«Aus toxikologischer Sicht sind PCB und Dioxine als relevanter einzustufen als Zusatzstoffe oder Pflanzenschutzmittel», heisst es in einem Bericht des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW). Dieser Satz ist nicht nur angesichts der hitzigen Debatte um die Pflanzenschutz-Initiativen interessant. Denn PCB und Dioxine sind Schadstoffe, die mittlerweile überall vorkommen – und es noch Jahrzehnte tun werden.
Noch lange da und schädlich
PCB sind toxische Industriechemikalien, die zwar hierzulande seit 1986 in sämtlichen Anwendungen verboten sind, aber noch immer aus Kondensatoren, Transformatoren, Farben, Lacken und Fugendichtungen in die Umwelt gelangen. Dioxine hingegen wurden nie technisch hergestellt, kamen aber als Spurenverunreinigungen in einigen Pflanzen- und Holzschutzmittel vor und können bei Verbrennungsprozessen entstehen. Beide Stoffgruppen sind schwer abbaubar und der Bund geht davon aus, dass erst per 2050 mit einem graduellen Rückgang der Bodenbelastung zu rechnen ist. Über Erdpartikel im Futter oder etwa eine alte Farbe an der Stallwand nehmen Tiere PCB auf, die sich dann in ihrem Fettgewebe anreichern. Besonders von der Problematik betroffen sind extensive Haltungssysteme wie Mutterkuh-Betriebe. Ein Webinar von Agridea befasste sich mit der Thematik und den Folgen für die landwirtschaftliche Produktion.
Wie gefährlich sind PCB und Dioxine?
PCB gelten als «gesundheitsgefährdende Umweltkontaminanten» und wurden als Industriechemikalien verschiedentlich eingesetzt. Dioxine können unbeabsichtigt bei Verbrennungsprozessen (z. B. bei der Kehrichtverbrennung) oder als Nebenprodukte chlorierter Chemikalien entstehen. PCB und Dioxine sind schwer abbaubar und bleiben daher Jahrzehnte nach der Freisetzung in der Umwelt.
Die Substanzen werden laut BLV zu 90 Prozent über die Nahrung aufgenommen. Zwar in viel zu geringen Mengen, als dass akute Vergiftungen resultieren könnten, aber doch deutlich mehr, als langfristig als unbedenklich gilt. Die Gefahr bestehe in möglichen chronischen Erkrankungen, da Dioxine und PCB mit Störungen der Fruchtbarkeit und des Immun- oder Nervensystems sowie des Hormonhaushalts in Verbindung gebracht werden.
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Milchkühe können sich entgiften
«The solution to pollution is dilution», meinte Markus Zennegg von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa – halb im Ernst und halb im Spass. Denn das Prinzip stimmt: Da Milchkühe grosse Mengen Fett über die Milch ausscheiden, können sie sich quasi entgiften. Gleichzeitig ist die Konzentration in der Milch durch die Verdünnung auf mehrere Liter klein. Anders sieht es bei Mutterkühen aus, die wenig Milch geben und zudem mit viel Weidegang gehalten werden. Diese Tiere nehmen mehr Erde über das Futter auf, das heisst auch mehr PCB und Dioxine. Über ihre Milch geben sie die Schadstoffe an ihre Kälber weiter, in deren Gewebe sie sich anreichern. wenn diese Tiere im Alter von 5 bis 6 Monaten geschlachtet werden, werden die Schadstoff-Konzentrationen nicht durch weitere Zunahme und die Umstellung auf Grünfutter in ihrem Körper verdünnt. Entsprechend ist das Fleisch junger Kälber am ehesten mit zu hohen Werten von PCB und Dioxinen belastet.
«In einer intensiveren Haltung sind PCB und Dioxine weniger ein Thema, da mehr Kraftfutter verfüttert wird», fuhr Zennegg fort. Dieses (insbesondere für Maissilage bzw. Maiswürfel) sei in der Regel weniger belastet als das Weidefutter von Mutterkühen, das auch über die Luft mit verfrachteten Partikeln kontaminiert wird.
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Bodenaufnahme minimieren
Um eine zu hohe Belastung im Fleisch zu reduzieren, könne man die Kälber von Mutterkühen entweder länger oder auf einem anderen Betrieb mit weniger belasteten Böden ausmästen, oder Tiere sömmern, erklärte Markus Zennegg. Wenn die Rinder an Masse zulegen, sinkt die Konzentration je Fleischeinheit. Insbesondere, wenn während der Mast dank einem Betriebswechsel keine weiteren Schadstoffe aufgenommen werden. Hinzukomme die Umstellung weg von der belasteten Muttermilch hin zu mehr Grünfutter. «Ein gewisser Erfolg kann auch erzielt werden, wenn die Milch früher abgesetzt und damit nicht bis zur Schlachtung gegeben wird», ergänzt der Fachmann.
Vor der diffusen Umweltkontamination mit PCB und Dioxinen, die überall besteht, schützt in erster Linie die gute landwirtschaftliche Praxis. Es gelte, die Aufnahme von Bodenpartikeln in der Viehhaltung dank passender Schnitthöhe, sauberer Futterkonservierung und angepasstem Weidemanagement möglichst tief zu halten. Lange Trockenphasen machen das schwieriger, da das Gras weniger rasch nachwächst und ausserdem Staub bei der Bodenbearbeitung auf angrenzende Parzellen verfrachtet werden kann.
Mögliche Quellen auf dem Hof
Laut dem BLV und der Empa (Artikel in «Die Mutterkuh») sollte man bei Kondensatoren, die von vor 1986 stammen, der PCB-Gehalt abgeklärt und wenn nötig fachgerecht entsorgt werden. Bei Kondensatoren, v. a. in Vorschaltgeräten von Leuchtgeräten, kann gemäss Markus Zennegg über die Bezeichnung herausgefunden werden, ob sie PCB-haltig sind. Ställe und andere landwirtschaftliche Einrichtungen wie Silos, die nach 1986 gebaut oder renoviert worden sind, könne man als frei von PCB-Punktquellen betrachten. Zwar seien das Alter und die Materialien Hinweise auf eine mögliche Schadstoff-Kontamination, «wer aber sicher sein möchte, kommt um eine chemische Analyse nicht herum», so das BLV. Dazu führt das Bundesamt für Umwelt Bafu eine Liste mit Fachfirmen und Laboratorien, die (neben der Empa) entsprechende Tests durchführen.
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Punktquellen können teuer werden
Anders sieht es bei punktuellen Quellen aus. Markus Zennegg schilderte den Fall eines Betriebs, der bei einer Stichproben-Untersuchung durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) 2012 deutlich zu hohe PCB- und Dioxin-Werte im Fleisch aufwies. Experten suchten daraufhin nach der Quelle für die Schadstoffe auf dem Betrieb und wurden im Stall fündig. Dort war eine Wand vor über 45 Jahren mit einer kontaminierten Farbe gestrichen worden, die einige Prozent PCB als Weichmacher enthielt, was damals für Spezialfarben durchaus üblich war. Der Anstrich bröckelte teilweise ab und gelangte ins Futter, wurde abgeleckt oder durch Berührung von den Rindern abgerieben.
Es folgte eine aufwändige Sanierung des Stalls durch Fachleute, die den Stall als Dekontaminationszone abriegelten, und in Schutzanzügen unter Unterdruck die Farbe wie auch die Zementfugen zwischen den Mauerziegeln so weit möglich entfernten. Das hat laut Zennegg rund 70‘000 Franken gekostet. Bis zum Abschluss der Arbeiten bekam der betroffene Betrieb eine Vermarktungssperre für Fleisch. «Werden die Ausfälle durch die Betriebssperrung, Kosten für die Umsiedelung der Tiere, die Behörden- und Expertenarbeit miteingerechnet, dürften es 240‘000 Franken gewesen sein», schätzt der Empa-Forscher. Gemäss dem «Folgebericht PCB-Rückstände in Rindfleisch» des BLV konnte die Herkunft der belasteten Farbe nicht mehr geklärt werden. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass ähnliche Anstriche andernorts ebenfalls Punktquellen für PCB darstellen.
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Keine finanziellen Hilfen zugesichert
Im geschilderten Fall habe die Nothilfe die 70‘000 Franken bezahlt, so Markus Zennegg. Betriebe, auf denen eine Sanierung nötig wird, können aber nicht von finanzieller Hilfe ausgehen. «Es gibt aktuell keine gesetzliche Grundlage für eine Unterstützung des Bundes. Teilweise können die Kantone Unterstützung anbieten, dies liegt in ihrer Verantwortung», heisst es auf Anfrage beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). Eine PCB-haltige Wand einfach neu zu überstreichen, reicht nicht aus, da die Schadstoffe eine neue Farbschicht durchdringen können.
«Generell sind die PCB- und Dioxinwerte im Boden tief», hielt Zennegg fest. Sie liegen laut dem Fachmann in der Regel unter den von der Verordnung über Belastung des Bodens vorgegeben Werten. «Aber: Tiefe Werte im Boden und ebensolche im Futter können bei zu hohem Anteil Bodenpartikel im Futter an die kritische Grenze für Lebensmittel führen.»
Quellensuche ab dem Auslösewert
Es gebe heute in der Schweiz eine pragmatische Lösung im Umgang mit hohen PCB- und Dioxinkonzentrationen, fuhr Markus Zennegg fort. Ab einem Auslösewert muss gemäss EU-Empfehlung nach der punktuellen Schadstoffquelle auf dem betroffenen Betrieb gesucht werden. Solange aber die Höchstkonzentration nicht überschritten wird, darf das Fleisch weiter vermarktet werden. «Welche Massnahmen getroffen werden, muss im Einzelfall durch die zuständige kantonale Vollzugsbehörde beurteilt werden», gibt das BLV Auskunft zum Vorgehen.
Das macht Sinn, da sich die Mengen von Tier zu Tier innerhalb einer Herde um den Faktor zwei unterscheiden können und einzelne Fleischproben daher nicht aussagekräftig für den ganzen Hof sind. Um besser zu verstehen, wie PCB und Dioxine in Lebensmittel gelangen und damit auch bessere Massnahmen dagegen zu finden, wird bei Agroscope und an der Empa geforscht (siehe Kasten). Agridea arbeitet ausserdem an einem Datenblatt für Landwirte. Laut dem BLW ist der Bund u. a. in dem Sinn aktiv, als dass speziell in der Landwirtschaft über die Schadstoffe informiert und die gute landwirtschaftliche Praxis in Bildung und Beratung gestärkt werde. Markus Zennegg hält in diesem Zusammenhang fest, dass es mehr Forschungsgelder für den Bereich PCB und Dioxine bräuchte.
Im schlimmsten Fall den Betrieb umstellen
Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) hat vor drei Jahren – basierend auf neuen Erkenntnissen zur Toxizität – die tolerierbare Höchstmenge an PCB und Dioxinen für Menschen um das Siebenfache auf wöchentlich 2 Pikogramm pro Kilo Körpergewicht verkleinert. Bei einzelnen Vertretern der PCB-Stoffgruppe werde die Toxitzität aber womöglich überschätzt, so die EFSA. Die Schweizer Bevölkerung nimmt über Lebensmittel laut einem Bericht des BLW rund 1,75 Pikogramm pro Kilo Körpergewicht auf – pro Tag. Das ist rund sechs Mal mehr, als was gemäss EFSA langfristig als unbedenklich gilt. Die Hauptquellen sind tierische Fette, insbesondere Fleisch aus extensiver Haltung.
Die kantonalen Lebensmittelkontrollbehörden überwachen die Einhaltung der Höchstkonzentrationen von PCB und Dioxinen in Lebensmitteln laut Aussage des BLV «in regelmässig durchgeführten Kampagnen». Die Analysen seien sehr teuer und würden daher eher sporadisch über Stichproben oder bei einem aktuellen Kontaminationsfall durchgeführt, meint Markus Zennegg dazu.
Zwar sei bei den geringen Mengen nicht mit Symptomen zu rechnen, als Hersteller von Lebensmitteln sind Landwirte aber zur Selbstkontrolle verpflichtet und müssen dafür sorgen, dass ihre Produkte sicher sind. «Wenn auf dem Hof mögliche Risiken festgestellt wurden, ist der Landwirt für die Kontrolle der Produkte verantwortlich, die er auf den Markt bringt», so das BLW auf Anfrage. Um eine Kontamination von Fleisch zu verhindern kann es laut Empa-Forscher Zennegg je nach Fall nötig werden, dass ein Betrieb die Produktion aufgibt und sich neu ausrichtet. Generell schützt die gute landwirtschaftliche Praxis über weniger verschmutztes Futter vor PCB- oder Dioxin-Höchstwerten im Fleisch.
Alle erwähnten Berichte finden Sie hier.
Forschung zur Früherkennung
Charlotte Driesen von der Empa und Sylvain Lerch von Agroscope entwickeln ein Simulationsmodell. Damit soll es in Zukunft möglich sein, frühzeitig die Konzentration von PCB oder Dioxinen in Tieren bzw. deren Fleisch anhand von Boden- oder Futtermittelkonzentrationen abzuschätzen. Das wäre eine schnelle und kostengünstige Methode zur Risikobewertung und für das Risikomanagement. Ausserdem soll das Modell auch auf andere persistente organische Schadstoffe sowie neben Rindern ebenfalls für Schweine oder Geflügel anwendbar sein.
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