Steht der Grenzschutz zur Diskussion, reagieren landwirtschaftliche Interessensvertreter in der Regel schnell – und ablehnend. Nicht ohne Grund, denn laut dem Bund sind rund 40 Prozent des Produktionswerts der Schweizer Landwirtschaft abhängig vom Grenzschutz. Der solle effizienter gestaltet und vereinfacht werden, schreibt der Bundesrat in seinem Postulatsbericht zur künftigen Ausrichtung der Agrarpolitik. Am Grenzschutz dürfe man nicht rütteln, betonten in der Folge die Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrarsektor (Sals) und die Schweizer Milchproduzenten (SMP). Der Schweizer Bauernverband (SBV) bemerkte, der Bundesrat verkenne die positiven Seiten dieses Systems.
Grenzschutz sei ein Hemmschuh
Tatsächlich schirmen Zölle und Importkontingente die Inlandproduktion vom Preisdruck durch Importware ab: Sie wird an der Grenze verteuert oder darf nur in festgelegten Mengen eingeführt werden. Das sei aber auch ein Hemmschuh auf dem Weg zu einer wettbewerbsfähigeren und unternehmerischeren Landwirtschaft, findet der Bundesrat. Eine solche sei weniger abhängig vom Grenzschutz. Ausserdem würden höhere Inlandpreise den Einkaufstourismus fördern, was Wertschöpfung ins Ausland abfliessen lasse und der Lebensmittelbranche 2017 rund 3,4 Milliarden Franken Umsatzeinbussen beschert habe. Nicht zuletzt ist das Grenzschutz-System nach Meinung der Regierung «insgesamt äusserts komplex und mit grossem administrativem Aufwand verbunden».
Die Qualität betonen und Kosten senken, das wäre die Strategie des Bundesrats für mehr landwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Ein Abbau des Grenzschutzes würde für Landwirt(innen) bedeuten, dass ihre Produkte in direkter Konkurrenz mit billigerer Importware stehen. Man müsste sich davon abheben können.
Berner gegen Grenzschutz
Der Ruf nach mehr Wettbewerb und weniger Grenzschutz kam vor vier Jahren sogar von bäuerlicher Seite. Namentlich der Berner Bauern Verband forderte 2018 weniger Vorschriften und eine radikale Vereinfachung der Direktzahlungen, damit der Wettbewerb besser spielen könnte. Dies mit dem Ziel, mehr Innovationen und damit für die Bauernfamilien lukrativere Produkte hervorzubringen. Nach dem Systemwechsel dürfe auch der Grenzschutz diskutiert werden, meinte der damalige BEBV-Präsident Andreas Wyss. Kein anderer Kantonalverband unterstützte damals nach Angaben des SBV das Anliegen, hingegen gab es Applaus von der Denkfabrik Avenir Suisse. Die Idee, die Landwirtschaft wettbewerbsfähiger und damit vom Grenzschutz unabhängiger zu machen, taucht nun im Postulatsbericht des Bundesrats wieder auf.
Eine «biodiversitätsschädigende Subvention»
Zu den Argumenten gegen den Grenzschutz zählen auch ökologische. So sollen diese Instrumente als biodiversitätsschädigende Subventionen überprüft werden, hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) beschlossen. Denn es sei falsch, Schweizer Fleisch zu schützen und zugleich Futtermittel zu tiefen Zolltarifen einzuführen. Auch wirke sich der Grenzschutz auf Angebot und Nachfrage aus, ist im Postulatsbericht zu lesen: Über höhere Konsumentenpreise würden der Konsum von Fleisch, aber eben auch von Gemüse und Obst gesenkt. Aus Sicht von Gesundheit und Nachhaltigkeit sei Ersteres zu begrüssen, Letzteres aber nicht und die Wirkung insgesamt somit ambivalent. Wie stark der Grenzschutz die Angebotsseite beeinflusst, zeigt eine Studie von Pro Natura: Dass die tierische Produktion mit durchschnittlich höheren Zolltarifen geschützt ist als die pflanzliche habe dazu beigetragen, dass die Schweizer Landwirtschaft im Talgebiet heute so tierbetont sei. Ackerfrüchte hätten – im Gegensatz zu Fleisch und Milch – nicht gegen den Importdruck bestehen können. Ein ähnliches Bild zeigt sich heute bei Körnerleguminosen, die wegen tiefem Grenzschutz preislich nicht mit ausländischer Ware konkurrieren können.
Zu wenig Wettbewerb bei Produktionsmitteln
Eine Senkung des Grenzschutzes könnte für Landwirt(innen) aber auch positive Folgen haben. Eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) aus dem Jahr 2019 kommt zu dem Schluss, dass der Grenzschutz, zu dem die Autoren auch technische Handelsbarrieren zählen, Bauern vom Sparen abhält. Ausländische Akteure würden nämlich daran gehindert, auf dem Schweizer Markt für Dünge- und Pflanzenschutzmittel mitzumischen. Dieser werde von einem «Genossenschaftsverband» mit gewinnorientiertem Verhalten beherrscht, der die Preise für Produktionsmittel praktisch frei gestalten und seine Eigenprodukte bevorteilen könne. Zwar nennen die Autoren keinen Namen, es dürfte sich aber die Rede von der Fenaco sein. Zusammen mit Direktzahlungen senke der Grenzschutz den Wettbewerbs- und Kostendruck auf die Landwirtschaftsbetriebe, sodass sie höhere Preise für Inputs zu zahlen bereit seien.
Positive Bilanz zum Käsefreihandel
Der eingangs erwähnte Anteil von 40 Prozent des Grenzschutzes am landwirtschaftlichen Produktionswert kommt somit mitnichten vollumfänglich bei den Bauernfamilien an. Nach Schätzungen der OECD landen ¾ davon bei den vor- und nachgelagerten Stellen. Dies dank im Vergleich zum Ausland teureren Produktionsmitteln oder aber in Form von Margen.
Grenzschutz ist also ein zweischneidiges Schwert. Ein interessantes Beispiel dafür, wie es ohne gehen könnte, ist der Käse. Seit 2007 herrscht mit er EU ein Käsefreihandel, was auf ein bilaterales Agrarabkommen zurückgeht. Ziel war es laut dem BLW, die «strategische Erfolgsposition der schweizerischen Milchwirtschaft zu stärken». Die Bilanz des Bundesamts ist durchwegs positiv: Der Käsefreihandel habe wieder zu steigenden Exporten und einem grösseren Sortenangebot geführt, die Wettbewerbsfähigkeit der ganzen Branche sei gestärkt worden. So einfach ist es aber nicht, meint dazu der SBV (hier gehts zum Interview mit SBV-Direktor Martin Rufer).
Was gehört zum Grenzschutz?
Der Grenzschutz für Agrargüter bestehet aus Zollabgaben, Importquoten und Importanforderungen. Eingeführte Ware kommt so zu einem höheren Preis, in kontrollierten Mengen und nur unter bestimmten Bedingungen in die Schweiz. Dazu zählen z. B. auch technische Handelshemmnisse wie zusätzliche Zulassungs- oder Registrierungsvorschriften für Pflanzenschutzmittel. Der Freihandel ist bestrebt, solche Hürden abzubauen und damit die Exportwirtschaft zu stärken. Der SBV spricht sich nicht per se dagegen aus, zieht aber eine rote Linie. Denn die Importsteuerung sei unabdingbar, um den heutigen Inlandanteil am Lebensmittelkonsum zu halten. Nach Angaben des SBV importiert die Schweiz die Hälfte des Lebensmittelkonsums im Inland, 50 Prozent zollfrei und der Rest mit einem Durchschnittszoll von 6 Prozent. Bei Verhandlungen solle der Bundesrat den hohen Importanteil und die hohe Schweizer Kaufkraft als Verhandlungsmasse einsetzten, um das System von Zöllen du Kontingenten zu verteidigen.
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