Haben Sie vor dem letzten Urnengang das Abstimmungsbüchlein konsultiert? Ich versuche es jeweils zu tun, denn einerseits finde ich es wichtig, meinen Teil zur Demokratie beizutragen. Andererseits möchte ich auch gut informiert sein, um die «richtige» Entscheidung zu treffen. Aber ich muss zugeben, nicht immer weiss ich so weit Bescheid über die Vorlagen, wie ich es gerne möchte. Und es ist mir auch schon zu Ohren gekommen, das Abstimmungsbüchlein sei nicht wirklich neutral. Darauf, wem man nun mehr glaubt, sollte es aber doch eigentlich nicht hinauslaufen.
Vereinfachungen sind eingängig, aber unzureichend
Es ist ein grundsätzliches Dilemma der Demokratie bzw. der institutionellen Politik: Wählen und Abstimmen ist freiwillig und die Meinungsbildung geschieht in den meisten Fällen über mehr oder weniger aufwändige Kampagnen. Es liegt in der Natur der Sache, dass einfache und emotionale Botschaften oder Bilder am besten wirken. Nur leider werden gerade die der komplexen Realität selten gerecht – man denke an die Agrar-Initiativen. Selbst wenn man sich direkt mit den jeweiligen Fachleuten oder Betroffenen austauschen möchte, um sich ein Bild von möglichen Konsequenzen zu machen, ist das nicht immer so einfach. Nicht zuletzt ist es eine Zeitfrage.
Es gibt nur Ja oder Nein
Dass das Volk die Macht haben sollte, ist meiner Meinung nach eine sehr gute Sache. Schliesslich sind die Menschen in einem Land oft Hauptbetroffene politischer Entscheide. Neben dem oben erwähnten hat die Schweizer Demokratie aber noch mehr Haken: Abgestimmt wird jeweils mit Ja oder Nein, was gerade bei vielschichtigen Vorlagen oder Paketen problematisch ist. Weiter setzen Volksinitiativen per Definition auf Verfassungsebene an. Kommt man zum Schluss, eine gesetzliche Lösung wäre besser, sind die Initianten auf die gesetzgebende Kraft des Parlaments angewiesen.
Keine Wiederwahl im Hinterkopf
Dass ich bei unserer direkten Demokratie einige Hürden sehe, ist der Grund für mein Interesse an der Idee eines Büger(innen)rats für die Ernährungspolitik. Während sich das aktive Schweizer Stimmvolk je nach Thema am Urnengang unterscheidet und die Mobilisierung in erster Linie von Interesse und Kampagnen-Botschaften abhängt, ist dieses Gremium bewusst repräsentativ für die Schweizer Bevölkerung zusammengesetzt. Da sollen Handwerker und Akademiker, Städterinnen und Landfrauen an einen Tisch kommen. Da es sich nicht um Politiker handelt, haben sie im Übrigen keine Wiederwahl im Hinterkopf.
Laut den Trägerorganisatoren werden die ausgelosten Bürgerinnen und Bürger während fünf Monaten über das Schweizer Ernährungssystem umfassend informiert. Dabei lesen sie kein Abstimmungsbüchlein und keine Plakate, sondern treffen Akteure aus der gesamten Wertschöpfungskette. Das Ganze soll professionell moderiert und maximal transparent gestaltet werden. Am Ende werden informierte Bürger(innen) nicht über eine fertige Vorlage abstimmen, sondern selbst Vorschläge für eine nachhaltige Schweizer Ernährungspolitik ausarbeiten.
Ein klareres Bild bekommen vom Möglichen
Ehrlicherweise muss man anfügen, dass es sich hierbei bisher nur um Versprechungen handelt. Der Rat wird in den kommenden Wochen seine Arbeit aufnehmen und mit Resultaten ist im November zu rechnen. Inwiefern diese dann Eingang finden in die Politik ist eine weitere offene Frage. In jedem Fall wird es spannend zu sehen, zu welchen Schlüssen dieses Gremium kommt – eben gerade weil es anders zusammengesetzt ist als das aktive Schweizer Stimmvolk. Meine Hoffnung ist, dass ein klareres Bild davon entsteht, was eigentlich möglich wäre – was trägt die Bevölkerung mit? Meiner Meinung nach befinden wir uns bei dieser Frage allzu oft im Blindflug. Man muss sich auf Marktanalysen oder -prognosen verlassen und orientiert sich an Abstimmungen. Und dann braucht es doch «nur» die richtige Kommunikation, und ein neues Produkt oder eine andere Produktionsweise findet Anklang. Ich denke da an innovative Direktvermarkter oder an Labels. Diese widersprechen dem Credo des Homo oeconomicus, der v.a. nach tiefen Preisen sucht und sind für mich ein Beweis für die Macht der Kommunikation. Deren Grenzen zeigen sich im stockenden Labelabsatz – vielleicht fehlt es in Detailhandel und Gastronomie an kommunikativer Nähe zum Konsumenten
Gut informiert statt verzerrt
Produziert wird der Nachfrage entsprechend, heisst es. Aber diese ist verzerrt durch Margen und Preiskampf, genau wie die politische Meinungsbildung durch Vereinfachungen und laute Parolen verzerrt werden kann. Trotzdem bleibt es wichtig zu wissen, was die Leute denn nun wollen. Einen direkten Draht zur Konsumentenseite bietet markttechnisch z. B. ein Hofladen, politisch könnte ein Bürger(innen)rat dasselbe leisten: sachliche Information für bessere Entscheidungen.