Als ich auf den Hof kam, wurde ich mit offenen Armen empfangen. Man freute sich darüber, dass der Sohn jetzt eine Frau hatte und es mit dem Betrieb weitergehen sollte. Ich wurde bald schwanger.

Dann fingen die Konflikte mit den Schwiegereltern an. Wenn ich telefonierte, hatte ich keine Privatsphäre, in die Wohnung kam man einfach hinein, ich sollte keinen Besuch haben und möglichst rund um die Uhr arbeiten. Heute weiss ich, dass es solche Konflikte in vielen Bauernfamilien gibt und ich kein Einzelfall war.

Hofbäckerei aufgebaut

Wir bekamen drei Kinder. Der Jüngste – unser Sohn – hatte einen schweren angeborenen Herzfehler. Während ich mit ihm 13 Wochen im Spital war, kümmerte sich «Papa» (mein Ex-Mann) um die beiden Töchter und schaute, dass der Betrieb und die Hofbäckerei weiterliefen.

Diese hatte ich eigenhändig aufgebaut. Ich hatte erst so ein bisschen «als Blödsinn» in der eigenen Küche zu backen zu begonnen. Irgendwann hatte ich 13 Mitarbeitende. Trotzdem galt die Hofbäckerei lange nichts. Erst als wir fünf Hektaren Land kaufen, das Wohnhaus sanieren und einen Schopf bauen konnten, wurde der Familie klar, woher das Geld dafür stammte.

«Es eskalierte immer wieder.»

Andrea Joss

Da wurde es eine Weile etwas besser, aber es eskalierte trotzdem immer wieder. Ich hätte mir oft gewünscht, dass mein Ex-Mann mehr für mich Partei ergriffen hätte. Seit meiner Ausbildung als Mediatorin weiss ich aber, wie viel Mut es für einen Bauern braucht, sich gegen die eigenen Eltern zu stellen. Ich sage den Männern in der Mediation dann jeweils, sie sollen sich überlegen, mit wem sie alt werden wollen.

Burnout und Eheprobleme

Zurück zu meiner Geschichte: Unsere Ehe geriet immer mehr in Schieflage. Er hat draussen gearbeitet, ich in der Bäckerei, wir haben nicht mehr geredet, oder wenn, dann haben wir uns gestritten.[IMG 3]

Ich schlitterte in ein Burnout, wollte das aber nicht wahrhaben und arbeitete weiter – fünfzehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Mein Selbstwertgefühl war angekratzt, ich glaubte, nur etwas wert zu sein, wenn ich arbeitete.

Ich bekam Herzrasen, Atemnot und Schmerzen im Arm. Irgendwann sahen mich meine Eltern und waren schockiert. Sie sagten, ich sähe aus wie schwer herzkrank.

Vom Hof in eigene Wohnung

Da habe ich die Notbremse gezogen und bin ausgezogen – zwei Dörfer weiter habe ich eine kleine Wohnung gefunden. Nach kurzer Zeit entschieden sich die Kinder, bei mir leben zu wollen. Finanziell war es schwierig. Ich hatte nichts, das ganze Geld aus der Hofbäckerei war in den Betrieb geflossen. Ich versuchte, in einer Tagesklinik mein Burnout zu kurieren, nahm daneben jeden Job an, der etwas Geld gab und kümmerte mich um meine Kinder.

«Es folgten sieben Jahre Scheidungskrieg.»

Andrea Joss

Es folgten sieben Jahre Scheidungskrieg. Ich kratzte mein letztes Geld zusammen, um die Ausbildung als Sachbearbeiterin Treuhand zu absolvieren. Später brachte mich mein Anwalt auf die Idee, das Studium als Mediatorin SDM zu absolvieren. Er sagte, ich sei immer konfliktfähig gewesen, nicht streitsüchtig, habe dem Betrieb nicht schaden wollen.

Nach der Scheidung bekam ich nur wenig Geld, aber das ist nun mal in der Landwirtschaft so. Darum setze ich mich heute auch so sehr dafür ein, dass junge Bäuerinnen eine soziale Absicherung haben, dass ihnen ein Lohn ausbezahlt wird und so weiter.

«Krönchen richten»

Durch die schwierige Zeit getragen haben mich meine Kinder, meine Eltern, die mir auch finanziell geholfen hätten, wenn nötig, und meine Freunde. Ich bin sowieso ein positiver Mensch. Egal wie schwierig der Tag war, am nächsten Morgen stehe ich motiviert auf, richte mein Krönchen und gehe weiter. Etwas anderes bleibt dir doch gar nicht übrig.

Vor zwei Jahren wollten mein Partner und ich anfangen, unsere Freiheit etwas mehr zu geniessen. Wir kauften uns ein Wohnmobil, ich wollte einen Sommer auf die Alp und mich selbstständig machen. Dann kam alles anders. Der unerwartete Tod von «Papa» war ein Schock. Mein Ex-Mann hatte sich ein Bein am Pflug verletzt und ging nicht zum Arzt. Nach drei Tagen im Spital starb er an einer Blutvergiftung.

Zurück auf den Hof

Am Tag darauf musste ich zurück, obwohl das Verhältnis zu meinem Schwiegervater nach wie vor zerrüttet war. Meine Schwiegermutter war drei Monate zuvor gestorben. Für die Kinder war das ein schwerer Schlag, erst das Grosi, dann der Papa. Meine Schwiegermutter und ich hatten es geschafft, die Kinder nicht in unseren Schlamassel hineinzuziehen, sie hatten ein sehr gutes Verhältnis zu ihrem Grosi, das freut mich noch heute.

