Der Bundesrat hat in seinem Postulatsbericht zur zukünftigen Agrarpolitik festgehalten, der Grenzschutz solle in Zukunft effizienter gestaltet und vereinfacht werden. Die Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrarsektor (Sals) und die Schweizer Milchproduzenten (SMP) haben in ihren Reaktionen darauf hingewiesen, dass beim Grenzschutz keine Abstriche gemacht werden sollten. Der Bundesrat schenke den positiven Seiten des Grenzschutzes zu wenig Beachtung, hiess es von Seiten des Schweizer Bauernverbands.
Welche positiven Wirkungen des Grenzschutzes hat der Bundesrat zu wenig bedacht?
Martin Rufer: Der Grenzschutz ist die wichtigste Massnahme für kostendeckende Produzentenpreise. Hier besteht absolut kein Handlungsspielraum für einen Abbau, wenn wir die einheimische Produktion nicht gefährden wollen.
Was sagen Sie zu der Idee des Bundesrats, die Schweizer Landwirtschaft müsse wettbewerbsfähiger werden, um auch weniger abhängig vom Grenzschutz zu sein – wäre das realistisch?
Nein, das ist nicht realistisch. Schon gar nicht, wenn der Bundesrat die Schraube für die Schweizer Produktion stetig anzieht und immer neue Auflagen und Vorschriften macht. Wir entfernen uns so in Sachen Produktionskosten immer weiter vom Ausland. Wir wollen und können mit den Ländern mit einer industriellen Landwirtschaft preislich nicht mithalten. Daher braucht es auch künftig einen funktionierenden Grenzschutz.
Wie könnte die Schweizer Landwirtschaft aus Sicht des SBV wettbewerbsfähiger mit dem Ausland werden?
Wir müssen die Preise nicht senken. Die Kaufkraft in der Schweiz ist hoch, so dass angemessene Preise für Lebensmittel bezahlt werden können. Wichtig ist aber auch, dass der Landwirtschaft nicht immer zusätzliche Kosten und Vorschriften aufgeladen werden, welche die einheimische Produktion schwächen.
Laut einer Studie im Auftrag des BLW von 2019 hätte eine Senkung des Grenzschutzes auch zur Folge, dass Landwirt(innen) günstiger Produktionsmittel wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel einkaufen könnten. Dies, weil auch auf dieser Stufe dann mehr Wettbewerb herrschen würde – was halten Sie davon?
Eine Entlastung auf der Kostenseite ist sicher wichtig. Die negativen Auswirkungen eines Abbaus des Grenzschutzes sind aber viel grösser als die positiven Effekte. Die Kosten würden nur wenig sinken, weil Arbeitskräfte, Bauten oder Maschinen nicht billiger würden. Jeder Abbau des Grenzschutzes geht 1:1 dem Einkommen der Landwirtschaft ab, weil die Preise sofort noch stärker unter Druck kommen.
In dieser Studie ist die Rede von einem «Genossenschaftsverband» als unangefochtener dominanter Marktakteur in Sachen Dünger- und Pflanzenschutzmittel. Dabei dürfe es sich um die Fenaco handeln. Diese Struktur mache Landwirt(innen) abhängig von Beratung und verunmögliche es ihnen, preisorientiert einzukaufen. Wie sehen Sie die Rolle der Fenaco in dieser Sache? Müsste hier wettbewerbsrechtlich mehr eingegriffen werden, wie es die Studienautoren raten?
Wir haben im Markt ohne Zweifel eine sehr starke Konzentration im vor- wie nachgelagerten Bereich, was wettbewerbspolitisch durchaus problematisch sein kann. Wir sehen die Probleme primär im nachgelagerten Bereich: Vom Konsumentenfranken muss mehr zur Landwirtschaft kommen.
Das Beispiel Käse scheint der Prognose zu widersprechen, dass bei tieferem Grenzschutz die Schweizer Produktion nicht mehr preislich mithalten bzw. von Importware verdrängt würde. Dort herrscht Freihandel mit der EU, der laut dem BLW Qualität und Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Produktion verbessert habe. Warum könnte das nicht auch in anderen Produktbereichen gelingen?
