürzt).
Mehr Informationen zu Futterhecken:
Kopfbäume bieten auch Einstreu
Etwa vier Fünftel aller Laubbäume können als Kopfbäume gezogen werden. Der besondere Schnitt verlängert ihre Vegetationszeit, sodass bis zu drei Jahre nach dem Kopfschnitt auch gegen Ende des Sommers noch frisches Laub produziert werden kann. Die Blätter so gezogener Pflanzen werden als stickstoffreicher und bekömmlicher beschrieben, als von anderen Bäumen und Gehölzen.
Neben Laub liefern Kopfbäume auch grössere Mengen gerade gewachsene Äste, die als Rundholz, Holzschnitzel oder -späne Verwendung finden. Versuche mit getrockneten Holzhackschnitzel als Einstreu zeigten einen reduzierten Krankheitsdruck bei Rindern: Mastitis und Lahmheiten wurden seltener. Die Schnitzel sollen stabil und saugfähig sein (1 m3 fasse 350 Liter Urin) und können daher Strohstreu ersetzen. Gebraucht gibt es einen guten, humusähnlichen Kompost.
Eine besondere From mit Vorteilen
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Der Vorteil von Kopfbäumen gegenüber Gehölzen in anderen Wuchsformen ist, dass sie sich mehrere Male ernten lassen. Das macht das System belastbarer und stabiler. Zudem kann man auf diese Weise eine grössere Anzahl Bäume auf einer Fläche wachsen lassen, da sich durch die gestutzte Kronenform die Lichtkonkurrenz verringert. In einem Jahr sollen Erträge bis zu 90 Kilo (frische Astmasse) möglich sein.
In einigen Kantonen gibt es für in Reihen gepflanzte Kopfbäume Landschaftsqualitätsbeiträge. Wasserzehrende Baumarten können Drainagen ersetzen, um Kulturland zu entwässern.
Mehr Informationen zu Kopfbäumen: