Mit 99 zu 77 Stimmen und mit 6 Enthaltungen entschied der Nationalrat am 18. September 2023 erneut, auf den indirekten Gegenvorschlag einzutreten. So hatte er es vor einem Jahr bereits getan. Der Ständerat war dann aber nicht auf die Vorlage eingetreten. Die Mehrheit des Ständerats war im Juni der Ansicht, das Ziel bei den Biodiversitätsflächen gemäss der internationalen Montreal-Kunming-Übereinkunft könne auch mit den bestehenden Instrumenten erreicht werden.
Der Nationalrat wollte aber am indirekten Gegenvorschlag festhalten und folgte seiner Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek-N). Es brauche rasches Handeln, um den Verlust der Biodiversität zu bremsen. Nicht auf die Vorlage eintreten wollten die SVP, aber auch Mitglieder von Mitte- und FDP-Fraktion.
«Retten, was zu retten ist»
Punkto Biodiversität müsse gehandelt werden, sagte Matthias Samuel Jauslin (FDP/AG) namens der Kommission. Diese wolle nun einen vereinfachten indirekten Gegenvorschlag. In dessen Fokus stünden die Vernetzung ökologischer Gebiete zugunsten von Tierwanderungen und Verbesserungen in den Biodiversitätsgebieten, aber keine neuen rechtlichen Regelungen für die Landwirtschaft.
Es könnten eher als die Landwirtschaft die Städte in die Pflicht genommen werden, sagte Jauslin. Diese Änderungen sollten den Ständerat motivieren, die Beratung des Gegenvorschlages aufzunehmen. «Das ist ein Versuch, noch zu retten, was zu retten ist.» Aus Verfahrensgründen lag dieser Vorschlag im Rat noch nicht vor. In den Fraktionen stiess das Ansinnen mehrheitlich auf Zustimmung, und auch Umweltminister Albert Rösti warb für den reduzierten indirekten Gegenvorschlag. «Die Biodiversitätskrise bedroht unsere Lebensgrundlagen», sagte Ursula Schneider Schüttel (SP/FR). Schutz vor Hochwasser sei nur mit gesunden Wäldern und Wiesen möglich.
Initianten können damit leben
Der Komissionsvorschlag bringe das Kunststück zustande, dass das Initiativkomitee signalisiert habe, damit leben zu können, sagte Bastien Girod (Grüne/ZH). Dem stimmen die Trägerorganisationen der Biodiversitäts-Initiative in einer Mitteilung zu. Sie erklären ihre Bereitschaft, die Initiative bedingt zurückzuziehen: Falls der Gegenvorschlag des Parlaments zustande kommt. Man habe stets Hand geboten für einen Kompromiss und die Bearbeitung des Geschäfts müsse spätestens im Dezember abgeschlossen sein.
Nicht eintreten wollte die SVP-Fraktion. Auch der entschärfte Gegenvorschlag gehe noch zu weit, da die Schweiz nicht genügend Fläche zur Verfügung habe, sagte Sprecher Michael Graber (VS). Manuel Strupler (SVP/TG) fügte an, die Biodiversitätsstrategie biete genügend Möglichkeit, die Ziele im Siedlungsraum zu erreichen.
«Unnötig», findet Markus Ritter
Bauernverbandspräsident Markus Ritter (Mitte/SG) beantragte Nichteintreten auf den Vorschlag, unterlag aber. Die von der Kommission angedachte neue Version für einen Gegenvorschlag brauche es gar nicht, schrieb er dazu. Diese Ziele könnten mit geltendem Recht erreicht werden.
Anders als SBV-Präsident Markus Ritter befürwortet Bio Suisse den Gegenvorschlag zur Biodiversitäts-Initiative. Die Wünsche der Landwirtschaft seien darin berücksichtigt worden, heisst es in einer Medienmitteilung von Bio Suisse. Für Bäuer(innen) gebe es sogar neue und gut finanzierte Möglichkeiten des Engagements zu gewinnen, z. B. bei der Vernetzung von ökologisch wertvollen Gebieten. Ausserdem würden Städte und Gemeinden zurecht stärker in die Pflicht genommen. Insgesamt gewinnen mit dem Gegenvorschlag nach Meinung von Bio Suisse sowohl Landwirt(innen) als auch die Natur und der Bio-Dachverband fordert den Ständerat dazu auf, der Vorlage zuzustimmen
Der Ständerat entscheidet
Die Biodiversitäts-Initiative will mit einer Verfassungsänderung den Bund und neu auch die Kantone zum Schutz und zur Schonung von Biodiversität und Landschaft verpflichten. Sie fordern dafür mehr Gelder der öffentlichen Hand. Der Bundesrat beschloss dann, der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag entgegenzustellen. Er wollte unter anderem festlegen, dass Biodiversitäts- und Schutzgebiete insgesamt 17 Prozent der Schweizer Landesfläche ausmachen sollen; heute sind es 13,4 Prozent.
Diese Zahl strich der Nationalrat bei der ersten Beratungsrunde vor einem Jahr. Es sei besser, qualitative Vorgaben zu machen, fand er damals. Nun ist wieder der Ständerat am Zug. Tritt er ein zweites Mal nicht auf den Gegenvorschlag ein, ist das Geschäft vom Tisch.