Nun standen da hungrige Kühe im Stall, um die ich mich plötzlich kümmern musste. Was ich nicht wusste, war, in welch schlechtem Zustand der Bauernhof war. Die Traktoren und Maschinen waren kaputt und vieles andere lag im Argen. Zusammen mit meinen Kindern – zwei davon haben Landwirt/in gelernt - und einem hilfsbereiten Bauern aus dem Dorf habe ich den Betrieb in den letzten zwei Jahren auf Vordermann gebracht.

«Es gab oft Tränen. Ich wusste nicht, ob ich den Hof würde halten können.»

Andrea Joss

Ich absolvierte den Direktzahlungskurs, lernte pflügen und eggen. Es gab oft Tränen. Ich wusste eine Weile nicht, ob ich den Betrieb finanziell halten könnte. Ich musste meine Eltern als 49-Jährige fragen, ob sie mir die Rechnungen bezahlen würden, falls es nötig würde. Wer immer selbstständig war, kann sich vorstellen, wie demütigend das ist.

Mit Schwiegervater versöhnt

Nun kommt es gut. Mit meinem Schwiegervater und der Familie meines Ex-Mannes habe ich mich versöhnt. Er ist jetzt Mitte 80 und hat bis vor Kurzem noch bei uns auf dem Hof gelebt. Wir hatten zwei sehr schöne Jahre. Ich hätte nicht gedacht, dass das noch möglich wäre und bin dankbar dafür.

«Ich habe gelernt, anders zu kommunizieren.»

Andrea Joss

Ich habe aber auch gelernt, anders zu kommunizieren, merkte, dass ihm kleine Dinge wichtig waren, zum Beispiel, dass ich ihm nach der Getreideernte den Zettel mit der Auswertung zeigte. Es ging ihm nicht um den Getreidepreis, er wollte einfach einbezogen werden.

Bunter Betrieb

Wir haben einen bunten Betrieb mit 20 Hektaren Ackerland, 15 Hektaren Grünland mit Weide, 25 Mastrinder und die Hofbäckerei. Mein Sohn ist in der Landwirtschaft angestellt, meine Tochter in der Hofbäckerei, ihr Freund hat einen eigenen Hof. Die Dritte studiert Jura. Daneben biete ich weiterhin Mediationen und Paarberatungen an und führe einige Buchhaltungen.

Ich habe die Landwirtschaft immer geliebt, ich bin nicht deshalb gegangen. Ich habe sie über die Jahre vermisst und die Nähe dazu durch die Tätigkeit bei Agro-Treuhand und als Mediatorin genossen.

Mediation oft erst zu spät

[IMG 2]Aus eigener Erfahrung würde ich sagen, 90 Prozent der Probleme entstehen bei der Hofübergabe. Oft kommt es erst zu einer Mediation, wenn es schon zu spät ist. Ich würde mir wünschen, dass das Angebot noch bekannter wird und auch Treuhänder(innen) öfters darauf aufmerksam machen würden.

Manchmal denken ältere Bauern erst, da kommt jetzt diese Frau und will einfach «schnurre». Wenn sie dann merken, dass ich einen eigenen Betrieb habe, dass auch ich Traktor fahre und pflüge, respektieren sie mich.

Mit 57 übergeben

Wenn ich 57 bin, möchte ich den Betrieb meinem Sohn übergeben. Und zwar einen Hof, der ihm Freude macht und eine Perspektive für die Zukunft bietet. Ich weiss, dass der Betrieb rentieren kann, das tut er heute schon. Meiner Tochter möchte ich gerne eine gut laufende Hofbäckerei übergeben und für die Dritte so da sein, wie sie es braucht. Bei meinen Kindern haben die Schicksalsschläge Spuren hinterlassen. Aber sie haben uns auch extrem zusammengeschweisst.

«Es waren harte Jahre, aber heute bin ich glücklich.»

Andrea Joss

Später, wenn wir pensioniert sind, wollen mein Schatz und ich viel reisen. Ich muss nicht immer zu Hause sein und schauen, was der Junior macht. Letztes Jahr waren wir im Sommer zwei Wochen in den Ferien, das hat wunderbar geklappt. Rückblickend kann ich sagen: Es waren harte Jahre, aber heute bin ich glücklich. 

Website: www.andreajoss.ch

Schicksalsgeschichten: Erzählen Sie uns von Ihrem Leben!
Hat sich in Ihrem Leben zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas Spezielles ereignet? Ein Glücksfall oder unerklärliches Pech? Für unsere neue Serie suchen wir Leute, die vom Glück ereilt worden sind oder einen Schicksalsschlag erlebt haben und diese Erlebnisse in der einen oder Im Rahmen unserer Schicksalsserie lassen wir Personen mit bäuerlichem Hintergrund über schwierige und emotionale Themen sprechen, die unsere Leserschaft und Personen ausserhalb der Landwirtschaft beschäftigen. Dabei diskutieren wir Themen wie Generationenkonflikte, Fehlgeburten oder Todesfälle in der Familie. Aber wir möchten auch erfreuliche Erlebnisse teilen, so wie aussergewöhnliche Liebesgeschichten, Überraschungen im Stall oder Glücksfälle. Wir haben dieses Gefäss eröffnet, weil wir es wichtig finden, auch tabuisierte Themen anzusprechen und den Dialog darüber zu erleichtern.

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