Beim Käse wurde der Grenzschutz durch die Verkäsungszulage in der Höhe von aktuelle 15 Rp./kg Milch ersetzt. Der Grenzschutz wurde also nicht einfach abgeschafft, sondern ersetzt. Zudem ist die Situation beim Käse ist keinesfalls so eindeutig, wie es das BLW darstellt. Erstens ist der halboffene Markt einer der Gründe, warum der Milchpreis so lange so stark unter Druck stand und viele Milchproduzenten die Produktion aufgegeben haben. Erst jetzt, wo die Milch knapp wird, steigt der Preis wieder etwas.
Der Grenzschutz (durchschnittliche Zolltarife) auf tierischen Produkten ist höher als bei pflanzlichen. Nach Meinung von Pro Natura bevorteilt das die tierische Produktion und ist mit ein Grund dafür, dass die Tierhaltung hierzulande historisch einen so grossen Stellenwert bekommen hat. Machen die unterschiedlich hohen Zolltarife auf tierische und pflanzliche Produkte aus Sicht des SBV Sinn oder sollte man da etwas anpassen?
Es ist in der Tat ein Problem, dass auf gewissen pflanzlichen Produkten kein Grenzschutz besteht. Daher sind z.B. die Produzentenpreise für Eiweisspflanzen für die menschliche Ernährung nicht attraktiv. Der SBV hat bereits mehrfach dargelegt, dass diese Lücke im Grenzschutz geschlossen werden müsste.
Auch das Bundesamt für Umwelt (Bafu) hat den Grenzschutz im Visier und will ihn als biodiversitätsschädliche Subvention überprüfen. Es sei falsch, Schweizer Fleisch stark zu schützen bei gleichzeitig tiefen Zöllen für Futtermittel. Was ist die Meinung des SBV dazu?
Grenzschutz ist keine Subvention. Hier stimmt schon die Grundannahme nicht. Das BAFU müsste einen grossen Anreiz haben, den Grenzschutz und damit die einheimische Produktion zu erhalten. Denn bereits heute fällt 75% unseres Konsumbedingten Fussabdruckes im Ausland an. Mit jeder Tonne zusätzlicher Lebensmittelimporte verschlechtert sich unsere Bilanz.
Vor vier Jahren kam die Forderung nach mehr Wettbewerb bzw. weniger Grenzschutz sogar von bäuerlicher Seite, namentlich vom Berner Bauern Verband. Wettbewerb bringe Innovation und damit neue Produkte mit mehr Wertschöpfung für die Bauernfamilien, so die Argumentation damals. Vom SBV hiess es, keine andere Kantonalsektion oder landwirtschaftliche Organisation unterstütze den Vorschlag. Hat sich daran etwas geändert oder ist man noch immer geschlossen gegen eine Änderung des Grenzschutzes?
Es hat sich nichts geändert. Im Gegenteil: Mit der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg ist die Bedeutung einer starken inländischen Lebensmittelproduktion wieder stärker ins Bewusstsein gerückt. Damit wir diese erhalten können, braucht es einen gewissen Grenzschutz.
Ein grosser Teil des Grenzschutzes kommt nicht bei den Produzenten an, laut OECD landen 3/4 davon in den vor- und nachgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette. Sehen Sie eine Möglichkeit, das zu ändern? Wenn man das ändern könnte, wäre dann ein tieferer Grenzschutz möglich, ohne das landwirtschaftliche Einkommen in Mitleidenschaft zu ziehen?
Das liegt vor allem daran, dass wir in der Schweiz praktisch ein Duopol im Detailhandel und generell eine starke Konzentration bei Verarbeitung und Handel haben. Ein tieferer Grenzschutz, ohne dass die landwirtschaftlichen Einkommen leiden, ist in komplett leeres Versprechen.
Wie setzt sich der SBV in der künftigen Diskussion um die AP 22+ in Sachen Grenzschutz ein?
Der Grenzschutz ist für uns ein zentraler Pfeiler und damit eine heilige Kuh. Den geben wir nicht preis.